Das Attentat von Halle, Stephan Ballier und Attila Hildmann., echte "thoitsche Traditionspflege" und "Rechtsblindheit".
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Von Stephan B. bis Attila Hildmann Die neuen Antisemiten wollen gesehen werden
Sie posaunen ihre Ansichten heraus, wollen Publikum. Der Hass auf Juden wagt sich aus der Verborgenheit heraus. Das erfordert neues Handeln. Ein Gastbeitrag. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Die FDP-Politikerin war Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesjustizministerin und ist heute stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen.
Hans-Dieter Weber hat keinen einfachen Job. Als Pflichtverteidiger vertritt er im wohl aufsehenerregendsten Strafprozess des Jahres den Halle-Attentäter Stephan B. vor Gericht. In einem kurzen Statement erklärte Weber, sein Mandant sehe Kräfte am Werk, die im Verborgenen wirkten, aber sehr einflussreich seien und auf die Politik einwirken könnten.
Um welche Kräfte es sich dabei handelt, stellte der Angeklagte gleich zum Prozessauftakt klar: Juden lenkten Flüchtlingsströme direkt nach Deutschland, sie seien verantwortlich, dass Muslime ihn aus der Gesellschaft verdrängen. Eine Synagoge anzugreifen und möglichst viele Juden zu ermorden, ist in der kruden Logik des Stephan B. daher nur folgerichtig. Pflichtverteidiger Weber kommentierte: „In seinem Weltbild ist es halt so, dass er andere verantwortlich macht für seine eigene Misere und das ist letztendlich der Auslöser für dieses Handeln.“
Die Ansichten, Annahmen und Aussagen des Stephan B. erschrecken, aber sie überraschen leider nicht. Der Angriff auf eine Synagoge in Halle war nur der jüngste Ausschlag einer blutigen Spur antisemitischer Gewalttaten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Unvergessen bleibt der Mord am jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen, zu oft vergessen werden die unzähligen Brandanschläge auf Synagogen, jüdische Schulen, Kindergärten, Cafés und Friedhöfe überall im Land.
Das vergangene Jahr bildete in der jüngeren Geschichte des deutschen Antisemitismus einen Tiefpunkt: Mit mehr als 2000 erfassten Gewalttaten gegen Juden meldete das Bundesinnenministerium einen Höchstwert seit Beginn der statistischen Aufzeichnung vor etwa 20 Jahren. Wer angesichts dieser Zahlen noch warnt, „Wehret den Anfängen“, verkennt, dass es dafür viel zu spät ist.
Antisemitismus ist kein abstraktes Schreckgespenst, sondern bittere Realität im Alltag der etwa 94.000 in Deutschland lebenden Juden. Auf dem Schulhof, im Büro und im Seniorenheim sehen sich Juden aller Altersgruppen und Einkommensklassen mit latentem wie offenem Antisemitismus konfrontiert. Die Angst in jüdischen Gemeinden vor Übergriffen und sozialer Ausgrenzung wächst seit Jahren – und das aus berechtigten Gründen, wie der Anschlag in Halle gezeigt hat.
In der Wortwahl, Argumentation und Logik ähneln die Aussagen des Halle-Attentäters denen des infamen Fernsehkochs Attila Hildmann, der zuletzt mit antisemitischen Äußerungen über Zionisten, die angeblich die deutsche Rasse auslöschen wollen, polizeiliche Ermittlungen auf sich zog. Hildmann wedelte bei einer Demonstration am vergangenen Wochenende mit einer Reichskriegsflagge aus den Jahren 1933-35 vor jubelnden Zuschauern und nannte Hitler „einen Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel“. Spielte sich Antisemitismus lange Zeit geächtet im Verborgenen ab, geht es den heutigen Antisemiten vor allem darum, gesehen zu werden.
So war es auch das erklärte Ziel von Stephan B., ein Zeichen zu setzen, dass antisemitische Attentäter in aller Welt nicht allein sind. Auch deshalb sei „die Aufnahme, die Übertragung wichtiger als die Tat selbst“ gewesen, wie der Attentäter selbst vor Gericht angab. Stephan B. ist in diesem Sinne kein wahnsinniger Einzeltäter, er ist Teil einer Reihe antisemitisch motivierter Straftäter, die sich mithilfe von Verschwörungsmythen in rechten Netzwerken radikalisiert haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Menschen auch Hildmanns vom Wahnsinn durchzogene Thesen aufgreifen und die aus ihrer Sicht „logischen“ Konsequenzen daraus ziehen.
