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„Nerling hat eine ganz enge Verbindung zu Compact, weil seine Freundin Covergirl von der Compact ist und feste Mitarbeiterin.“ Das macht ausgerechnet der untergetauchte vegane Kochbuchautor Attila Hildmann in einem aktuellen Video öffentlich. Der verurteilte Holocaustleugner Nikolai Nerling ist 42. Die Compact-Mitarbeiterin, inzwischen auch Mutter seines Kindes, ist aktuell höchstens 21. Die beiden haben sich offenbar getroffen, als die junge Frau noch minderjährig war.
Attila Hildmann und Nikolai Nerling fechten derzeit einen bizarren Streit in der Öffentlichkeit aus. Der in der Türkei untergetauchte Ex-Imbissbudenbetreiber und Verschwörungsideologe Hildmann hatte auf seinem Telegramkanal ein Bild verbreitet, auf dem mehrere Männer zu sehen sind, darunter Videoaktivist Boris Reitschuster, der mittlerweile angeblich aus der Verschwörungsszene ausgestiegene QAnon-Fan Xavier Naidoo, Rechtsaußen-AfD-Politiker Alexander Gauland, Verschwörungsguru Oliver Janich und auch Nikolai Nerling selbst, verurteilter Holocaustleugner, ehemaliger Lehrer und ein bekannter Videoaktivist der rechtsextremen Szene. Alle Abgebildeten tragen eine ähnliche Schiebermütze. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen ist Hildmann der Überzeugung, dass es sich bei dieser Mütze um ein Erkennungszeichen von Kommunisten handele und er behauptet, die erweiterte „Querdenken“- und Rechtsaußen-Szene sei von der „roten Pest“ (O-Ton Hildmann) unterwandert. Die Männer auf den Fotos seien kommunistische und zionistische Agenten – Hildmann ist weiterhin glühender Antisemit –, die über ihre Kopfbedeckung unterschwellige Nachrichten sendeten.
Der Streit der beiden Rechtsaußen-Aktivisten ist für Analyst*innen der verschwörungsideologischen Szene amüsant, weniger witzig sind aber Details aus Nerlings Privatleben, die Hildmann im Video wie nebenbei ausplaudert. Denn der 42-jährige selbsternannte „Volkslehrer“ hatte im November 2022 über seinen Telegramkanal bekannt gegeben, dass er Vater geworden ist. Über die Mutter des Kindes war zunächst außer Gerüchten nichts bekannt. Doch Hildmann sagt nun im Video: „Seine Freundin ist feste Mitarbeiterin vom antideutschen Compact.“ Gemeint ist das rechtsextreme Compact-Magazin unter Chefredakteur Jürgen Elsässer. Hildmann erwähnt das „Mädchen von Compact“ mehrmals und bekräftigt: „Nerling hat eine ganz enge Verbindung zu Compact, weil seine Freundin Covergirl von der Compact ist und feste Mitarbeiterin.“
Gemeint ist damit offenbar Sophia Fuchs, die auf dem Cover der Ausgabe 10/2020 des rechtsextremen Verschwörungsblatts mit einer schwarz-weiß-roten Reichsfahne posiert. In der gleichnamigen Zeitung der „Querdenken“-nahen Gruppierung „Demokratischer Widerstand“ wurde ein Artikel von Fuchs, der ursprünglich in Compact erschienen war, nachgedruckt. Der Artikel nennt ihr Geburtsjahr: 2002. Laut eines Interviews mit Compact war Fuchs mit 17 Jahren Praktikantin in der Redaktion des Rechtsaußen-Magazins. Seitdem veröffentlichte sie – zum Teil unter dem Pseudonym Petra Lindner, aber auch unter eigenem Namen – mehrere Artikel auf der Website und auch im gedruckten Heft. Einer ihrer Artikel erschien am 4. November 2019. Darunter heißt es: „Die Autorin ist 17 Jahre alt und hat gerade ein Schülerpraktikum bei COMPACT absolviert“.
