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Es waren für eine erklärtermaßen proisraelische Website ungewohnte Worte, die Anfang November auf Journalistenwatch erschienen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte öffentlich obligatorische Besuche ehemaliger Konzentrationslager für Schüler gefordert. Es könne "heute nicht mehr darum gehen, künftigen Generationen einzureden, sie als Deutsche hätten exklusiv eine besondere Verantwortung für die Geschichte", schoss Journalistenwatch ausgerechnet am 9. November gegen den Zentralrat, der eine "bigotte Ansammlung von Selbstgerechten" sei. Und weil das noch nicht reichte, warf der Autor dem Zentralrat der Juden hinterher: "Mach’ dich endlich ehrlich, halt’ endlich deinen impertinenten Mund."
Wenn die selbst ernannten Vorkämpfer für eine stramm rechte Political Correctness loslegen, scheppert es gerne mal. Gewöhnlich schwankt der Tenor der Texte zwischen Islamkritik und kuscheligem AfD-Rechtspopulismus. Die Website, die sich "Portal für Medienkritik und Gegenöffentlichkeit" nennt, wurde 2012 gegründet. Damals jubelte die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit über ein "Bild-Blog von rechts". Inzwischen lesen nach eigenen Angaben 1,2 Millionen Menschen im Monat Journalistenwatch, belegt sind die Zahlen nicht. Die Plattform hat sich am rechtsäußeren Rand des Internets etabliert, im Dunstkreis der AfD, irgendwo zwischen Epoch Times, Unzensuriert.at und Politically Incorrect.
Unter den konservativen Tugendwächtern kommt der Islam nur als mörderische Ideologie vor, Medien wie die Süddeutsche Zeitung werden gerne mal als "Süddeutscher Beobachter" diffamiert, um auf ein angebliches "nationalsozialistisches" Element hinzuweisen. Doch dass Journalistenwatch nun auch Inhalte veröffentlicht, die hart an der Grenze des Antisemitismus entlangschrammen, ist neu – und könnte ein Problem werden.
Islamkritische Traktate von mäßiger intellektueller Qualität
Geleitet wird das Portal von Thomas Böhm. Der versuchte sich einst als Schreiber bei B.Z. und taz, ehe er im Oktober 2010 die rechte Partei Die Freiheit gründete und als ihr Sprecher auftrat. Zwei Jahre später gründete Böhm den Journalistenwatch e.V., "Verein für Medienkritik und Gegenöffentlichkeit". Er registrierte die Domain Journalistenwatch.com und begann, dort zunächst medienkritische Notizen zu veröffentlichen. An deren Stelle traten bald islamkritische Traktate von mäßiger intellektueller Qualität, deren Titel beispielsweise lauteten: "Die orientalische Sex-Mob-Kultur", "Die vom Flüchtlingsansturm bedrohte Freiheit" oder "So genannte Flüchtlinge doch nur geldgeil?"
Das niedrige Niveau schadete allerdings nicht, im Gegenteil: neurechte Websites begannen, auf Journalistenwatch hinzuweisen, mehrere AfD-Landesverbände verbreiteten Böhms Inhalte. Aber wer finanziert das Portal?
Im März 2016 veröffentlichte der US-amerikanische und proisraelische Thinktank Middle East Forum eine Liste unterstützter Projekte, auf der erstmals Journalistenwatch auftaucht. Die Fördergelder dürften zu den ersten zählen, die eine US-amerikanische Organisation an eine deutsche Plattform vergibt, welche die Neue Rechte bedient.
Gegründet wurde das Middle East Forum 1990 von dem Historiker Daniel Pipes, der unter anderem an den Universitäten in Chicago und Harvard lehrte. Der Thinktank hat sich zum Ziel gesetzt, "amerikanische Interessen in Nahost zu vertreten und westliche Werte gegen Gefahren aus dem Nahen Osten zu schützen". In einem Artikel für die konservative Zeitschrift National Review warnte Pipes vor einer "großen Einwanderung von braunhäutigen Menschen" in Europa, auf die die Europäer nicht vorbereitet seien.
Vor einigen Jahren intensivierte Pipes seine Kontakte nach Europa. Er wurde Berater des rechten dänischen Blogs Free Press Society, wo er auf Geert Wilders stieß. Wilders sei der "wichtigste lebende Europäer", so Pipes. Sein Forum überwies Wilders, der in den Niederlanden 2010 und 2011 wegen Volksverhetzung vor Gericht stand, einen sechsstelligen Betrag für Anwalts- und Gerichtskosten.
Während des Prozesses reiste Pipes nach Deutschland und nahm in Berlin an der Gründung von Thomas Böhms Partei Die Freiheit teil, benannt nach Wilders' Partij voor de Vrijheid. Damit begann auch die Beziehung zwischen Böhm und Pipes, dessen Forum über ein jährliches Budget von bis zu 5,5 Millionen US-Dollar von Geldgebern wie dem konservativen Donors Capital Fund und dem Abstraction Fund verfügt.
Auch vom deutschen Staat unterstützt
Unterstützt wird Journalistenwatch allerdings auch vom deutschen Staat, zumindest indirekt: Mitte Februar stufte das Finanzamt Jena den Verein als gemeinnützig ein, weil Journalistenwatch zur "Förderung der Volksbildung" beitrage. Wer Geld an den Verein spendet, kann dies seitdem von der Steuer absetzen. Auf seiner Website werben die Macher: "Jouwatch unterstützen, Steuern sparen!"
