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Nachdem der Bewerber in Bayern ohne Erfolg blieb, bewarb er sich Ende 2020 im Nachbarbundesland Thüringen. Auch hier wurde er abgelehnt, auch hier blieb sein Gang durch die Instanzen erfolglos. Parallel hatte er sich aber auch in Sachsen beworben. Das für die Ausbildung zuständige Oberlandesgericht (OLG) Dresden lehnte seinen Antrag für mehrere Einstellungstermine hintereinander ab, es hielt den Bewerber wegen seiner strafrechtlichen Verurteilungen für ungeeignet. Laut einem Beschluss des VG Würzburg aus dem Jahr 2020 handelt es sich dabei um sechs Straftaten aus den Jahren 2005 bis 2013: eine Trunkenheitsfahrt, Körperverletzung mit Faustschlägen auf einem Weinfest in Rudolf Hess-T-Shirt und Reichskriegsflagge, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei einer Polizeikontrolle auf einem rechtsextremen Fest, Verwenden von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation beim Zeigen des Hitlergrußes und "Sieg Heil"-Rufen, sowie Betrug in einem KfZ-Versicherungsfall und Verstoß gegen Auflagen bei einer Versammlung.
Außerdem sei, so das OLG Dresden, davon auszugehen, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfe.
Verschärfte Zugangssperre gegen Verfassungsfeinde läuft ins Leere
Damit bezog sich das OLG auf eine im Jahr 2021 neu geschaffene Gesetzesregelung. Was die Zugangshürden für Verfassungsfeinde zur Juristenausbildung angeht, kann man Sachsen derzeit als Vorreiter sehen. 2021 verabschiedete der Landesgesetzgeber verschärfte Zugangsbestimmungen für angehende Volljuristinnen und -juristen. Wer die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft, wird danach in der Regel nicht in den Vorbereitungsdienst eingestellt. Damit hat Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern Neuland betreten. Die Gesetzesänderung in Sachsen wird auch deshalb aus anderen Ländern aufmerksam beobachtet. Einige erwägen wohl, auch bei ihren Gesetzen nachzuschärfen.
Nach seinen Absagen in Bayern und Thüringen war der Mann in Sachsen mit seiner Bewerbung dennoch erfolgreich, der dortige Verfassungsgerichtshof (VerfGH) gab ihm Ende 2021 im Eilverfahren Recht, Ende 2022 in der Hauptsache. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit fest. Die Richterinnen und Richter berücksichtigten dabei ausdrücklich die neu eingeführte Zugangshürde in § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Juristenausbildungsgesetz (JAG) Sachsen. Sie sei verfassungskonform und eng auszulegen, so der Beschluss. Denn nur wer die freiheitliche demokratische Grundordnung wirklich in strafbarer Weise bekämpft, kann demnach ausgeschlossen werden – das sei vorliegend bei dem Bewerber nicht der Fall.
Die Partei "Der III. Weg" sei nämlich weder verboten noch habe sich der Bewerber sonst in einer die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdenden Weise strafbar gemacht. Die Strafurteile - zuletzt ein Verstoß aus 2013 gegen das Versammlungsgesetz - liegen laut dem Gericht zu weit zurück. Aktuell fehle es am Merkmal einer strafbaren Bekämpfung, also der Verknüpfung von verfassungsfeindlicher Einstellung mit Straftaten.
Weg frei für Verfassungsfeinde, die keine Straftaten begangen haben
Es ist eine Entscheidung, die in Justizkreisen Kopfschütteln ausgelöst hat. Zumal man in Bayern diese Rechtsfrage anders gesehen hat: Dort reichte dem Verwaltungsgerichtshof aus, dass der Mann eine aktive – zeitweise führende – Rolle in einer Partei spielt, die es darauf anlegt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, und zwar in kämpferisch aggressiver Weise. Das bayerische Gericht ließ es genügen, dass B als Bewerber dieses Parteiziel maßgeblich selbst unterstützte. Straftaten des Bewerbers in diesem Zusammenhang brauchte es aus Sicht der bayerischen Richterinnen und Richter nicht.
Anders nun also die sächsischen Verfassungsrichterinnen und -richter. Aus ihrer Entscheidung klingt die Sorge, dass der Landesgesetzgeber mit seinen Regelungen bzw. die Justiz mit ihrer Argumentation die Wertungen des Bundesgesetzgebers unterläuft. Dazu verweisen sie auf einen Paragraphen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Die Regelung in § 7 BRAO versagt Bewerbern den Zugang zur Anwaltszulassung, die die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen. Die sächsische Regelung zum Referendariat orientiert sich ganz offensichtlich an dieser Vorschrift. Aber der sächsische VerfGH sieht für das Referendariat einen wesentlichen Unterschied. Er argumentiert: "Es wäre unverhältnismäßig, die vorgelagerte Berufsausbildung bereits wegen eines Verhaltens zu verwehren, das mangels Überschreitens der Strafbarkeitsschwelle dem späteren Zugang zum Anwaltsberuf selbst gerade (noch) nicht entgegengehalten werden könnte." Entscheidend soll also sein, dass die BRAO von "strafbarer" Bekämpfung spricht, die Verfassungsfeinde müssen also Straftatbestände verwirklicht haben, wenn es nach dem sächsischen VerfGH geht. Nur: Wer in einer verfassungsfeindlichen nicht verbotenen Partei den Kampf gegen die Verfassung organisiert, muss nicht unbedingt gegen Strafvorschriften verstoßen. In diese Grauzone fällt B., der bei "Der III. Weg" aktiv ist.