Als die damals 18-Jährige ein Jahr später zum Covermodel wird, ist die zumeist älter und männlich dominierte Rechtsaußen-Szene begeistert. Im Intro des Compact-Interviews mit Fuchs heißt es: „Wer ist diese attraktive Person mit der kecken Botschaft ‚Das Reich wird Pop‘?“ Der mittlerweile in die Jahre gekommene ehemalige Chef der rechtsextremen „Identitäten Bewegung“, Martin Sellner, zeigte sich ebenfalls äußerst begeistert von der damals 18-Jährigen. Sellner bewirbt regelmäßig neue Compact-Ausgaben in seinem Videoformat und beschreibt das Cover des Hefts im Oktober 2020 als einen Titel, der „alle Grenzen des Kecken sprengt“. Und weiter: „Heiratsanträge etc. bitte an die E-Mail-Adresse von Jürgen.“ Der damals 31-jährige Sellner und der 61-jährige Elsässer als Verkuppler für einen Teenager.
Als die Compact-Ausgabe mit Fuchs auf dem Cover erscheint, tritt die 18-Jährige gleich zweimal in der „Zorro Kenji Show“ auf, einem „Querdenken“-nahen Videoformat des Moderators Eric Protzner. Protzner stellt sie zunächst als „Sophia Schmitz“ vor, wird aber von der jungen Frau auf den Nachnamen Fuchs hingewiesen. Auch er kann sich anzügliche Bemerkungen gegenüber der gerade Volljährigen nicht verkneifen: „Alle Männer… ob 20 oder 60 sind hin und weg“. Nachdem Fuchs von ihrem Besuch von „Querdenken“-Protesten berichtet, heißt es von Protzner: „Wenn ich mir so vorstelle, du läufst so durch, da wirst du bestimmt auch irgendwelche unanständigen Angebote bekommen. Das Thema lassen wir hier jetzt besser.“ Protzner lacht. Auch der YouTuber hat eine Verbindung zu Nerling. Nicht nur hat er den Holocaustleugner in seiner Sendung interviewt, sondern Fotos belegen, dass er auch als Kameramann für den Neonazi im Einsatz war.
Im Interview wird deutlich, dass Fuchs sich schon länger in der Rechtsaußenszene bewegt. Offenbar hat der Vater der Frau aus der Nähe von Hamburg seit Jahren ein Compact-Abo. Doch es blieb laut Fuchs nicht bei der Lektüre des vom Verfassungsschutz beobachteten Magazins, auch schon vor der Pandemie habe sie zusammen mit ihrem Vater „systemkritische Demos“ besucht: „Im Februar 2018 sind wir auf eine Demo gegangen, oder auf eine Gedenkveranstaltung, in Dresden und haben da auch gleich Leute kennengelernt. Dann waren wir in Hamburg auf ‚Merkel muss weg‘-Demos“. Im zweiten Interview präzisiert sie: Es handelte sich um eine „Gedenkveranstaltung für die Dresden-Bomben-Opfer“. Seit Jahren finden im Februar in Dresden rechtsextreme Aufmärsche statt, organisiert von Neonazi- und NPD-Kadern, die an die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Februar 1945 erinnern und als Vernetzungs- und Mobilisierungstreffen der extremen Rechten gelten. Der Kommentar von Protzner: „Der Papa hat scheinbar sehr viel richtig gemacht.“
Doch der Besuch von Neonazidemos ist nicht das einzige Hobby der damals noch Minderjährigen. Im Interview berichtet sie, dass sie seit mehreren Jahren Volkstanz betreibt. Und hier kommt wieder der Holocaustleugner Nikolai Nerling ins Spiel. Denn der veranstaltet unter anderem immer wieder Volkstanztreffen, um so völkische und antisemitische Ideologie ansprechend zu verpacken. Neben den eigenen Aussagen von Fuchs („Wir haben uns das erste Mal getroffen vor dem Reichstag, wo wir getanzt haben. Das war total Fun.“) belegen Fotos und Recherchen von Friedensdemowatch und antifaschistischen Gruppen, dass Fuchs und Nerling sich mindestens seit dem Sommer 2018 kennen. Fuchs war zu dem Zeitpunkt 16 Jahre alt, Nerling 38.
