Der Satz ist auch ohne den Zusammenhang, wenn man dann noch nicht gewillt ist, nicht eindeutig zu verstehen. Dem Volksleerer unterstelle ich allerdings Absicht.
Wenn ich den folgenden Text lese, bedeutet für mich dieser Satz, dass der Freitod gewählt wurde, weil man mit dem zu Erwartendem nicht Leben konnte ( die schrecklichen Vergewaltigungen usw. ) und dies solche Angst gemacht hat, dass man „irre“ wurde. Im verständlichen Sinne! Das ist kein Hohn in meinen Augen, sondern spiegelt die aussichtslose und „sinnlose“ Situation wieder.
Spoiler
Am Sinn des Lebens irre geworden" - Massenselbstmord in Demmin
von Gisela Zimmer
Eine Frau sitzt am Ende des Zweiten Weltkriegs auf einem Bordstein. © picture-alliance / akg Der Weltkrieg hinterlässt verzweifelte Menschen, die vor dem Nichts stehen.
Die Erinnerungen führen zurück in das Frühjahr 1945, in die kleine, vorpommersche Hansestadt Demmin. Alles grünt und blüht. Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Doch für die sommerlichen Temperaturen hat niemand einen Sinn. Denn in Demmin ist Panik ausgebrochen. Frauen und Kinder irren verstört an den Ufern der Flüsse Tollense, Peene und Trebel umher. Die Mütter wollen nur noch eins: ins Wasser, um sich und die Kinder zu ertränken. Aus Scham, aus Angst - sie alle wurden von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Auch Frau Quadt steht am Ufer, mit ihren vier Kindern. Auch sie will sich das Leben nehmen. Doch ihr ältester Sohn Heinz-Gerhard, damals 14 Jahre alt, redet und redet auf sie ein. Bis er es schafft, sie wegzuziehen.
Ein Panzergraben gegen die russische Armee
Demmin, Ende April 1945: Chaos und Hektik beherrschen die Stadt. Das "Dritte Reich" bricht zusammen, Soldaten der Wehrmacht eilen zurück. Aus Schulen werden Lazarette. Nachts sitzen die Menschen im Keller. "Und man hörte auch von Weitem dieses Grollen", erinnert sich Heinz-Gerhard Quadt, heute Stadtchronist von Demmin. "Insbesondere dieses Rasseln der Panzerketten. Das ist mir so unheimlich, das habe ich heute noch im Ohr. Und dann die große Frage, was machen wir? Was machen wir, wenn die Russen kommen?"
Am 30. April sind sie da: Die ersten russischen Panzer rollen auf Demmin zu. Die Nazi-Bonzen der Stadt haben sich längst aus dem Staub gemacht, nicht ohne vorher zu verkünden, dass Demmin bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen sei. Vom Kirchturm, weithin sichtbar, weht an diesem Tag eine weiße Fahne. Für den Fall der kampflosen Übergabe hatten die russischen Parlamentäre versichert, dass Demmin nicht geplündert und die Zivilbevölkerung nicht belästigt wird.
Die Fluchtwege sind abgeschnitten
Doch plötzlich - die russische Armee drängt längst in die Stadt - explodieren alle Brücken. Sie wurden von der letzten Wehrmachtsreserve zur Sprengung vorbereitet. Die Zivilbevölkerung sitzt damit in der Falle. Über die Flüsse gibt es keinen Fluchtweg mehr. Auch die Russen können nicht weiterziehen, eigentlich wollten sie noch am selben Tag bis nach Rostock. Einige Deutsche beginnen, auf vorbeiziehende Russen zu schießen. Auch der Studienrat Gerhard Moldenhauer, der zu seiner Nachbarin sagt: "Ich habe eben meine Familie getötet, jetzt lege ich noch einige Russen um und dann scheide ich selbst aus dem Leben."
Rache trifft Frauen und Mädchen
Die Vorfälle führen nach sowjetischem Kriegsrecht dazu, dass Demmin drei Tage zur Plünderung freigegeben wird. Die Stadt wird "vogelfrei". Die Russen zünden die Häuser an, der Stadtkern brennt tagelang. Am 1. Mai eskaliert die Situation: Der Apotheker am Markt veranstaltet in seiner Wohnung eine sogenannte Siegesfeier. Die eingeladenen sowjetischen Offiziere werden mit Rotwein vergiftet. Die Rache erfolgt umgehend und trifft die Schwächsten: die Frauen und Mädchen. "Mädchen von zehn Jahren bis zur 80-jährigen Großmutter wurden vergewaltigt. Und wer dagegen von den Männern Einspruch erhob, wurde kurzerhand niedergeschossen", erzählt Heinz-Gerhard Quadt.
Karin Rudolphy war damals gerade zehn Jahre alt. Eigentlich hatten sie und ihre Mutter Demmin längst verlassen. Doch wohin, bei den vielen Flüchtlingsströmen? So laufen sie wieder zurück - den Panzern entgegen und direkt in die Katastrophe. Karin Rudolphy erinnert sich: "Wie wir drei da so gehen, meine Mutter in der Mitte, Tante und ich an den Seiten, da kam ein Adjutant mit so einem aufgepflanzten Bajonett, nahm meine Mutter aus der Mitte raus, ich seh' die Stelle heute noch vor mir. Meine Mutter wusste gleich Bescheid. Sie hat auch kein Theater gemacht, denn in solch einem Fall hätte man vielleicht auch erschossen werden können.
