Ein wirklich lesens/hörenswerter Beitrag bei SciLogs.
Ich würde sagen, er passt hier am Besten, da es letztendlich um VTs geht, wobei nicht nur um Corona, sondern auch um das Trampeltier, Naidoo, Reichsbürger uvm.
Spoiler
BlackLivesMatter & George Soros – Wie Verschwörungsverkünder Rassismus und Antisemitismus gegeneinander ausspielen
Eigentlich hätte ich in dieser Woche endlich einmal Urlaubstage nehmen sollen. Doch die Eskalationen in den USA um #BlackLivesMatter, Rassismus und Antisemitismus haben nun doch dazu geführt, dass ich andere Podcast-Planungen verwarf und mit meinem Team eine Folge dazu produziert habe.
Die Podcast-Folge zum Hören finden Sie wie immer auf podigee sowie via Spotify, Deezer, iTunes und (nächste Woche) YouTube.
Die Folge als Text-pdf finden Sie zum freien Download hier.
Und hier der Fließtext:
In diesen Tagen mache ich die Erfahrung, dass auch schöne Erinnerungen körperlich schmerzen können. Gemeinsam mit je einem Gast aus über 20 Nationen war ich zur Amtseinführung von Präsident Barack Obama nach Washington eingeladen worden. Uns war schon klar, dass die Mühen der Ebenen noch folgen würden, doch an jenen Tagen feierten wir als Christen, Musliminnen, Jüdinnen, Anders- und Nichtglaubende aller Kontinente unseres Planeten zusammen. Zu den schönen, jetzt schmerzhaften Erinnerungen gehört die gemeinsame Renovierung einer Schule am Martin Luther King-Day und das Gespräch mit einem ärmeren afroamerikanischen Bürgerrechtler in Miami, der sein Engagement mit einer unglaublichen Würde erklärte: „Ich bin hier, weil mein Präsident es nicht alleine schafft.“
Nun erlebe ich mit Entsetzen, wie die große Demokratie nach dem grauenhaften Tod von George Floyd gezielt gespalten wird. Und wie leider zu erwarten war, versuchten sofort wieder Verschwörungsverkünder, den Rassismus und Antisemitismus zu verknüpfen und anzuheizen.
So erschien schon am 30. Mai auf Twitter eine englischsprachige Kachel, auf der der jüdische Milliardär und Holocaust-Überlebende George Soros beschuldigt wurde, hinter der Protestbewegung #BlackLivesMatter zu stecken. Auf meinem Wissenschaftsblog „Natur des Glaubens“ können Sie diese anschauen.
Mit Berufung auf die Anti-Defamation League (ADL) verzeichnet die Jüdische Allgemeine eine Explosion von Anti-Soros-Tweets von rund 20.000 auf eine halbe Million – pro Tag.
So wurden mit Berufung auf ein völlig erfundenes Interview bei der deutschen BILD-Zeitung Soros für September 2014 die folgenden Worte in den Mund gelegt, ich übersetze – Zitat:
„Ich werde die USA herunterstürzen, indem ich schwarze Hassgruppen finanziere. Wir werden sie in eine mentale Falle locken und sie weiße Leute beschuldigen lassen. Die schwarze Community ist am leichtesten zu manipulieren.“ – Zitat Ende –
Diese Lüge zeigt leider sehr präzise, wie niederträchtig und effektiv antisemitische und rassistische Mythen kombiniert und gegeneinander ausgespielt werden.
So höre und lese ich leider immer noch, Antisemitismus sei doch „auch nur ein Rassismus“. Das ist einerseits richtig – der heutige Antisemitismus „ist“ rassistisch – aber andererseits auch verkürzt. Denn wie Sie gerade gehört haben, werden im Antisemitismus Jüdinnen und Juden verzerrend emporgehoben, als besonders schlau und verschwörerisch dargestellt.
Deswegen werden vermeintliche jüdische Superverschwörer immer an die Spitze der Verschwörungspyramide gestellt. Verschwörungs-erzählungen, in denen bspw. Afrikaner, Muslimbrüder oder Jesuiten Juden lenken würden, treten fast nie auf.
Somit werden andere angegriffene Gruppen wie Schwarze oder Sinti und Roma rassistisch abgewertet und zu vermeintlichen Handlangern der jüdischen Weltverschwörung erklärt. So behauptete schon Adolf Hitler in „Mein Kampf“ 1925, Zitat:
„Juden waren und sind es, die den Neger an den Rhein bringen, immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe herunterzuschmettern und selber zu ihren Herren aufzusteigen.“ – Zitat Ende –
Und nichts daran ist harmlos: Entsprechend dieses kombinierten, antisemitisch-rassistischen Verschwörungsmythos wurden daher vom NS-Regime auch Sinti und Roma als vermeintliche Zigeuner und Mitverschwörer rassistisch entrechtet, in Konzentrationslagern interniert und zu Hunderttausenden ermordet. Wer sich also zu Recht über Rassismus in den USA empört, darf auch über Antiziganismus in Europa nicht schweigen.