Zwischen 2018 und 2020 gibt es mehrere gemeinsame Fotos der beiden. Unter anderem 2019 auf einer Demo der NPD und ihrer Jugendorganisation JN in Hannover. Den letzten gemeinsamen öffentlichen Auftritt hatten Nerling und Fuchs am 7. Mai 2022 im brandenburgischen Kirchmöser. Die beiden besuchen – bepackt mit Erdbeerkuchen – den Maiball des antisemitischen und völkischen „Bund für Gotterkenntnis – Ludendorffer“. Über die pseudoreligiöse Gruppierung mit Wurzeln in der völkischen Bewegung und im Nationalsozialismus und ihre Gründerin Mathilde Ludendorff hatte Fuchs bereits 2020 im Interview berichtet: „Was jetzt ganz neu in mein Leben getreten ist (…) ist Mathilde Ludendorff.“ Fuchs sah damals „fortschrittliche Ansätze“ und fand die antisemitische Verschwörungssekte „philosophisch gesehen sehr interessant“.
Nerling ist mit der Gruppierung schon länger bestens vernetzt. In den vergangenen Jahren hat er mehrere Videos mit Vertreter*innen der völkischen „Artgemeinschaft“ veröffentlicht. Bei seinen Tanzveranstaltungen treten Mitglieder ebenfalls in Erscheinung. Das Magazin der Bewegung, Mensch & Maß, bewirbt er auf seiner Website.
Danach ist Fuchs weiterhin für Compact aktiv. In Videoformaten wird sie nur noch im Porträtformat gefilmt, womöglich um eine Schwangerschaft zu verbergen. Ihr letzter Artikel auf der Website wurde am 23. Oktober 2022 veröffentlicht.
Die Beziehung zwischen dem 42-jährigen Rechtsextremen und der mittlerweile höchstens 21-Jährigen ist vor allem auch mit Blick auf einen Vorwurf interessant, der in rechtsextremen und Verschwörungskreisen regelmäßig gegen politische Gegner erhoben wird. Es geht um „Grooming“. Damit ist gemeint, dass Erwachsene Kinder und Jugendliche – Minderjährige im allgemeinen – beeinflussen, um sie sexuell gefügig zu machen oder um sie politisch und ideologisch zu beeinflussen. „Grooming“ wird etwa in den USA immer wieder von der extremen Rechten ins Spiel gebracht, wenn es um Erziehung zur sexuellen Vielfalt geht. Und auch in Europa und Deutschland stehen vergleichbare Vorwürfe regelmäßig im Raum. Dabei bleibt es dann allerdings auch. Belege für tatsächliche Fälle sind rar.
Nun stellt sich die Frage: Wie sieht es eigentlich andersherum aus? Wie würde man es bezeichnen, wenn eine Minderjährige vom eigenen Vater mit rechtsextremer Ideologie indoktriniert wird und Neonazidemos besucht – dann, weiterhin unter 18, für ein rechtsextremes Magazin arbeitet, während sie in Kontakt mit einem mehr als doppelt so alten Mann kommt? Nachdem sie, mittlerweile immerhin volljährig, von weitaus älteren Verschwörungsideologen und Rechtsextremen hofiert wird, bekommt sie schließlich mit gerade 20 oder 21 ein Kind von dem 41-jährigen Rechtsextremen. Grooming? Auf den amerikanischen Autor James Whitcomb Riley geht ein Sprichwort zurück: „If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.”