Äh, ist der Austrittsmechanismus nicht längst verbindlich gestartet? Eine einseitige Möglichkeit, diese zurückzuziehen, ist nicht vorgesehen.
Das meine ich eigentlich auch, weshalb ich ja auch von einer "risikoreichen Strategie" schrieb, falls es denn wirklich darum gehen sollte, durch Präsentation eines "unzumutbaren" Verhandlungsergebnisses einen Sinneswandel in der Bevölkerung zu provozieren und den Brexit gleichsam fünf vor Zwölf abzublasen.
Staatsrechtlich ist ein Referendum in GB wohl tatsächlich unverbindlich, das letzte Wort hat das Parlament. Somit könnte dieses grundsätzlich den Volksentscheid übergehen.
Die wichtigere Frage ist aber die: Die Mitteilung über den Austritt ist eine von der Regierung abgegebene völkerrechtliche Erklärung. Sie löst den Austrittsmechanismus laut EU-Vertrag aus. Ist eine Rücknahme dieser Erklärung möglich? Würde eine solche den Austrittsmechanismus aufhalten oder beenden? Oder müsste die EU dieser Rücknahme und einem Verbleib zustimmen?
Es gibt im EU-Vertrag dazu keine eindeutige Bestimmung, es gibt auch keinen Präzedenzfall.
Allerdings ist ja seitens der EU die Freude an einem Brexit eher klein. Da bekanntlich, wo ein Wille ist, auch ein Weg ist, ist immerhin denkbar, dass von "streng rechtlichen" Gesichtspunkten abgesehen und ein Entscheid, in der EU bleiben zu wollen, allgemein akzeptiert würde. (Es wäre dann auch nicht das erste Mal, dass die EU-Verträge eigenwillig ausgelegt oder sogar offensichtlich missachtet würden.)
Das Verbleiben im gemeinsamen Markt zu den bekannten Bedingungen als Verhandlungsergebnis käme einer dauerhaften Besteuerung ohne Vertretung gleich. Das kann nicht gut gehen, jedenfalls als Dauerlösung.
Hüstel, es gibt den EWR mit Liechtenstein, Island und Norwegen als Mitgliedern. Diese haben in der EU auch so gut wie nichts zu sagen, dürfen aber fast alle Regeln des gemeinsamen Marktes, der Zollunion usw. übernehmen. Ein Austritt aus dem EWR oder ein Beitritt als Vollmitglied zur EU zeichnet sich in diesen Ländern nicht ab. Von der Schweiz, die nur über bilaterale Abkommen in den gemeinsamen Markt und in den Schengen-Raum eingebunden ist, gar nicht zu reden. (Allerdings ist die Schweiz nicht Mitglied der Zollunion.)
Was "no taxation without representation" angeht, war dies historisch eher ein Problem jenseits des Atlantiks, jedoch nicht in GB selbst.