Es sind 31 Briefe von Hitlers Vater Alois gefunden worden mit bisher unbekanntem Inhalt, ein Wirtschafts- und Sozialhistoriker hat ein Buch daraus gemacht.
Einiges kommt uns durch unsere Kundschaft bekannt vor: Viel wissen und vor allem besser wissen, aber nix können.
Oder so ähnlich.
(Eine päpstliche Dispens erhält man damals einigermaßen leicht, wenn man nur die geforderten Gebühren bezahlt, der Vatikan muß ja auch leben.)
Spoiler
Erkenntnisse über Jugend
Was entdeckte Briefe seines Vaters über Adolf Hitler aussagen
23.02.2021 | Stand 23.02.2021, 06:14 Uhr
Stefan Rammer
Der 1947 in Rohrbach (Mühlviertel) geborene Wirtschafts- und Sozialhistoriker Prof. Roman Sandgruber kann mit den auf einem Dachboden gefundenen Briefen die Kindheit und Jugend Adolf Hitlers neu erzählen. −Fotos: Harald Eisenberger/Molden
Auf einem Dachboden in Oberösterreich sind 31 Briefe von Alois Hitler gefunden worden. Der spektakuläre Fund ermöglicht einen neuen Blick auf die Kindheit und Jugend seines Sohnes Adolf Hitler.
Das ist der Hammer! Bei der Quellenarmut ein dermaßener Fund!" Das geht Roman Sandgruber durch den Kopf, als er einen ersten genaueren Blick auf die Briefe richten kann. Der emeritierte Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz schreibt jede Woche eine historische Kolumne in den "Oberösterreichischen Nachrichten". Da erscheint er Anneliese Smigielski vor vier Jahren als der richtige Adressat für eine E-Mail mit dem Satz, sie habe Hitler-Briefe, ob er sie sehen wolle. "Ich habe das, ehrlich gesagt, zunächst nicht ernst genommen. Was sollte es da noch geben? Ich habe aber dann doch geantwortet, dass ich mir den Fund ansehen will."
So der Wissenschaftler, der dann aber, wie er erzählt, als er vor Ort in Wallern vor dem Dachbodenfund steht, schnell eines Besseren belehrt wird. Es ist ein ganzes Bündel von vergilbten Briefen, gerichtet an den Urgroßvater der Finderin, den Straßenmeister Josef Radlegger, der Alois Hitler ein Haus in Hafeld verkauft hat. In der Familie habe man zwar von dem Verkauf schon immer gewusst, aber dass es dazu noch Briefe gibt, war unbekannt. Die Finderin kann zwar die Kurrentschrift nicht lesen, wohl aber den Namen des Absenders Alois Hitler. Der herbeigerufene Sandgruber macht sich rasch an die Transkribierung der Briefe. Schnell wird ihm klar: "Die Briefe, in denen Adolf zwar nur zweimal erwähnt ist, lassen viele neue Erkenntnisse über das Kind und den Jugendlichen zu."
Prägung als Antisemit und Rassist schon in Linz
Es gibt eine schier unüberblickbare Literatur über Adolf Hitler, etwa 150.000 Bücher, so ziemlich jedes Thema ist behandelt. Es gibt aber kein Buch über "Hitlers Vater" Alois. Nach vier Jahren ausgedehnter Forschungsarbeit legt der Linzer nun dieses Buch vor und versieht es mit dem Untertitel "Wie der Sohn zum Diktator wurde". Darin kann er liebgewordene Mythen zerstören und vieles geraderücken. So entdeckt er, dass die Familie Hitler nach der Versetzung des Vaters im Mai 1895 nach Linz nicht noch weiter in Passau gewohnt hat, sondern in Urfahr bei Linz. Delikat: Der damalige Hausherr Leopold Mostny war der reichste Bürger Urfahrs und der größte jüdische Industrielle von Linz. Sandgruber kann alte Quellen neu interpretieren oder solche, die nie ordentlich gelesen wurden, etwa ein Gutachten, das Eduard Huemer, Lehrer am Linzer Realgymnasium, nach dem gescheiterten Putsch in München von 1923 für den Hochverratsprozess gegen Adolf Hitler geschrieben hat. Darin wird deutlich, dass Adolf mit seinem Bruder Alois verwechselt worden war, der 1895 einen Skandal verursacht hatte und von der Schule geflogen war. Dieser Vorfall und dass der Halbbruder Alois dann in Wien kriminell geworden ist, ist insofern wichtig, weil der Vorfall dem Vater einen massiven Schock versetzt und ihn veranlasst, auch den jüngeren Adolf besonders hart anzufassen. Eine solch blamierende Geschichte sollte sich nie mehr wiederholen.
