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Familie Gersh erhielt mehr als 700 Drohbotschaften
Nun hat Spencer eine Verbindung mit Whitefish – seine Eltern leben dort. Spencers Mutter besitzt in dem Ort mehrere Immobilien und auch Spencer selbst hat in Whitefish Geschäfte, er schaut mehrere Male im Jahr vorbei. Nachdem Spencer seine Ansprache gehalten hatte, schlug Tanya Gersh – eine ortsansässige Immobilienmaklerin – vor, Spencers Mutter solle ihre Immobilie verkaufen, den Erlös für wohltätige Zwecke spenden und sich öffentlich von der rassistischen Weltanschauung ihres Sohnes distanzieren. „Sie profitiert von den Leuten in dieser Gemeinschaft, während sie Richards Arbeit ermöglicht, indem sie ihn ihre Wohnadresse für seine Organisation benützen lässt“, sagte Gersh.
Dann kam der Krieg im Internet. Denn Richard Spencer hat einen Freund: Andrew Anglin. Er betreibt die Website „The Daily Stormer“, die in Anspielung auf die Nazizeitung „Der Stürmer“ so heißt. Anglin veröffentlichte im „Daily Stormer“ mehr als 30 Artikel, in denen er Tanya Gersh angriff, die Jüdin ist. Er veröffentlichte ihre Adresse. Er veröffentlichte ihre Telefonnummer. Er forderte seine Anhänger auf, einen „Trollsturm“ gegen Gersh, ihren Mann und ihren zwölfjährigen Sohn zu entfesseln. Die Familie erhielt mehr als 700 Drohbotschaften. Tanya Gersh litt unter Schlafstörungen. Die Haare fielen ihr aus. Sie hatte Angst, ans Telefon zu gehen.
Und sie war nicht das einzige Opfer der Hasskampagne: In Whitefish leben ungefähr 100 jüdische Familien, sie alle wurden bedroht. Andrew Anglin kündigte an, er und seine Anhänger würden eine bewaffnete Demonstration in Whitefish abhalten. Gleichzeitig formierte sich eine breite Solidaritätsbewegung mit den Juden: Der Bürgermeister von Whitefish erklärte öffentlich, er und die Einwohner des Ortes wollten mit Nazis nichts zu tun haben.
Anglins Aufenthaltsort ist unbekannt
Jetzt hat ein Richter in Montana – er heißt Jeremiah Lynch – beschlossen, dass Andrew Anglin 14 Millionen Dollar an Tanya Gersh bezahlen muss. Es handelt sich hierbei um „punitive damages“, ein Rechtsbegriff, den es nur in angelsächsischen Ländern gibt. „Punitive damages“ sind kein Schadensersatz; es geht nicht nur darum, die erlittene Unbill mit Geld – so weit das geht – auszugleichen. Nein, derjenige, der den Schaden hervorgerufen hat, soll hart bestraft werden.
Der Richter sagte in seiner Urteilsbegründung, er habe Tanya Gersh zehn Millionen Dollar – die höchste Summe an „punitive damages“, die im Bundesstaat Montana möglich ist – wegen der „besonders ungeheuerlichen und abscheulichen Art von Andrew Aglins Verhalten“ zuerkannt. Dann habe er noch einmal vier Millionen für ihre Einkommensausfälle und das ihr angetane Leid draufgeschlagen.
Allerdings hat das Ganze einen Schönheitsfehler: Tanya Gersh wird von dem Geld wahrscheinlich nie einen Cent zu Gesicht bekommen. Der Aufenthaltsort von Andrew Anglin ist unbekannt: Manche sagen, er lebe in Deutschland, andere, er lebe in Russland. Er selbst hat in einem Interview angegeben, er wohne in Lagos, also in Nigeria.
Lebenslänglich plus 419 Jahre Haft für Fields
Jedenfalls kann das amerikanische Rechtssystem ihm nichts anhaben, solange er nicht in die Vereinigten Staaten zurückkehrt. Allerdings sei es nie ums Geld gegangen, sagte David Dinielli, der Anwalt der Klägerin: „Die Bedeutung liegt darin, dass Tanya Gersh, eine Immobilienmaklerin aus einem kleinen Ort in Montana, den Kampf mit einem notorischen Neonazi im Netz aufgenommen und gewonnen hat.“
Zufällig wurde am selben Tag wie Andrew Anglin auch der Terrorist James Alex Fields verurteilt, der am 12. August 2017 sein Auto vorsätzlich in eine Gruppe von antifaschistischen Demonstranten in Charlottesville, Virginia steuerte und dabei die 32-jährige Heather Heyer ermordete. (Trump sagte seinerzeit, es habe sowohl bei den Neonazis als auch ihren Gegnern „sehr gute Leute“ gegeben.)
Fields bekam lebenslänglich plus 419 Jahre Haft – das heißt, er hat keine Chance, jemals wieder entlassen zu werden. Was immer man sonst vom heutigen Amerika halten mag: Dies war für Rechtsradikale, Rassisten und Antisemiten kein guter Tag.