Prozessbericht - Wörterflut
Fitzek wiederholt die Widerlegung aller Feststellungen des Gutachters zum gefühlt unendlich und dritten Mal. In Bezug auf die Aussagen von René S. und seiner Lebenspartnerin betont er, dass er kein Lehrer-Schüler-Verhältnis haben wolle. "Ich will kein Guru sein. Ich will nicht eingreifen. Ich reagiere nur auf Anforderung." Er habe große Schwierigkeiten in der Erziehung ihres Kindes gesehen. Aber er würde sich nie aufnötigen.
Vielmehr gebe er jedem eine Bewertungsskala von 1 bis 10 mit der man selbst festlegen könne, auf welchem Level er eingreifen solle. Bei einer 7 dürfe er beispielsweise bis auf höchster Stufe in den Bereich der Arbeit eingreifen. Bei 8-10 auch in den Privatbereich.
RM: "Und wer das nicht möchte? Gibt es auch eine Null?"
PF: "Natürlich. Wenn ich nicht aufgefordert bin, sehe ich mir nur das Desaster an und greife gar nicht ein, außer wenn es wirklich erforderlich ist. Niemand muss etwas bei mir."
Er würde nur beobachten. Selbst bei "Todsünden wie Trägheit oder Faulheit."
RM: "Und welche Zahl geben sie den anderen?"
PF: "Eine Zehn. Die dürfen mir alles sagen. Die sollen mir sogar alles sagen. Das ist für mich wichtig. Ich gebe jedem meinerseits eine Zehn."
Er müsse aber zugeben, dass er manchmal eine "hohe Intensivität" im Umgang mit anderen an den Tag legen würde. Als Beispiel nennt er einen Mitarbeiter, der wiederholt und entgegen Weisung Urheberrechtsverstöße im Internet begangen habe, was zu kostenpflichtigen Abmahnungen für das KRD geführt habe. Ein Arbeitgeber müsse so jemand abmahnen und dann entlassen. Das wollte er aber nicht. Er habe statt dessen aber mal so richtig auf den Tisch gehauen und das sei für denjenigen bestimmt nicht schön gewesen. Er habe sich auch später dafür entschuldigt aber derjenige habe ihm sogar gedankt. Fitzek wendet sich an einen der KRD-Zuhörer und meint lachend, dass es seitdem doch gut gelaufen sei. Er meine damit natürlich nie die Person. Es ginge ihm immer nur um die Sache.
In dem System würden Fehler hingegen bestraft und da könne er jetzt mit seiner Erfahrung nur sagen, dass die JVA ein Desaster sei. Es gäbe keine ausreichenden Resozialisierungsangebote. Da wären Leute in der JVA, die schon zum fünften oder sechsten Mal im Gefängnis sitzen. Manche würden sogar in der Haftanstalt neue Straftaten planen. Da würde man sehen wie das System vollkommen scheitert.
Er kenne seine Fähigkeit gut, weil er sehr umfassend reflektieren würde. Wenn er verurteilt würde und in Haft säße, wären die Menschen einer notwendigen Alternative zum System beraubt. Das würde er aber noch sehr viel genauer in seinem Abschlussplädoyer ausführen. (Fitzek monologisiert mittlerweile seit mehr als eineinhalb Stunden.)
Wenn er verurteilt wird, würde er der Menschheit nicht mehr dienen wollen, weil er ihr nicht dienen könne. "Höchstens noch als Märtyrer." Er würde mit dem Gericht jetzt gern aushandeln, wie sein Staat zu gestalten sei aber auch das würde er sich für den Schlussvortrag aufheben.
Er sei nicht ausbeuterisch. Er habe keine Ziele. (?) Er gibt immer nur sein bestes. Es gäbe auch Menschen, die in der Stadtwirtschaft arbeiten. Sie wären aber deswegen nicht weniger wert.
"Ich mag Dekadenz überhaupt nicht. Ich kann gar nicht ausbeuterisch sein." Sein Staat sei wie eine urchristliche Gemeinschaft. Sie habe hohe ethische Standards. "Die Probleme im KRD sind einzig und allein den Umständen geschultert... äh geschludert. Den Umständen geschuldet." (Endlich hat sich das Sturmgeschütz der Dummokratie in seinem Reden mal verhaspelt. Manche der längst in Trance verfallenen Zuhörer erwachen. Aber nur kurz.)
Er wiederholt seine Einlassungen zur Menschenwürde. Er zieht erneut über die Bedingungen in der JVA her. Er sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Fehler im System nicht heilbar sind. Das immer verwaschener werdende Protokoll belegt danach: Eine Richterin spielt angelegentlich mit einem Bund Gummis - Fitzek schwallt und redet... und redet und schwallt...
Es ist merkwürdig wie Fitzek seinen Spannungsbogen bis in das gefühlt unendliche auszudehnen versteht. Die Worte prasseln unablässig wie schwerer Regen. Sie lullen ein, sie betäuben. Kaskade um Kaskade ergießt sich über einen. Und während die Zuhörerschaft immer mehr in eine Art von Trance verfällt, schraubt Fitzek seine Sprechgeschwindigkeit und die Lautstärke ganz langsam immer weiter nach oben. Er allein wirkt agil, hellwach und omnipräsent während seine Zuhörer immer tiefer in einem hypnotischen Halbschlaf dämmern.*
Bei seinem Lieblingsthema Gesundheit (wie auch immer er dort gelandet ist) steigert Fitzek sein Stakkato zum Furor. Er sei von Krankenkassen eingeladen worden und habe sein Konzept vorgestellt. Aber keine sei darauf eingegangen. Dabei sei das Gesundheitswesen im System nicht heilbar. Das habe schon Seehofer gesagt und dem dürfe man dort doch wohl glauben. Er habe sein System zuerst mit 60 Personen, die alle vorher nicht krankenversichert gewesen wären, ausprobiert. Und im Ergebnis waren alle: "Chronisch gesund!"
