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LG Hamburg: Erkennbare Satire
Tichys Einblick, vertreten durch Steinhöfel Rechtsanwälte, argumentierte hingegen, dass die Gesamtgestaltung des Beitrags den satirischen Charakter erkennbar mache. Der Artikel karikiere Bestandteile der grünen Programmatik. Entsprechend der Stilrichtung einer Glosse werde der Klägerin eine Selbststilisierung fiktiv in den Mund gelegt, die gerade durch die Übertreibung eine Kritik ausdrücke und deshalb von der Klägerin nie selbst derart plakativ geäußert worden wäre.
Das LG folgte schließlich in dem LTO vorliegenden Urteil auch der Argumentation des Online-Mediums. Der Beitrag vermittele nur vordergründig den Eindruck eines echten Interviews. Rechtlich entscheidend sei, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum erkenne, dass es sich um einen fiktiven und satirischen Beitrag handele.
Von der Erkennbarkeit des fiktiven Charakters des Interviews sei schon deswegen auszugehen, weil in der Dachzeile der Hinweis "Achtung Satire" Achtung Satire!" stehe. Hinzukomme der Hinweis auf eine "Glosse" im Teaser, der Begriff stehe für einen oftmals satirischen Beitrag. Schließlich weise die Bildeinblendung "Almost true news -Beinahe wahre Nachrichten" darauf hin, dass der Artikel nicht für bare Münze gehalten werden dürfe.
LG: Satire-Hinweis unnötig
Das LG ist sogar der Auffassung, dass der Satire-Hinweis gar nicht nötig gewesen wäre. Unabhängig vom Hinweis erkenne das verständige Publikum auch am Inhalt des Beitrages, dass es sich nicht um tatsächliche Äußerungen von Göring-Eckardt handeln könne.
Exemplarisch führt das LG vier Beispiele auf: Benutzte Gender-Formen wie ("Alleinerziehend:innen", "Grün:innen"), die groteske Forderung, Studierende bestimmter Studienrichtungen (wie etwa Gender-Studiengängen“) sollten von Hausarbeit entlastet, die Behauptung, "Nicht-Akademiker:innen" könnten Hausarbeit besser leisten und "Migranten-Großfamilien" sollten "an deutsche Reinlichkeitsstandards herangeführt" werden.
Diese "kuriosen Übertreibungen" allein würden dazu führen, dass der Durchschnittsrezipient das Interview nicht für echt halte. Die Leserkommentare stünden dem nicht entgegen. Diese würden schon keinen repräsentativen Querschnitt von Lesern darstellen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass vor allem Personen dort kommentierten, die den satirischen Gehalt verkannt haben. Denn nur dann würden sie sich über Göring-Eckart ärgern und infolgedessen kommentieren. Wer hingegen die Satire erkannt habe, werde sich eines Kommentars oftmals enthalten.
Aussagekern der Satire zutreffend
Auch die Hilfsargumentation der Anwälte von Göring-Eckardt überzeugte das LG nicht. Diese hatten vertreten, dass der Artikel auch so verstanden werden könne, dass sich Göring-Eckardt bereit erklärt habe, an einem Satire-Interview mitzuwirken und bewusst ironische Antworten zu geben.
Auch der Aussagekern der Satire sei rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, so das LG. Denn Göring-Eckart habe sich ja tatsächlich für die Gutscheinlösung ausgesprochen, womit kein falscher Aussagekern vermittelt werde. Die Satire übe durch ihre Überspitzung Kritik an einer realen Forderung, indem sie sie als paternalistische und übergriffige Bevormundung und als Klientel-Politik anprangere.
Chefredakteur: "Urteil hilft auch einem Satiriker wie Böhmermann"
Der Chefredakteur von Tichys Einblick begrüßte das Urteil. Es betone "die Freiheit der Presse und stärke die journalistische Form der Satire", so Roland Tichy. "Dieses Urteil hilft auch einem Satiriker wie Böhmermann".
Göring-Eckarts Rechtsanwalt Dr. Gernot Lehr ist bestrebt die gerichtliche Niederlage in einen Sieg umzudeuten. "Das Landgericht Hamburg hat in erfreulich deutlicher Weise klargestellt, dass es sich bei den unserer Mandantin in den Mund gelegten Äußerungen aufgrund ihres abwegigen Inhalts nicht um Aussagen handeln könnten, die ein verständiges Publikum unserer Mandantin zuordnen würde", so Lehr gegenüber LTO. Göring-Eckart könne nun schwarz auf weiß belegen, dass sie solche Aussagen selbstverständlich nie getätigt hat.
Je absurder das Zitat, desto klarer Satire?
Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung des LG. Schließlich haben mehrere Hinweise den satirischen Charakter des "Interviews" deutlich werden lassen. Mehr darf aufgrund der Pressefreiheit von einem Medium nicht verlangt werden. Der Beitrag hat es auch nicht darauf angelegt, dahingehende Zweifel beim Leser zu schüren. Die Klageabweisung war daher die richtige Entscheidung.
