Razzien gegen Neonazi-Netzwerk in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessenvon Axel Hemmerling, Johanna Hemkentokrax und Ludwig Kendzia
Stand: 26. Februar 2021, 17:45 Uhr
Hunderte Polizisten haben am Freitag zahlreiche Objekte von Neonazis in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen durchsucht. Sie sollen in Bruderschaften mit Drogen und Waffen gehandelt und die Gewinne gewaschen haben.
SEK Thüringen dringt in Ballstädt über einen Leiterwagen in ein Haus in Ballstädt im Kreis Gotha ein.
Ballstädt im Kreis Gotha vor Tagesanbruch: Das SEK Thüringen dringt über einen Leiterwagen in ein Haus ein, das von Neonazis bewohnt wird. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Nach Angaben des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) wurden 27 Wohn- und Geschäftsräume in Gotha, im Landkreis Gotha, in Bad Langensalza, im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, in Sachsen-Anhalt und in Hessen durchsucht. 23 Durchsuchungen seien am Freitag abgeschlossen worden, vier sollten am Sonnabend beendet werden.
Schwerpunkt des Polizeieinsatzes war der Raum Gotha. Rund 500 Polizeibeamte waren im Einsatz, darunter das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Thüringer Polizei. Sie wurden durch Polizeihunde unterstützt. Bei dem Einsatz in Sachsen-Anhalt durchsuchte dessen Spezialeinsatzkommando eine Wohnung im Burgenlandkreis.
Von der SEK beschlagnahmte Waffen, in Plastikfolie eingepackt.
Waffenhandel und Geldwäsche: Razzia bei Nazi-Netzwerk
Nach Informationen von MDR THÜRINGEN geht es um den Verdacht von Drogengeschäften, Waffenhandel und Geldwäsche. Das Verfahren richtet sich gegen 21 Beschuldigte. Ein Großteil soll Mitglied in den Neonazi-Bruderschaften Turonen und Garde 20 sind. Zehn Beschuldigte wurden festgenommen. Gegen acht Beschuldigte hatte das Amtsgericht vorher Haftbefehle erlassen. Bei einem weiteren Beschuldigten wurden Drogen gefunden, gegen eine zehnte Person lag ein Haftbefehl in einer anderen Sache vor.
Crystal Meth, Heroin und 120.000 Euro beschlagnahmt
Die Beschuldigten im Alter zwischen 24 und 55 Jahren sollen seit Jahren einen groß angelegten Drogenhandel in Thüringen betrieben haben. Zudem stehen sie im Verdacht, die Gewinne aus diesen Drogengeschäften gewaschen zu haben. Bei der Geldwäsche spielt offenbar auch ein Szene-Anwalt eine Rolle. Darum wurde seine Kanzlei in Hessen ebenfalls durchsucht, er selbst ist unter den Festgenommenen. Nach Angaben von Thüringens LKA-Präsident Jens Kehr wurde ein Kilogramm Drogen gefunden. Es handele sich um Heroin und Crystal Meth. Außerdem seien 120.000 Euro und Waffen beschlagnahmt, die vermutlich scharf seien. Am Morgen hatte das LKA zudem berichtet, es sei eine Limousine gepfändet worden.
Razzia gegen Neonazi-Netzwerk in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen
Drogen und Geldwäsche: Hunderte Polizisten gehen bei Razzia gegen Neonazi-Netzwerk vor
Razzien seit Monaten vorbereitet
Die großangelegte Operation war von den Spezialisten des LKA-Dezernates 62 "Organisierte Kriminalität" über Monate vorbereitet worden. Die Vorwürfe wiegen schwer: Mitglieder der Neonazi-Bruderschaft Turonen und der Garde 20 sollen seit Jahren weite Teile des Drogenhandels in Thüringen organisieren. So sollen sie allem Anschein nach ein Netzwerk unter anderem für den Verkauf von Crystal Meth aufgebaut haben. Dazu sollen auch Waffengeschäfte kommen.
Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN soll es entsprechende Verkäufe mit Quellen im europäischen Ausland gegeben haben. Brisant dabei ist, das die Neonazis offenbar mit einer hohen kriminellen Professionalität vorgegangen sind. Aus Ermittlerkreisen heißt es, dass sie wie Gruppen in der Organisierten Kriminalität (OK) agieren. Dazu gehört auch der Verdacht, dass das Neonazi-Netzwerk offenbar die Gewinne aus seinen Drogengeschäften gewaschen hat. Eine Vorgehensweise, die vor allem bei Mafia-Gruppen bekannt ist.
Offenbar waren die Neonazis auch im Rotlicht-Milieu aktiv. Allein in Gotha sollen sie ein Bordell betrieben und ein zweites geplant haben, auch dort wird zur Stunde durchsucht.
Razzien in Thüringen: Mehrere Festnahmen und Drogenfunde
SEK Thüringen dringt in Ballstädt über einen Leiterwagen in ein Haus in Ballstädt im Kreis Gotha ein.
Polizisten laufen auf ein gelbes Gebäude zu.
Mehrere Polizisten stehen vor einem Gebäude in Ballstädt.
Ein Polizeiwagen steht vor einem orangefarbenen Gebäude.
Polizisten laufen über ein großes Fabrikgelände.
LKA Thüringen zeigt Bargeld und Waffen, die bei Durchsuchungen von Objekten mutmaßlicher Neonazi-Drogenhändler beschlagnahmt wurden.