Der VerfGH Sachsen geht davon aus, dass der Bundesgesetzgeber den Zugang zur Anwaltschaft nur unter strengen Voraussetzungen – also dem Merkmal der strafbaren Bekämpfung - gesperrt wissen wollte. Deshalb könne der Landesgesetzgeber für den vorgelagerten Schritt der Juristenausbildung nicht noch strengere Regeln vorsehen, den Bundesgesetzgeber also überbieten. Sonst fielen die Anforderungen an diesem Punkt der juristischen Karriere strenger aus als die für die spätere Zulassung zur Anwaltschaft. Das gehe vor allem deshalb nicht, weil der Staat über das Ausbildungsmonopol verfüge, zum Juristen könne man sich nur vom Staat ausbilden lassen. Entsprechenden Bewerbern sei damit quasi vorschnell der Karriereweg abgeschnitten.
Diese Wertung sperrt aus Sicht des Verfassungsgerichtshofs auch alle weiteren Ansätze, mit denen das OLG den Bewerber ausschließen wollte: Im JAG Sachsen gibt es neben der "Verfassungsfeindlichkeit" auch noch andere Ablehnungsgründe, die sich so oder in ähnlicher Form auch in anderen Ländern finden. Sie lassen sich so zusammenfassen: Insbesondere wer eine Gefahr für den geordneten Ablauf oder wichtige öffentliche Belange darstellt, kann – also eine angeleitete Ermessensentscheidung – ausgeschlossen werden – und auch das geht nach Auffassung der sächsischen Verfassungsrichter nicht.
Wie die Länder gegensteuern wollen: Änderung der BRAO
Hinter den Kulissen regen die Länder eine Gesetzesänderung beim Bund an. Offenbar mit dem Ziel, dem VerfGH Sachsen das Argument vom Tisch zu nehmen. In dem Beschluss der Justizministerkonferenz heißt es knapp: Die Länder "bitten den Bundesminister der Justiz um Prüfung, ob hierzu auch die Anpassung bundesgesetzlicher Regelungen (insbesondere § 7 BRAO) erforderlich ist."
Nach LTO-Recherchen sind dafür zwei Optionen vorgesehen: Ein deklaratorischer Zusatz in § 7 der BRAO, dass die Versagungsgründe für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die Regeln der Länder über die Zulassung zum Referendariat unberührt lassen. Damit wäre ein einfachgesetzlicher Widerspruch abgeräumt.
Dann aber bliebe noch das verfassungsrechtliche Argument des VerfGH Sachsens valide. Die Länder erwägen deshalb auch, die Zugangsschwelle für die Anwaltschaft abzusenken, konkret in § 7 BRAO den Zusatz "strafbar" zu streichen. Eine Absenkung auf Bundesebene beim Zugang zur Anwaltschaft würde dann den Weg für strengere Zugangsregeln beim Referendariat in den Ländern frei machen. Die Prüfung liegt nun beim Bundesjustizministerium.
Verwaltungsgericht bleibt nichts anderes übrig: Referendar wird zugelassen
Das VG Dresden musste nach dem Verfassungsgerichtshof nun endgültig über die Aufnahme des Bewerbers entscheiden - und es tat das in durchaus bemerkenswerter Weise. Es beschränkte sich in seinem Urteil darauf, den Sachverhalt noch einmal darzulegen und danach vor allem zu betonen, dass es an die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gebunden ist. Dass das VG angesichts dieser Vorentscheidung seine Entscheidung nur zähneknirschend erließ, lässt sich beim Lesen des Beschlusses vermuten: Wo immer es geht, enthält es sich einer eigenen Ausführung und zitiert die Aussagen des VerfGH.
Bewerber B. wird nun also zum juristischen Vorbereitungsdienst zugelassen. Dabei hatte der VerfGH aber zwei Einschränkungen für möglich erachtet. Erstens kann danach die Ausbildung des Referendars mit Auflagen versehen werden, er darf nicht überall nach freier Wahl Station machen. Zum Beispiel nicht bei einem bekannten rechten Anwalt in Chemnitz. Zweitens setzt der VerfGH offenbar auf eine Lösung getreu dem Motto: Erst einmal wegen der hohen Grundrechtsrelevanz zum Referendariat zulassen, später für einen Job in der Justiz ("jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten") aber aussortieren. Bei der Anstellung im Staatsdienst greifen nämlich strengere Zulassungsschranken. Anwalt könnte B. dann aber womöglich immer noch werden.
Dass es sich bei B. nicht um einen Einzelfall handelt, zeigt der Fall eines rechtskräftig verurteilten Referendars, der sich an Krawallen von Neonazis und Hooligans in Leipzig beteiligt hatte, auch er durfte am Ende 2020 in Sachsen Volljurist werden. Die Justizverwaltung konnte es nicht verhindern, auch hier brachten seine Grundrechte und der Zeitfaktor seiner bereits begonnenen Ausbildung erhebliches Gewicht in die Abwägung ein.
Wie die Justiz in den Ländern mit den unangenehmen Erfahrungen aus den Präzedenzfällen nun umgeht und wie die Rechtspolitik darauf reagiert, wird sich zeigen.
Anm. d. Red. Beitrag in der Version vom 01.06.2023, 18.36 Uhr: Ergänzt wurden die einzelnen Straftaten und Verurteilungen, die dem Bewerber entgegengehalten werden.