Fitzek fabuliert weiter und beschreibt wie er sich lange um eine Bankgarantie für die Übernahme von etwaigen Großschadensfällen in seiner Krankenkasse bemüht habe. Das sei aber abgelehnt und ihm verweigert worden. "Nur deswegen hätte es die Verflechtungen zwischen der Gesundheitskasse und der Kooperationskasse gegeben, weil wenn Geld gefehlt habe..."
Bei Fitzeks letztem Satz ist die Richterriege plötzlich kollektiv zusammen gezuckt. Fitzek stutzt und stockt.
RM: "Herr Fitzek. Bevor sie jetzt weiter reden, sollten sie überlegen, ob sie das nicht besser mit ihrem Anwalt beraten."
PF: "Ich wollte erklären warum die Geldflüsse zwischen..."
Die zweite Richterin ergreift energisch das Wort: "Herr Fitzek! Sie sind dabei sich um Kopf und Kragen zu reden. Ich kann Ihnen nur dringend raten sich mit ihrem Anwalt zu besprechen."
Fitzek bespricht sich mit Rechtsanwalt Kaufmann und setzt erneut an.
Aber schon nach einem halben Satz bremst nun der Anwalt ihn.
PF: "Na gut. Dann lasse ich das weg."
Nach diesem Aufreger spricht Fitzek wie zuvor weiter. Er sei empathisch, da könne man seine Freundin befragen. Er habe sich beim Finanzamt Wittenberg um die Gemeinnützigkeit der Vereine bemüht. Er habe mit allen dort gesprochen. Aber es seien eben Juristen gewesen.
Dass er für arrogant, egozentrisch und überheblich gehalten werden könne, sei ihm bekannt. "Das scheint manchmal so." Er würde meinen sehr viel zu wissen. Nicht alles in der letzten Konsequenz wie vielleicht ein Wissenschaftler. Aber er wäre sehr gut darin, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Das sei schon in der Schule so gewesen. Er wäre "nein, ich möchte nicht faul sagen" gewesen. Bei interessantem und spannenden Unterricht habe er in allen Fächern eine Eins gehabt. Aber bei Staatsbürgerkunde oder Geschichte: "Vielleicht eine Drei."
Er bestreitet jeden Rassismus. Er wäre kein Rassist und könne keiner sein. Seine Frau sei Ausländerin gewesen und er würde mit jedem reden. Das KRD habe religiöse Freiheit.
Noch einmal würgt er das Gesundheitsthema empor: Die DVD "Macht der Gedanken" habe jedes Mitglied von NeuDeutschland kostenlos erhalten. Daher hätten sie nur 20% Kosten in der Gesundheitskasse gehabt.
Die zweite Richterin unterbricht: "Herr Fitzek. Wenn sie bitte wieder zum Thema kommen könnten."
Es gehe ihm darum Herrschaft über den eigenen Körper auszuüben. Diese Fähigkeit wolle er allen Menschen vermitteln.
Außerdem wolle er noch Angaben zu seinen sozialen Beziehungen machen: Seine Mutter habe früher im Büro gearbeitet. Sein Vater sei Ende 1992 gestorben. Auf Nachfrage von RM erklärt er, dass seine Schwester vorwiegend zuhause wäre aber zeitweise in einer Bäckerei arbeiten würde. Seine Partnerin würde ihm regelmäßig viele Briefe schreiben, die er leider zu selten beantworten könne, weil er so viel zu tun habe.
Er würde sich überhaupt mit jedem gut verstehen... Mit jedem außer vielleicht mit René und seiner Lebenspartnerin, die sich mit einem Zettel auf dem schwarzen Brett davon gemacht hätten. Von denen hätte er nie wieder etwas gehört.
Plötzlich herrscht eine überraschend jähe Stille im Saal
Das Publikum beginnt damit sich alle Glieder zu reiben. Der Gutachter wird entlassen. Fitzek reicht über seinen Anwalt noch Schriftstücke ein. "Dieser Brief, der belegt, dass die BaFin nach Nase handelt." Und einen dicken Hefter mit "rechtlichen Ausführungen".
Was für eine Show...
*
(wenn Fitzek, wie schon oft beschrieben, diese Form der Ansprache über sechs Stunden hinweg und noch länger aufrecht erhalten kann, bin ich mir sicher, dass er vielen seiner Zuhörer eine Menge einreden kann. Der konkrete Inhalt des Wortstroms ist dabei nahezu beliebig. Es kommt nur auf die ständig in unendlichen Varianten wiederholten zentralen Aussagen an, die sich bei passender Disposition massiv festsetzen können. Wie der Glaube an die unablässig unterstrichene Macht, Größe, Weisheit und Überlegenheit des Anführers. Das sind bekannte Mechanismen, die so oder ähnlich auch von Scientology und anderen destruktiven Sekten und Kulten angewendet werden.)