Ganz wesentlich ist auch ein weiterer Fund, der Sandgrubers neue Sicht stützt. Die Enkelin von Adolf Hitlers Jugendfreund August Kubizek hat dessen Unterlagen zugänglich gemacht, darunter die Urfassung von dessen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Hitler in Linz. Diese handgeschriebene Urfassung aus dem Jahr 1943 unterscheidet sich stark von einem 1953 veröffentlichten Buch und ermöglicht eine viel kritischere Sicht auf die Linzer Jugendjahre. In der Literatur wird heftig diskutiert, wann und warum Hitler zum Antisemiten geworden ist. Die Historikerin Brigitte Hamann meint, das sei in Wien geschehen. In "Mein Kampf" schreibt Hitler selbst, dort seien ihm die Augen geöffnet worden. Die Historiker am Münchner Institut für Zeitgeschichte sehen München als Ausgangspunkt. Sandgruber kommt nach der Urfassung von Kubizeks Erinnerungen nun zu dem Schluss, dass Hitler schon in Linz diese Prägung erhalten hat und bereits als Antisemit nach Wien gegangen ist. Gerade mal zwei Monate in der Hauptstadt tritt er dort schon dem Antisemitenbund bei – auch hierfür findet Sandgruber den Beleg – da muss man lange vorher schon zum radikalen Antisemiten geworden sein. Sandgruber kommt auch zu dem Schluss, dass Hitlers Rassismus, ein Vordenken der Eugenik und des Ausmerzens von Unnützem bereits in Linz angelegt ist. Dort sei er – anders als in der Großstadt – mit der Zigeunerfrage konfrontiert gewesen, die ständig diskutiert worden sei. So seien nationalistischer Fremdenhass, Kirchenfeindschaft oder rassistische Zielsetzungen grundgelegt worden.
Schicklgruber: Dunkle Lücke im Stammbaum
Das Elternhaus und alles, was dort passiert, die häufigen Wohn- und Schulortwechsel, die vielen Schicksalschläge prägen. Sandgruber kann das sehr differenziert darlegen. Alois Hitler muss zwei Ehefrauen und vier Kinder zu Grabe tragen. Aus der Ehe mit der dritten Frau Klara sterben die in Braunau geborenen Gustav, Ida (beide an Diphterie), Otto (Wasserkopf) und der in Passau geborene Edmund (an Masern). Wer ist dieser als Alois Schicklgruber im Waldviertel geborene Mann, der seinen Namen erst als 40-Jähriger in Hitler ändern lässt, um eine Quasilegitimierung seiner unehelichen Geburt herbeizuführen? – Adolf Hitler, der als "Führer" auf den Ahnenpass so viel Wert legt, bekommt so eine dunkle Lücke im Stammbaum, weil mögliche jüdische Glieder oder gar inzestuöse Verbindungen diskutiert werden. Alois, der als Schuhmachergeselle beginnt, macht eine beachtliche Beamtenkarriere beim Zoll. Er ist k.k. Zolloberamtsoffizial, als er 1895 in Pension geht.
Die 31 Briefe, so Sandgruber, legen ein gehöriges Quantum Innenleben frei. Es ergibt sich das Bild eines kenntnisreichen Mannes, der schriftgewandt ist, Briefe schreiben kann mit wohlgestalteten Anreden und Schlussadressen, der höflich ist und sich im Wirtshaus gut darstellen kann. Ein Mann, der glaubt, dass er durch sein angelerntes agrarisches Wissen und sonstige Fachkenntnis um vieles gescheiter ist als seine Umgebung, auch als die Notare, Richter, Geometer, überhaupt alle Akademiker, sowieso klüger als die Mägde und Knechte, die er nach dem Bauernhofkauf 1895 zu dirigieren hat. Nur, dass angelesenes Wissen in der Praxis nichts nützt, er keine Kuh melken kann oder er nicht mit der Sense mähen kann – und er letztlich als Großbauer scheitert. Er kann es einerseits aber mit den Leuten, macht sich andererseits durch seinen Hochmut und seine Arroganz und vor allem durch seine Brutalität letztlich doch überall unbeliebt. So gefürchtet er im Kollegenkreis war, so bleibt er es bei den Untergebenen und vor allem bei den Kindern, die seine ungeheure Härte immer wieder zu spüren bekommen.