Sie sehen also, dass sich der Verschwörungsmythos über ein Jahrhundert lang kaum verändert hat – und jetzt fieserweise sogar Holocaust-Überlebenden wie eben Soros in den Mund gelegt wird.
Auch wird ‚jedes‘ Ergebnis der angeblichen Verschwörung angelastet: Vermischen sich Menschen friedlich, so fördern die vermeinten Weltverschwörer „Bastardisierung“. Kommt es jedoch zu Konflikten, so finanzierten sie eben „Hassgruppen“.
Es ist dies die gleiche Verschwörungsmytho-Logik, die wir auch mit Bezug auf das Coronavirus erleben mussten: Im Januar hieß es noch – auf meinem Blog nachzulesen –, dass George Soros gemeinsam mit Bill Gates und China Covid19 als mörderische „Biowaffe“ entwickelt habe. Damals wurde auch antiasiatischer Rassismus geschürt.
Inzwischen wird dagegen behauptet, George Soros, die Rothschilds und Bill Gates hätten die Gefahren – oder gar den Virus selbst – erfunden, um den Menschen ihre Freiheiten zu nehmen & eine Weltregierung einzurichten.
Dass Antisemitismus und Rassismus nicht überwunden werden können, wenn sie gegeneinander ausgespielt werden, zeigte in den letzten Wochen leider auch Xavier Naidoo. So beschimpfte er den Zentralrat der Juden in Deutschland, dieser bestünde ja gar nicht aus „Semiten“ und proklamierte – Zitat – „Die amerikanischen Negersklaven sind Yahudim. Sonst niemand.“ – Zitat Ende –
Dann wieder zeigte der Baden-Württemberger Reichsbürger-Farben, solidarisierte sich mit einem selbsternannten, deutschen Fantasiekönig, beschimpfte Jacob Rothschild mit dem Hashtag #Khazarianmafia und berief sich – auch in Abgrenzung von QAnon – auf „Yah“.
Dazu erreichten mich einige verstörte Anfragen, so dass ich hier einordnen möchte:
Naidoos Aussagen gehören in den Bereich extremer, afroamerikanisch-messianischer Bewegungen. Am Bekanntesten sind wohl die aus Jamaika stammenden Rastafaris mit dem Sänger Bob Marley, die Gott ebenfalls als „Yah“ bezeichnen und den äthiopischen Kaiser Haile Selassie als Messias deuteten.
Davor und daneben entstanden vor allem in den USA verschiedene Strömungen der Black Hebrew Israelites, die christliche & jüdische Traditionen verbanden & sich als Nachkommen der verschollenen Stämme Israels verstehen, ihre Geistlichen oft als Rabbiner ehren.
Während der Staat Israel tatsächlich Zehntausende afrikanischer Jüdinnen und Juden anerkannte und als Staatsbürger einreisen, sogar evakuieren ließ, blieb diese Anerkennung jedoch den Black Hebrew Israelites bislang verwehrt, solange sie nicht formal zum Judentum konvertieren.
Einige haben sich auch durch den Einfluss des Internets inzwischen in antisemitische Verschwörungsmythen hineingesteigert, wonach weiße Juden keine „echten“ Juden, sondern bösartige Weltverschwörer wären. Eine Reihe antisemitischer Anschläge mit Verletzten und Toten – darunter zuletzt ein Angriff gegen einen koscheren Supermarkt in New Jersey – gehen auf digital Radikalisierte zurück.
Auch Xavier Naidoo bemühte den bereits in Folge 14 geschilderten, zugleich antisemitischen und rassistischen Khasaren-Verschwörungsmythos, um weiße Jüdinnen und Juden als vermeintliche Nicht-Semiten zu beschimpfen. Tief verstrickt in die Verwechslung von Religionszugehörigkeit mit vermeintlichen „Menschenrassen“ kann auch er sich entsprechend Deutschland nicht als demokratischen Rechtsstaat vorstellen, sondern träumt von einer Reichsbürger-Monarchie. Auch solche bizarren Schulterschlüsse zwischen weißen und schwarzen Rassisten hat die US-Geschichte leider immer wieder erlebt.
Wie der von Naidoo verwendete Gottesname gezielt verkürzt ist, so kann er auch nicht alle Menschen als gleichwertig anerkennen. Ich hoffe also, es ist deutlich geworden und in Folge 14 ja auch historisch dargestellt: Antisemitismus und Rassismus waren und sind so eng miteinander verwoben, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.
