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Aber trotz der mittlerweile hohen Gefahr, dass ein ganz gewaltiger Schlag die britische Wirtschaft und Gesellschaft treffen wird und obwohl absehbar ganz Europa davon in Mitleidenschaft gezogen werden wird, herrscht mittlerweile eine derartige Agonie und ein Desinteresse, dass CNN durchaus treffend titelt: "Brexit - a boring train wreck". Ein langweiliges Zugunglück.
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Und zwar nicht nur auf Seiten der EU,...
Nicht "nicht nur", sondern "nicht" - in Merry Old England ist das gar kein Thema, noch nicht einmal an einem Hauptschnittpunkt mit der EU wie Dover.
Ich komme gerade von einer Woche Kurzurlaub in Südengland zurück und bin schon ein bißchen erschüttert, daß der alte Grundsatz (der witzigerweise auf dem Anhänger unseres Cottageschlüssels vermerkt war) "Keep calm and carry on" allgegenwärtig ist.
Gut, ich besuchte einen Markt für Oldtimerfahrzeuge und deren Teile (bei uns in der Oldtimerszene schlägt sich die aktuelle politische und gesellschaftliche Großwetterlage generell nicht nieder, so ist hier die deutsche Teilung unverändert präsent), aber entgegen zarter Erwartungen gab es dort keinerlei Anzeichen von Unsicherheit ob der kommenden Zeiten -die sich dann in den Preisen niederschlagen würden-, obwohl eigentlich in Krisenzeiten Spielzeuge wie Oldtimer, Antiquitäten, Sammlerstücke oder Kunstgegenstände als Erstes abgegeben werden, um über die Runden zu kommen.
Frappierenderweise spielt der Brexit auch in den Köpfen so gut wie keine Rolle, noch nicht einmal bei denen, die zumindest theoretischerweise betroffen sein könnten.
Wenn ich das Thema anschnitt, etwa bei einem Bekannten, einem exzentischen Autofreak mit einem Faible für skurrile Autos sowie für Nordkorea (wir denken daran, noch einmal dorthin zu reisen -er war auch schon dort-, um das Geheimnis der legendären 1000 Volvos zu lüften), dann kam nur ein verdruckstes "Naja, mal sehen, irgendwie wird schion was gehen" als Antwort - und dabei betreibt er nebenberuflich ein Lieferservice für Autoteile und Antiquitäten in die EU.
Ebenso war die Reaktion bei einem Handel für historische Möbel, als wir auf die Ankündigung, daß die nachgefragten Stühle bis April 2019 verliehen seien, fragten, wie denn deren Export nach dem 29.3. vonstatten gehen sollte.
Ganz offensichtlich ist der Brexit in den britischen Köpfen noch nicht angekommen.
Der Fährhafen von Dover war noch so ein Quell unbändigen Verwunderns. Da passiert nix! Alles gammelt vor sich hin, es ist supereng, die Fahrspuren sind teils übereinander verlegt, keinerlei Bautätigkeit ist erkennbar, es gibt kein richtiges Terminal (die Klos sind versteckt unter eine stillgelegte Verladerampe gequetscht), einige Gebäude sind leer, umzäunt und das Unkraut sprießt (gut für unsere Hündin. Sie benötigt für den Stuhlgang Gras, und sei der Büschel noch so winzig).
Auch im Ort und drumherum - nichts passiert dort.
Auf der französischen Seite werden in Calais und Dünkirchen dagegen riesige Flächen für neue Wartespuren planiert und geteert.
Reichlich erstaunt und ein bißchen erschüttert haben wir Glorious Britain wieder verlassen. Mal sehen, ob es in ein paar Monaten (wir wollen noch mal hin, ein paar ins Auge gefaßte Sachen abgreifen) anders aussieht.
P.S. auf dem Briefkasten in dem Dörfchen, in dem wir weilten, prangte ein "V R"