Sandguber: Adolf Hitler macht nach, was er beim Vater sieht
Sandgruber entlarvt etliche Fehlzuschreibungen. Man dürfe Alois Hitler nicht als Bienenzüchter oder Wirtshaussitzer abtun. Im Wirtshaus wird damals Politik gemacht. Da tut sich Alois als Deutschnationaler hervor, als solcher schreibt er auch Leserbriefe und Texte in der "Linzer Tages-Post". Und Bienenzüchten, das ist damals in Mode und eine wichtige agrarische Tätigkeit. "Der Alois Hitler war mehr als ein Spießbürger", so Sandgruber, der feststellt, dass sich hier ein Muster abzeichnet, das der junge Adolf annimmt und später wiederholt. Er macht nach, was er beim Vater sieht. Er glaubt auch, dass man in der Schule nur Unsinn lernt, dass man durch sein Genie ohnehin alles besser weiß. Er liest sich viel an, hält sich dadurch für gebildet und alle rundherum nur für Stümper, die Architekten, die Militärs, die Akademiker. "In der Selbstüberschätzung und fehlenden Kritik gegen sich selbst, verbunden mit der Verachtung anderer, ist wohl die stärkste Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn zu erkennen." Beim Sohn freilich wird das zur staatspolitischen Katastrophe.
Ein Säufer und Weiberheld sei Alois nicht gewesen, ein Haustyrann aber sehr wohl. Und Klara, die um 23 Jahre Jüngere, wer war sie? Nun sie war zunächst seine Großcousine. Hätte sich ihr Großvater Johann Nepomuk 1876 als Vater von Alois deklariert, was durchaus fast passiert wäre, wäre eine Ehe aus Inzestgründen nicht möglich gewesen. So aber gibt es eine päpstliche Inzestdispens, ist die Heirat möglich. Klara nennt ihren Gatten noch eine Zeit lang Onkel. Ihr Bild hat Joseph Goebbels in den Tagebüchern dem nationalsozialistischen Frauenbild entsprechend so gezeichnet: "die Mutter eine Quelle der Liebe und Güte".
Hitler-Mutter als selbstbewusste Frau
Aus den gefundenen Briefen aber schält sich eine Frau mit durchaus mehr Qualitäten heraus. Sie bringt viel Geld in die Ehe, das es erst ermöglicht, dass man zu Hausbesitzern wird. Sie kann wirtschaften, agiert sehr selbstständig, entscheidet alleine. Als handfeste Frau weiß sie, wie man ein geschlachtetes Schwein zerlegt, wie man Kühe melkt oder Hühner rupft. Sie geht wie selbstverständlich ins Wirtshaus und bestellt sich dort ein Bier. Von wegen unterdrückte Gattin, die vom Mann nur ausgenutzt wird. Sie ist eine durchaus selbstbewusste Frau, strukturiert disponierend, die Post, Geldgeschäfte und Korrespondenzen erledigt. "Meine Frau ist gerne thätig und besitzt die nöthige Freude und auch das Verständnis für eine Ökonomie", schreibt Alois an Radlegger.
Das Buch ist eine wahre Fundgrube zu den Anfangsjahren Adolf Hitlers. Die Last aus der Provinz zu kommen – ihr konnte der spätere Diktator und Massenmörder zeitlebens nicht entkommen. Sandgruber zeichnet jene Orte nach, die Alois Hitler vor und nach der Geburt Adolfs bewohnt, eine wahre Odyssee durch die Provinz, wobei dem Geburtsort Braunau und der Zeit in Passau (1892 bis 1894) nur symbolische Bedeutung zugemessen wird. Braunau, das steht für Adolf für geboren 1889 an der Grenze der beiden deutschen Staaten, und Passau, da kann er später darauf verweisen, dass er schon in seiner Kindheit ein Deutscher gewesen ist. "Der erste Reichskanzler aus Bayern" heißt es 1933 in einer Politwerbung.
Die Legenden von der Rettung aus Gewässern
Sandgruber zeichnet hier jene Anekdote nach, nach der der vierjährige Adolf von einem Spielkameraden aus dem winterkalten Inn gezogen und gerettet worden sein soll. Er verweist sie ins Reich der Legenden, wie soll ein Vierjähriger (der spätere Priester und Kirchenmusiker Johann Nepomuk Kühberger) einen Vierjährigen am steilen Ufer des reißenden Inns aus dem gefährlich eingebrochenen Eis retten? Derlei Heldenerzählung wiederholt sich später an allen Gewässern, an denen Hitler wohnt, am Stegbach und an der Alm in Hafeld, am Mühlbach und an der Traun in Lambach und selbst in Leonding, das von der Donau doch ein Stück entfernt ist. Aber aus der Dreiflüssestadt Passau habe er durchaus was mitgenommen, so Sandgruber, hier habe Hitler, der seine Sprache später selbst als niederbayerisch charakterisierte, in den Jahren, wo man die Sprache am stärksten geprägt bekommt, eine gewisse Dialektfärbung bekommen. Darüber und über vieles mehr ist in diesem Buch, das den Leser atemlos macht, zu lesen.