„Die Gaskammer ist nicht der Holocaust, der Holocaust endete dort“
Stephan B. hat seine Tat offen gestanden, er wird vor Gericht verurteilt werden. Gegen Atilla Hildmann ermittelt der Staatsschutz. Sie sind sichtbare Köpfe des gegenwärtigen Antisemitismus, gegen sie kann der Rechtsstaat präzise vorgehen. Doch Judenfeindlichkeit beginnt viel früher, in Sprüchen, Vorurteilen, Beleidigungen – in den Worten der Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch: „Die Gaskammer ist nicht der Holocaust, der Holocaust endete dort.“
An dieser Prämisse muss der Kampf gegen den Antisemitismus ansetzen. Konzepte gibt es viele, finanziell ausgestattet und umgesetzt werden zu wenige. Seit Jahren fordern Politiker, Aktivisten und Betroffene, Projekte und Initiativen im Bereich der Prävention und Intervention zu stärken, die nicht nur auf wenige Monate oder Jahre befristet sind.
Dazu gehört auch die nachträgliche und thematische Aufarbeitung der Geschichte des Antisemitismus in allen Ausbildungs- und Fortbildungsplänen, der Besuch eines Konzentrationslagers als fester Bestandteil der Schulausbildung und der Beamtenlaufbahn sowie ein verstärkter gesellschaftlicher und beruflicher Austausch mit Israel. Die Einrichtung staatlich finanzierter Anlaufstellen und Expertengruppen, die ein wirksames Monitoring etablieren, mit dem präventiv gegen antisemitische Entwicklungen vorgegangen werden kann, ist ebenso zwingend wie überfällig.
Schließlich – und das sollte eigentlich selbstverständlich sein – müssen die Strafverfolgungsbehörden mit der erforderlichen Sensibilität und den notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sein, um auch Straftaten wie Beleidigungen nachzugehen. Der Sonderbeauftragte der US-Regierung für Antisemitismus, Elan Carr, regte in diesem Zusammenhang an, antisemitische Straftäter mit einer vergleichsweise geringen Schwere der Tat zu verpflichten, eine Gedenkstätte, ein Museum, oder eine Aufklärungsveranstaltung zu besuchen. Dazu gehört auch, direkte Begegnungen mit Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens zu ermöglichen.
Der Staat allein wird das Problem jedoch nicht lösen können – auch ein Rechtsstaat ist nicht vollkommen. Umso wichtiger ist es, dass wir alle unsere gesellschaftlichen Werte jeden Tag aufs Neue verteidigen. Die Freiheit des Glaubens ist im Grundgesetz als unverletzlich definiert.
Diese Freiheit zu verteidigen ist die Aufgabe eines jeden von uns. Im kommenden Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und doch sprechen Antisemiten wie Stephan B. und Attila Hildmann Juden noch immer ihr Existenzrecht in Deutschland ab. Zeigen wir ihnen, wie falsch sie damit liegen.
https://www.tagesspiegel.de/politik/von-stephan-b-bis-attila-hildmann-die-neuen-antisemiten-wollen-gesehen-werden/26037486.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE___________________________
Nach dem Anschlag auf das OEZ war man ja (und nicht nur von Seiten der AfD) extrem darum bemüht zu negieren, dass es sich um einen rechtsextremen Anschlag gehandelt hat. Bei den "echten thoitschen Traditionspflegern" und ihrem "Folk" natürlich auch mit dem Argument, dass es ja niemals nie nicht NeoNazis, Rechtsextreme oder Rechtsterroristen mit einem "Migrationshintergrund" geben kann (dabei sind in der AfD ja wirklich eine Menge "Rucksackdeutsche" und/oder reine "Wirtschaftsflüchtlinge" zu finden, gleiches gilt für die NPD oder "Die Rechte".).
Anscheinend hat man auch sonst Einiges "übersehen" oder besser mal einfach nicht bearbeitet bzw. weitergegeben.
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02.08.2020, 08:22 Uhr
Nach OEZ-Anschlag: Hinweis auf US-Attentat ignoriert?
Nach dem Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) 2016 in München hatte die Polizei Hinweise auf einen Attentäter im US-Bundesstaat New Mexico. Weil sie mutmaßlich das FBI nicht informierte, droht jetzt eine Klage aus den USA.