Dieser Mensch mit dem Bajonett führte meine Mutter zu einem Offizier und der Offizier verschwand mit ihr in einem Haus." Unter Tränen erzählt Karin Rudolphy weiter: "Wir haben dann bei einem Bäckermeister Unterschlupf gefunden. Da waren wir im Hinterzimmer. Und da ist es ganz laut und schlimm zugegangen. Die haben die gelähmte Frau des Bäckermeisters vergewaltigt. Das war sehr, sehr schlimm." Karin Rudolphy hat Glück, sie selbst bleibt verschont.
Die meisten Opfer können bis heute nicht darüber reden. Nur in Briefen - anonym geschrieben - offenbaren sich einige Frauen. In einem dieser Briefe heißt es: "Wir jüngeren Frauen hatten uns die Gesichter geschwärzt und hielten unsere Kinder schützend vor uns auf dem Schoß. Ins Nebenzimmer holten sich Russen Frauen und Mädchen und vergewaltigten sie. Aus unserem Zimmer nahmen sie ein etwa 14-jähriges Mädchen mit. Es kam völlig verstört zurück."
Viele nehmen sich das Leben
Was folgt, ist der vermutlich größte Massenselbstmord der deutschen Geschichte. Der Revolver, die Rasierklinge, der Strick, das Gift oder der Fluss - alles wird zum Todeswerkzeug. Zahllose Demminer Frauen ertränken sich. Sie steigen in die Flüsse, auf dem Rücken einen Rucksack mit Steinen, im Arm ihr Baby. "Freitote, am Sinn des Lebens irre geworden", notiert eine alte Demminer Lehrerin in ihrem Tagebuch am 1. Mai 1945. Nicht immer gelingt der Freitod. Manche Frauen überleben. Hin und wieder krabbelt auch ein Kind, das scheinbar ertrunken war, wieder aus dem Wasser.
Wohin mit den Toten?
Demmin, Anfang Mai 1945: Die Stadt ist zerstört. Die Flammen haben den Stadtkern aufgefressen. In den Flüssen treiben zahllose Leichen. Sie müssen herausgeholt und beerdigt werden. Nicht alle Toten werden identifiziert. Heinz-Gerhard Quadt hat das Friedhofsbuch gelesen: "Darin gibt es 35 Seiten über die Toten des Mai 1945. Manche kamen auf die Familiengrabstätte, andere kamen in das Massengrab. Und bei einer ganzen Reihe von Toten - was Flüchtlinge anbetrifft - steht dann eben: 'unbekannte Frau, Taschentuch E.B.' Oder: 'Alter Mann, rechter Daumen fehlt.'"
"Freitote, am Sinn des Lebens irre geworden" steht auf einer Gedenktafel auf dem Friedhof von Demmin, die an einen Massenselbstmord 1945 erinnert. © picture alliance / ZB Fotograf: Bernd WüstneckAuf dem Friedhof in Demmin erinnert heute eine Gedenktafel an die Menschen, die sich 1945 das Leben nahmen.
Der Pfarrer Heinrich Wessels steht den Menschen bei. Er ist dabei, als auf dem Friedhof eine Wagenladung nach der anderen ankommt, die Leichen in ein großes Massengrab gelegt werden. Sein großes Anliegen ist es, dass die Menschen in Kleidung beerdigt werden. Särge gibt es nicht mehr. Stattdessen werden Pappkartons genommen, Bettbezüge oder große Papiertüten. 1990 wird Heinrich Wessels zum Ehrenbürger von Demmin ernannt.
Das große Schweigen
Das Schweigen in Demmin wird im Laufe der Jahre nur allmählich durchbrochen. Lange Zeit durfte über die Vergewaltigungen und Ausschreitungen nicht geredet werden. Das hat die Menschen stumm gemacht, sagt Heinz-Gerhard Quadt: "In DDR-Zeiten musste man sich schon in einem vertrauten Kreis befinden, um über diese Ereignisse zu sprechen. Am Image der Sowjetarmee war nicht zu kratzen. Und so ist es auch im kleinen Kreis so gewesen, dass man sich nur vertraulich darüber unterhalten hat. Ich habe dazu das Gespräch mit meiner Mutter manchmal gesucht oder Andeutungen gemacht. Aber eine Aussprache haben wir darüber nie geführt, weil sie ja auch eigentlich wusste: Er hat es miterlebt, wie die Russen mich vergewaltigt haben, wie wir das Haus verlassen mussten und in welchem Zustand wir waren."
Die Kinder von damals - darunter Heinz-Gerhard Quadt und Karin Rudolphy - sind heute über 70 Jahre alt. Sie sind die letzten Zeitzeugen, die das Drama von Demmin 1945 aus eigenem Erleben schildern können. Erst seit einigen Jahren erinnert nun auch ein großer Findling auf dem Bartholomäi-Friedhof in Demmin an die fast 1.000 toten Frauen und Kinder. Er trägt als Inschrift die Tagebuchnotiz der alten Lehrerin: "Freitote, am Sinn des Lebens irre geworden".
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"Am Sinn des Lebens irre geworden" - Originalversion
Die ungekürzte Fassung des Textes aus der Reihe "Erinnerungen für die Zukunft" von NDR 1 Radio MV. Download (118 KB)
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Wehrmachtssoldaten halten weiße Tücher hoch. © picture-alliance Fotograf: akg-images
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Dieses Thema im Programm:
NDR Info | 05.05.2015 | 07:08 Uhr
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