Durch die Einnahmen aus Spenden, ausländischer Unterstützung und Werbeeinnahmen bezahlt Böhm seine Mitarbeiter. Im Impressum listet er seit diesem Frühjahr ein Redaktionsteam auf, zu dem mittlerweile fünf Personen gehören. Neben den festen Mitarbeitern erscheinen auf Journalistenwatch Texte führender Figuren der Neuen Rechten, zum Beispiel von dem Verleger Götz Kubitschek, dem wegen Volksverhetzung verurteilten Pegida-Redner Akif Pirincçi und dem AfD-Mann Michael Klonovsky.
Mit den Autoren steigt auch der Einfluss der Seite: Im April bediente sich der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache eines Textes von Journalistenwatch, formulierte ihn minimal um und teilte ihn mit seinen mehr als 700.000 Followern auf Facebook, adressiert an die "Erdogan-Anhänger in Deutschland und Österreich". Diesen empfahl Strache (inklusive Rechtschreibfehler): "Tun Sie also sich und Ihrem Präsidenten einen Gefallen, und kehren Sie in ihr Land zurück."
Links-Rechts-Schwäche
Während einige der Beiträge auf Journalistenwatch eher verwirrt daherkommen ("Hitler war links. Rechte können damit keine Neonazis sein"), können andere nur als rechtsradikal und geschichtsrevisionistisch bezeichnet werden. Und das könnte für Böhm und Pipes zum Problem werden.
So schrieb einer der Journalistenwatch-Autoren, nachdem das Bundesinnenministerium eine unverändert hohe Zahl von Angriffen auf Flüchtlinge veröffentlicht hatte: Es sei an "Dreistigkeit nicht zu überbieten, wenn Volksverräter (Volksvertreter) der Linken sich zum Anwalt von 'Flüchtlingen' machen und darüber das eigene Volk (...) völlig vergessen, ja sogar dieses Volk in die Nähe von Mördern und Terroristen rücken, weil ihm nichts weiter bleibt, als sich selbst zu verteidigen, da die Polizei sich dazu nicht mehr in der Lage sieht."
Und der Autor Max Erdinger verteidigte im September AfD-Chef Alexander Gauland, der gefordert hatte, wieder "stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen". Selbst Gaulands Kritiker würden nicht behaupten, dass die Wehrmacht nichts geleistet habe, so Erdinger. "Im Nachhinein betrachtet haben sie halt das Falsche geleistet. Aber die Leistung als solche war nicht übel, so von 1939 bis 1941."
Zwei Monate später, Anfang November, pünktlich zum Jahrestag der Novemberpogrome legte derselbe Autor nach. Es folgte jene Tirade gegen obligatorische Besuche ehemaliger Konzentrationslager, in der Erdinger dem Zentralrat empfahl, den Mund zu halten. "Je mehr Zeit verstreicht, desto offensichtlicher wird, was den Zentralrat der Juden tatsächlich treibt: Die Perpetuierung deutschen Schuldbewußtseins den Juden gegenüber."
Ein merkwürdiges Verständnis von Pressefreiheit
Damit war eine Linie überschritten – zumindest für einige Publizisten und Wissenschaftler aus Deutschland, die ebenfalls Geld vom Middle East Forum erhalten. Der Politologe Clemens Heni, der das Berlin Center for the Study of Antisemtitism leitet, das maßgeblich von Pipes finanziert wird, sagt ZEIT ONLINE: "Ich verstehe nicht, wieso Pipes das tut." Pipes wisse offenbar nicht, was er da finanziere, so Heni. "Er muss damit aufhören."
Das fordert auch die israelische Journalistin Esther Scheiner. Seit Jahren verfolgt sie, was das Middle East Forum veröffentlicht, und sagt, sie schätze Pipes sehr. Doch der müsse "Journalistenwatch sofort den Geldhahn zusperren".
Unterstützt werden Heni und Scheiner von der früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. "Die Förderer sollten sich sehr genau überlegen, ob es sich bei Journalistenwatch um ein unterstützenswürdiges Anliegen handelt oder um ein neurechtes Portal, das destruktive Tendenzen in unserer Gesellschaft befördert und befeuert", sagte Knobloch zu ZEIT ONLINE.
Keine Distanzierung von den Schmuddelkindern
Ob das geschieht, ist allerdings fraglich. Das Finanzamt Jena will mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht begründen, warum es den Verein als gemeinnützig einstufe. Ebenfalls nicht äußern will sich Daniel Pipes. Detaillierte Fragen von ZEIT ONLINE, etwa zu der Förderung von Journalistenwatch, beantwortet er nicht. Stattdessen teilt er mit, dass es wichtigere Probleme gebe als die neurechte Plattform: etwa die "unkontrollierte Einwanderung in Europa". Offenbar fällt es Pipes schwer, zwei Themen gleichzeitig zu bearbeiten – oder aber er will sich nicht von seinen deutschen Schmuddelkindern distanzieren.
Die bewiesen zuletzt ein weiteres Mal, welch merkwürdiges Verständnis von Pressefreiheit sie haben: Kaum hatte ZEIT ONLINE eine Reihe von Fragen über Pipes' Unterstützung und die inhaltliche Ausrichtung von Journalistenwatch übermittelt, erschien in verschiedenen konservativen und rechten Blogs, darunter Journalistenwatch selbst, eine Beschwerde, in der in bestem Extremistendeutsch von "Systemmedien" und einer "Meinungsmafia" die Rede ist, zu der offenbar auch die ZEIT gezählt wird. Während Journalistenwatch ein "vehementer Verteidiger des Staates Israel" sei, handele es sich bei der ZEIT um "Palästinenser-Presse". Es gehe bei der Recherche zu Journalistenwatch vor allem darum, "die israelfreundliche Szene zu spalten". Und angesichts dessen ist der Autor überzeugt: "Das Ende der bürgerlichen, demokratischen Gesellschaft ist nicht mehr weit."