Am 26. Juli 2016 verhaften Polizisten einen Jugendlichen aus dem Kreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Der Teenager gilt als potenzieller Attentäter. Die Beamten entdecken Munition, Sprengstoff und Hinweise auf eine konkrete Tatplanung. Den Teenager hatte ein Online-Chat mit David S. enttarnt. Der hatte vier Tage zuvor den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München verübt.
Die Beamten waren dem jugendlichen Verdächtigen auf die Spur gekommen, weil beide Teenager auf der Internet-Spieleplattform "Steam" aktiv waren und dort auch miteinander über Attentate gesprochen hatten. Beide waren auch Mitglied einer rechtsextremen Steam-Gruppe namens "Anti-Refugee-Club".
Anschläge verherrlicht
In der Vernehmung sagte der Teenager aus dem Kreis Ludwigsburg später aus, dass ein US-Amerikanischer Nutzer ihn und David S. auf Steam zusammengebracht hätte. Und dass der Amerikaner hochgradig an Attentaten interessiert und ein führender Netzwerker in Online-Gruppen sei, in denen Anschläge verherrlicht würden.
Aussagen nicht weitergeleitet
Doch weder die Polizei Ludwigsburg, noch die beteiligten Staatsanwaltschaften Stuttgart und München stuften diese Aussagen als wichtig ein. Die Informationen wurden damals auch nicht an US-Behörden weitergeleitet.
Amoklauf in New Mexico 16 Monate nach der OEZ-Tat
Bei dem genannten US-Chatter handelte es sich um den Rechtsextremen William A. Dieser war zu dem Zeitpunkt bereits in den USA als möglicher Attentäter und Gefährder polizeibekannt. Am 7. Dezember 2017 - gut 16 Monate nach dem OEZ-Attentat - erschoss der 21-Jährige zwei Schüler an seiner ehemaligen Schule in Aztec, im Bundesstaat New Mexico. Anschließend tötete er sich selbst.
Gaming-Plattform als Kommunikationsweg
Was ist wirklich passiert? Das Investigativ-Team der Sendung "Fakt" hat jetzt den ehemaligen Vertrauten des Münchener Attentäters befragt. Er ist mittlerweile therapiert und bestätigte gegenüber "Fakt" erneut, dass er die Hinweise damals unmissverständlich an die Polizei weitergegeben habe.
Der Münchener Attentäter S. und der US-Attentäter A. nutzen damals "Steam" nicht nur als Gaming-Plattform, sondern auch als Kommunikationsweg. Darüber tauschten sie sich monatelang über rechtsextreme Gewaltfantasien aus.
OEZ-Amokläufer als "Gruppenspieler der Woche" verherrlicht
A. war auch Gründer und Administrator der rechtsextremen "Steam"-Gruppe "Anti-Refugee-Club", die vor allem mit Ereignissen in Deutschland - unter anderem die Silvesternacht 2015/16 in Köln - Stimmung machten. Auch S. gehörte zu der Gruppe. Kurz nach dem Attentat in München wurde er vom "Anti-Refugee-Club" zum "Gruppenspieler der Woche" ernannt.
Mutter sucht Gerechtigkeit für getötete Tochter
Die Kanzlei Robles, Rael & Anaya ist eine der renommiertesten Kanzleien in Albuquerque, der größten Stadt in New Mexico. Die Anwälte vertreten Jamie Lattin, die Mutter einer der Getöteten beim Attentat in Aztec. Sie erklärt, warum sie den Rechtsweg eingeschlagen hat: "Ich denke, das alles ist es wert, für meine Tochter zu tun. Wie damals Dinge übersehen wurden, wie Hinweise da draußen waren. Es hätte etwas getan werden können, um dies zu verhindern. Und das wurde es nicht."
Verfahren gegen das FBI
Ihr Anwalt Luis Robles führt momentan ein Rechtsverfahren gegen das FBI in dieser Sache. Er sagt, man wolle aber auch prüfen, inwieweit deutsche Beamte belangt werden können. "Es ist unsere Aufgabe, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die dieses tragische Ereignis zugelassen haben. Und wenn die deutschen Behörden daran schuld sind, sollten sie zur Rechenschaft gezogen werden", sagt er.
Robles klagt derzeit auf Einsicht in US-Polizeiakten, um den Fall neu aufzurollen Er will außerdem mit deutschen Anwälten kooperieren. Sobald ihm die amerikanischen Akten vorliegen, will das Anwalts-Team entscheiden, ob der Rechtsweg auch gegen deutsche Beamte und Behörden eingelegt wird.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-oez-amoklauf-hinweis-auf-us-attentat-ignoriert,S6U02bN/