Fehl geht jedoch die weitere Begründung des LG, wonach auch ohne den Satire-Hinweis in der Überschrift allein aus dem Text heraus, der satirische Charakter erkennbar und das Fake-Interview zulässig wäre.
Richtig ist, dass nicht allgemeingültig für die Zulässigkeit von Satire eine Kennzeichnungspflicht verlangt werden darf, sondern sich diese auch aus den Umständen der Veröffentlichung ergeben kann. Wer etwa die Heute Show schaut oder die Titanic liest, erwartet Satire. Auch ein Comedian muss nicht vor seinem Auftritt eine Satire ankündigen.
Doch die Auffassung des LG, wonach bereits der Inhalt des "Interviews" aufgrund "kurioser Übertreibungen" die Satire deutlich macht, führt dazu, dass letztlich das Motto gilt: "Je absurder ein Fake-Interview, desto eher ist es zulässig". Doch in Zeiten der oft durch Filter und Algorithmen in "Blasen" zersplitterten Leserschaft reicht es für eine gefährliche Verbreitung von Fake-News aus, wenn zwar nicht der Durchschnittsleser, aber doch ein beträchtlicher Anteil von Personen, von der Wahrheit eines Beitrages überzeugt ist.
Grüne sind Hauptfeind von Tichys Einblick – das prägt auch Leserverständnis von Satire
Allein vom Inhalt eines Beitrages auf Satire zu schließen, kann jedenfalls bei einem Online-Magazin wie Tichys Einblick nicht ohne Weiteres angenommen werden. Das zeigt sich schon daran, dass sogar trotz des dortigen deutlichen Satirehinweises einige Leser den Satiregehalt nicht erkannt haben. Es ist lebensnah davon auszugehen, dass diese Anzahl enorm in die Höhe geschnellt wäre, hätte noch nicht einmal eine Kennzeichnung "Achtung Satire!" vorgelegen.
Dies dürfte im Falle von Tichys Einblick auch damit zu tun haben, dass dort grüne Politiker und die Grünen der klare Hauptfeind des rechtsgerichteten Magazins sind. Aktuell findet sich etwa Beiträge wie "Die zehn größten Lebenslügen der Grünen", "Willkommen in der grünen Kriegs- und Mangelwirtschaft", "Die herrschende Ökobourgeoisie beutet die untere Mittelschicht aus" auf der Startseite. Der aktuelle Titel der Printausgabe lautet "Stoppt Grün!". Diese politische Ausrichtung ist angesichts der Tendenzfreiheit der Presse auch das gute Recht von Tichys Einblick und rechtlich völlig bedenkenlos.
Allerdings prägen solche Darstellungen selbstverständlich die Leser in eine bestimmte Richtung. Die konstante Abwertung grüner Politiker, mit Ausnahme etwa von Boris Palmer, führt dazu, dass die Leser von Tichys Einblick ein denkbar schlechtes Bild von diesen haben. Derartige Leser werden dann aber scheinbar absurden Äußerungen in einem Fake-Interview auch oft Glauben schenken.
Gefahr von Fake-News gefördert
Dies gibt die Klageverteidigung von Tichy implizit selbst zu, wenn deren Rechtsanwalt Steinhöfel vortragen lässt, dass für einige Leser die "Realität durch die Satire so gut getroffen" wird. Dies trifft jedenfalls insoweit zu, als die rein journalistischen Beiträge von Tichys Einblick ein Bild der Grünen zeichnen, dass sich von demjenigen im satirischen Beitrag wenig unterscheidet. Wenn Leser aber in den journalistischen Beiträgen bereits eine überzeichnete, einseitige Darstellung über eine Person lesen, fällt es schwerer dort die Schwelle zur Satire zu erkennen.
Gleiches gilt selbstverständlich auch für Magazine aus anderen politischen Richtungen.
Richtigerweise müssen für die Beantwortung der Frage "Ist das Satire?" die Gesamtumstände berücksichtigt werden, zu denen auch die allgemeine Berichterstattung des jeweiligen Mediums über ein Thema oder eine Person gehört. Nur so ist eine Aussage dahingehend möglich, ob der Inhalt für die entsprechende Leserschaft tatsächlich als übertrieben und überspitzt erscheint oder sich vielmehr in die journalistische Berichterstattung einreiht und daher ohne entsprechenden Hinweis für die jeweilige Leserschaft nicht als Satire erkennbar ist. Die Begründung des LG, wonach allein darauf abzustellen sei, ob die Behauptungen "kurios" genug sind, greift hingegen zu kurz und erhöht die Gefahr der Verbreitung von Fake-News.
Beteiligte Kanzleien
Redeker Sellner Dahs
Rechtsanwälte Steinhöfel