Ich erinnere mich an ein sehr frühes Video, in dem er sich mit dem Buch befasst und sehr prominent darauf hinweist, dass es ja eine Auftragsarbeit der Alliierten gewesen sei (war es auch, die haben halt gesagt "Schreib mal auf, was Du gesehen hast."). In diesem Zusammenhang ist Kogons Vorwort erhellend. Es beginnt in etwa damit, dass er mehrfach kurz davor war, das Manuskript zu verbrennen, weil er nachfolgenden totalitären Regimen keine Anleitung an die Hand geben wollte. Kogon sollte man lesen; ein KZ (KL, wie er es nennt; KZ hat sich wohl erst danach im Sprachgebrauch etabliert) wird man danach mit ganz, ganz anderen Augen sehen. Es ist weit furchtbarer als man in Dokus sieht.
Klemperers LTI ist eine Zusammenfassung seiner Tagebücher aus der Warte eines Linguisten. "LTI" steht für "Lingua Tertii Imperii" (lat. die Sprache des dritten Reiches) und schon im Titel markiert er eine Besonderheit des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs: Abkürzungen. Klemperer hat die Nazizeit ebenso miterlebt und verdankt es wohl der Bombardierung seines Wohnortes Dresden, dass er seinen Zug in die Vernichtung im Osten, der wohl für Ende Februar angesetzt war, dann zum Glück verpasst hat. Seine Tagebücher sind einerseits ein Zeugnis davon, wie Judenhass tief in seinen Alltag hinein wirkte, andererseits schildert er nationalsozialistische Propaganda und wie diese den Sprachgebrauch im Sinne der Nazis veränderte. Vieles von dem, was er damals mit Befremden als neue Entwicklung wahrnahm, kenne ich als heutige Alltagssprache. Insofern hat der "Vogelschiss" der Gesellschaft durchaus deutlich seinen Stempel aufgedrückt.
Ich glaube, es war Adorno, der mal gesagt hat: "Sprache formt Realität."
Dessen "Studien zum autoritären Charakter" sind wohl auch sehr lesenswert, das habe ich aber noch vor mir.
(Könnte auch Habermas gewesen sein, der das mal gesagt hat. Frankfurter Schule halt.)
Und wo ich gerade bei Buchempfehlungen bin: Furchtbare Juristen von Ingo Müller ist ebenfalls sehr lesenswert. Es sollte mE für Juristen aller Couleur Pflichtlektüre sein, für alle anderen sind mindestens die personellen Kontinuitäten von der Kaiserzeit in die junge Bundesrepublik interessant.