Wer Rassismus verkündet, landet unweigerlich in der antisemitischen Wahnwelt eines vermeintlich jüdisch gesteuerten Völkerkrieges. Und wer Antisemitismus gegen Juden und Israelis verbreitet, verfängt sich auch selbst in einem rassistischen Weltbild, in dem das Schicksal & selbst die religiöse Qualität jedes Menschen von Geburt an durch Herkunft und Hautfarbe fixiert sind.
In Folge 2 dieses Podcasts konnte ich bereits darstellen, dass das Judentum schlicht die erste Religion des Alphabetes war – und die Thora mit der Ebenbildlichkeit des Menschen den Begriff der „Bildung“ in die Welt brachte. Sem – hebräisch Schem – war nach jüdischer Überlieferung kein Begründer von „Rassen“, sondern des ersten Lehrhauses, der ersten Schule auf Basis von Alphabetschriften. Daher gehören zum heutigen Judentum ebenso wie zum Christentum, zum Islam und zu den Bahai Angehörige aller Hautfarben.
Doch ab der Einführung des Buchdrucks verfestigten sich leider auch, von Europa ausgehend, Lehren über die „razza“ – Herkunft, Blutlinien – zu einer buchstäblich rassistischen und anti-semitischen Mythologie. So gibt es heute auch in allen semitischen Religionen und Weltanschauungen Rassistinnen und Rassisten; gegen die vorherige Offenheit des Semitismus für Mythen und Medien der Vielfalt. Ob wir es also wollen und uns eingestehen oder nicht – wir alle sind nicht nur Erben von guten, sondern auch von üblen, antisemitischen und rassistischen Mythen. Es ist nicht die Frage, „ob“ wir Vorurteile haben – sondern wie wir mit ihnen umgehen.
Wo immer Antisemitismus und Rassismus kombiniert werden, entstehen besonders widerwärtige und auch mörderische Formen der Menschenfeindlichkeit. Wer das eine verharmlost, kann das andere nicht besiegen. Wenn wir das nicht verstehen, werden auch wir durch alten Hass wieder gegeneinander ausgespielt.
So steht der Tod von George Floyd in einer langen Reihe von Polizeiwillkür und Justizversagen. Auch als Vater von Teenagern geht mir dabei die Geschichte von George Stinney Junior nicht aus dem Kopf. Während schwarze und weiße US-Soldaten gemeinsam in Europa das Nazi-Regime bezwangen, wurde der 14jährige in einem Schnellverfahren zu Unrecht verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Erst 2014 wurde das mörderische Unrechtsurteil gegen ihn aufgehoben. 2018 wurde der skandalöse Prozess in „83 days“ verfilmt.
Wir sprechen hier also nicht nur über einen Konflikt, sondern um die Grundfragen von Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit. Wir sprechen hier über Unrecht und Traumata, die sich über Jahrhunderte und Generationen hinweg eingegraben haben und durch jeden neuen Vorfall aufbrechen. Wir sprechen hier davon, dass jeder Mensch eine einzigartige Würde hat und daher Ermordungen nicht gegeneinander aufgerechnet werden können.
Werden Rassismus und Antisemitismus jemals ganz verschwinden? Ich fürchte, diese Mythologien des Hasses werden weltweit und auch in Europa noch lange Unheil verbreiten und noch viele Menschenleben kosten.
Aber wir haben auch gute Bilder und Mythen auf unserer Seite: Der Gottesbund, den Sem gelehrt und auf dessen Basis er auch gerichtet haben soll, war der Noahbund.
Nach dieser Lesart der Thora sind alle Menschen – alle Menschen – Kinder Noahs, können „Anteil an der kommenden Welt“ haben und stehen auch jüdischen Hohepriestern in nichts nach, wenn sie sich im Zeichen des Regenbogens bilden.
Und dieses Ursymbol der auch aktuell wieder missbrauchten Bibel ist gerade nicht farbenblind, sondern farbenbejahend – aus dem gleichen Licht entsteht das ganze Spektrum. Es ist der frühe und viel zu wenig bekannte, monistische Mythos einer Menschheit, die auf der Basis von Frieden, Bildung und vor allem Gleichberechtigung als gleichem Recht vielfältig und frei sein darf.
In diesem Sinne freue ich mich, wenn ich bei Aktionen gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Sexismus, gegen Homophobie, gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit auch immer wieder Regenbögen leuchten sehe. Die Hass-Waffen der Verschwörungs-schwurbler werden stumpf, wo immer wir gelernt haben, einander nicht „trotz“, sondern „mit“ unserer ganzen Individualität und Geschichte anzunehmen. Auch in der Erinnerung an einige der schönsten Tage meines Lebens halte ich an der Hoffnung fest: Wenn wir es wollen, leuchtet unsere Zukunft als eine Menschheit in allen Farben des Lichtes.
Yes, we can.
Bitte bleiben Sie gesund.
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