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Innenminister: Harter Schlag gegen rechtsextreme Strukturen
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hofft, dass im Zuge der Ermittlungen gegen ein mutmaßlich kriminelles Neonazi-Netzwerk in Thüringen dessen Strukturen nachhaltig zerstört werden können. "Ich messe dem einen hohen Stellenwert bei. Das ist ein harter Schlag gegen eine der herausragenden rechtsextremen Strukturen in Thüringen", sagte Maier am Freitag. Er hoffe, dass "diese Ermittlungen dazu führen, dass wir diese Strukturen der organisierten Kriminalität und des Rechtsextremismus beseitigen können". Auch die Rechtsextremismusexpertin der Thüringer Linke-Fraktion, Katharina König-Preuss,ist davon überzeugt, dass die Razzien Auswirkungen auf die komplette Neonazi-Struktur in Thüringen und darüber hinaus haben werden.
Informationen von Verfassungsschutz
Der Auslöser für das Verfahren gegen das Neonazi-Netzwerk war nach Informationen von MDR THÜRINGEN eine geheime Abhöroperation des Thüringer Verfassungsschutzes. Der Nachrichtendienst soll vor über zwei Jahren einige der führenden Köpfe der Turonen und der Garde 20 überwacht haben. Dabei ging es vor allem um die Informationen über mutmaßliche Waffengeschäfte. Bei ihrer Operation bekamen die Agenten mit, dass es auch um Drogenhandel im großen Stil ging. Diese Informationen leiteten die Verfassungsschützer an das Thüringer LKA weiter, das strafrechtliche Ermittlungen aufnahm.
Zuerst wurde das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Erfurt geführt. Als sich die Hinweise auf Drogenhandel und Geldwäsche weiter verdichteten, wurde das Verfahren an die für Organisierte Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Gera abgegeben.
Spuren zu Überfall von Ballstädt
Mehrere Polizisten stehen vor einem Gebäude in Ballstädt.
Das "Gelbe Haus" in Ballstädt. Bildrechte: MDR/Axel Hemmerling
Durchsucht wurde auch die Neonazi-Immobilie "Gelbes Haus" in Ballstädt im Landkreis Gotha. Der Ort hatte 2014 für bundesweite Schlagzeilen gesorgt, als Neonazis eine Kirmesgesellschaft überfallen und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzte hatten. Unter den damals beschuldigten Neonazis sind mindestens zwei, die in dem aktuellen OK-Verfahren auf der Liste der Fahnder stehen.
Nach einem langwierigen und aufwendigen Gerichtsverfahren gab es Haftstrafen für die Schläger von Ballstädt. Im Mai 2020 kassiert der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil wegen Formfehlern. Das Mammutverfahren muss nun mit allen Beteiligten noch einmal ganz von vorn aufgerollt werden. Mitte Januar hatte MDR THÜRINGEN öffentlich gemacht, dass die Staatsanwaltschaft Erfurt und die Verteidiger der Angeklagten über einen Deal verhandeln, um das Verfahren abzukürzen. Wie sich die neuen OK-Ermittlungen gegen einige der Ballstädt-Schläger auswirken bleibt abzuwarten.
Neonazi-Bruderschaft im Konzertgeschäft aktiv
Die Turonen und die Garde 20 sind Neonazi-Bruderschaften, die ähnlich wie kriminelle Rockerbanden entsprechende Symbole benutzt. So tragen sie in der Öffentlichkeit Kutten, wie es auch bei Rockern üblich ist. Zudem gibt es eine strenge Hierarchie innerhalb der Bruderschaft. So gibt es vollwertige Mitglieder und Anwärter, was über entsprechende Abzeichen an den Kutten zu sehen ist.
Teilnehmer werden von Polizisten vor dem Veranstaltungsgelände Hotel Neisseblick an der Grenze zu Polen kontrolliert.
Besucher eines Rechtsrockkonzertes. Die Turonen und die Garde 20 sind auch in der Konzertszene aktiv. Bildrechte: imago/Paul Sander
Das Netzwerk der Turonen und der Garde 20 soll sich 2015 gegründet haben und geht aus verschiedenen Vorläufer-Gruppen hervor. Seit dieser Zeit sind sie im Neonazi-Konzertgeschäft aktiv.
Darunter auch in Kirchheim im Landkreis Gotha, wo sie regelmäßig als Veranstalter aufgetreten sind. Zudem gibt es auch gute Kontakte in die Schweiz, wo die Turonen in Unterwasser ein Neonazi-Konzert veranstaltet haben.
Es spielten mehrere bekannte deutsche und internationale Neonazibands, die Bilder der vollen Konzerthalle und der massenweise gezeigten Hitlergrüße sorgten nicht nur in der Schweiz und Deutschland für Empörung. Angeblich sollten mit dem Geld, das das "Rocktoberfest" in die Taschen der Veranstalter spülte, die Prozesskosten des Ballstädtangriffs finanziert worden sein.
Kriminelle Vorgeschichte
Die meisten Mitglieder der Turonen sind seit Jahren hochkriminell und einschlägig bei der Polizei bekannt. Sie sind immer wieder durch schwere Straftaten aufgefallen. Laut einer Antwort der Thüringer Landesregierung an die Linkenabgeordnete Katharina König-Preuss waren es alleine 32 Verfahren seit 2019, die von Personen begangen wurden, die den Turonen zuzurechnen sind. Dabei ging es um Körperverletzung, Volksverhetzung, Betrug, Hehlerei, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch und andere Delikte.
Quelle: MDR THÜRINGEN