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Im nordrhein-westfälischen Krefeld steht seit Freitag der 61-jährige Klaus R. wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Der Heilpraktiker, der sich auf experimentelle Krebsbehandlung spezialisiert hatte, gab Lente K. und drei weiteren Patienten, von denen zwei ebenfalls an den Folgen starben, das tödliche Mittel.
Das Interesse an dem Fall ist hoch. Am Morgen des ersten Prozesstages wartet vor dem Landgericht eine lange Schlange aus Besuchern und Journalisten. Denn der Fall steht für mehr als nur die Frage, warum der tödliche Fehler geschah – er steht für ein Politikum: Warum ist es überhaupt erlaubt, dass Nicht-Ärzte Patienten mit Mitteln behandeln, die sie bei falscher Handhabung töten können?
Das Mittel, das im Zentrum des Prozesses steht, heißt 3-Bromopyrovat. Ein in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassenes Präparat, das Krebszellen absterben lassen soll, indem es verhindert, dass diese Glukose aufnehmen. In der Praxis von Klaus R. spielte es in der Behandlung eine zentrale Rolle: Der Heilpraktiker mischte die Infusionen selbst an, indem er das Pulver, das den Wirkstoff enthält, aufs Milligramm genau dosierte.
Er tat dies mithilfe einer feinen Waage und behandelte so rund ein Jahr lang Patienten, vor allem aus den Niederlanden. Das Mittel bezog er von einem ebenfalls niederländischen Geschäftspartner, der wiederum angab, es aus den USA zu bekommen.
Am fraglichen Tag passierte ihm ein folgenschwerer Fehler: Er dosierte das Mittel bei vier seiner Patienten deutlich zu hoch. Mit der Folge, dass drei von ihnen daran starben und eine vierte Patientin wohl nur überlebte, weil R., dem nun auffiel, dass es den ersten drei Patienten an diesem Tag nach der Infusion schlecht ging, die Behandlung abbrach.
Klaus R., der vor Gericht in Strickjacke und khakifarbener Hose erscheint, bemüht sich, Kooperationsbereitschaft zu demonstrieren. Er erklärt sich umfangreich. Er betont, er sei nicht aus Geldgier Heilpraktiker geworden, sondern habe – im Gegenteil – dafür sogar einen gut dotierten Job in der Industrie aufgegeben.
War seine Waage defekt? Stimmte mit dem Pulver was nicht?
Er sagt auch, er könne sich nicht erklären, warum an jenem Tag seine Behandlung so fatal schiefging. Er habe das Mittel genauso abgewogen und angemischt wie immer. Warum es trotzdem zu den tödlichen Überdosierungen kam, dafür bietet er verschiedene Erklärungen:
Vielleicht sei die Waage plötzlich defekt gewesen? Vielleicht habe mit der erst am Vortag eingetroffenen neuen Lieferung des Mittels etwas nicht gestimmt? Immerhin habe das Pulver eine andere Farbe gehabt als sonst und sei in anderen Fläschchen gekommen.
Warum Klaus R. das gefährliche Pulver dennoch verabreichte, erklärt er nicht. Dass die ersten Patienten des Tages nach der Infusion über Übelkeit geklagt hätten, sei ihm nicht als außergewöhnlich erschienen, also habe er keinen Arzt gerufen. Überhaupt habe er, je länger er die Praxis geführt habe, immer seltener Kontakt zu Ärzten gesucht – da er „immer erfahrener“ geworden sei.
Wer 25 ist und Hauptschule hat, kann Heilpraktiker werden
Der Prozess belebt jene Debatte neu, wieso Heilpraktiker in Deutschland Infusionen legen und mit gefährlichen Präparaten behandeln dürfen. Dieser Beruf, den derzeit 46.000 Menschen ausüben, ist nämlich äußerst lax reglementiert. Um eine Praxis eröffnen zu dürfen, muss man nur einen Zulassungstest beim Gesundheitsamt ablegen. Einzige Voraussetzungen: ein Mindestalter von 25 Jahren und ein Hauptschulabschluss.
Zwar gibt es Heilpraktikerschulen, die drei Jahre ausbilden – auch Klaus R. besuchte so eine Schule. Doch deren Besuch ist keine Voraussetzung für die Zulassung. 2016 debattierte der Bundestag über eine striktere Regulierung. Das Ergebnis war, dass die Prüfkriterien in den Tests nun bundesweit einheitlich sind statt in jedem Bundesland anders. Es blieb aber dabei, dass jeder, der die Prüfung besteht, den Beruf ausüben darf – unabhängig von einer Ausbildung.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert deshalb, es sei in Deutschland „einfacher, Heilpraktiker zu werden als Krankenpfleger“, wie Vorstand Eugen Brysch sagte. Die Gesundheitsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, forderte, Verfahren wie invasive Eingriffe für Heilpraktiker einzuschränken: „Es gibt viele gute Heilpraktiker, die etwa bei Rückenleiden gut helfen können. Für einen guten Heilpraktiker sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, zu wissen und darüber aufzuklären, wo die Grenzen seiner Behandlung liegen.“
Bundesregierung plant Restriktionen
Die Bundesregierung plant bereits, die Abgabe und Zubereitung einiger Stoffe durch Heilpraktiker zu verbieten oder dies nur unter Auflage zu erlauben. Schulz-Asche sagte, es bleibe abzuwarten, ob das ausreiche. Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke, sagte, sie „halte es für erforderlich, den aktuellen Gesetzesrahmen für die Ausübung des Berufs überall da anzupassen, wo es offensichtlichen Handlungsbedarf“ gebe.
Das Urteil gegen Klaus R. soll Mitte Juni fallen. Ihm drohen eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und ein Berufsverbot. Vor Gericht sagte R., er wünsche sich vor allem dies: „Dass wir hier vor Gericht eine Erklärung finden, wie das passieren konnte.“