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Herr Höcker, Sie haben den ehemaligen Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maassen, als sogenannten «Of counsel» eingestellt. Was ist das genau?
Das ist ein senioriger Kollege, typischerweise ein Quereinsteiger mit hohem Fachwissen, der weder als Partner noch als Angestellter in der Kanzlei tätig ist. Er ist ein sehr freier, projektbezogener Mitarbeiter, der in der Kanzlei ein und aus gehen kann, wie er will.
Warum haben Sie ausgerechnet Herrn Maassen engagiert?
Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Medienrecht, das ist zu 98 Prozent Zivilrecht. Alle Kanzleien, die in diesem Feld in Deutschland tätig sind, sind Zivilrechtskanzleien. Nun gibt es aber nicht nur das zivile Äusserungsrecht, sondern auch das öffentliche Äusserungsrecht. Da geht es etwa um Fragen wie: Darf ein Staatsanwalt in einer Pressekonferenz den Namen eines Bürgers und Details aus seiner Privatsphäre nennen? Dieses Rechtsgebiet ist zwar winzig – in Deutschland gibt es wohl weniger als 500 Fälle pro Jahr –, aber es ist stark wachsend. Unser Problem war bisher, dass wir keinen Öffentlichrechtler am Start hatten. Herr Maassen soll genau diese Lücke schliessen. Er ist ein Glücksfall für uns.
Sie haben den Schweizer Wetterfachmann Jörg Kachelmann vertreten, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das deutsche Mannequin Heidi Klum und verschiedene deutsche Parteien. Besonders gern wird nun in den Medien aber auf die AfD hingewiesen. Sind Sie der einzige grössere und bekannte Medienanwalt, der diese Partei vertritt?
Puh, das weiss ich nicht. Sicher ist, dass sich in Deutschland viele Kanzleien davor hüten werden, die AfD zu vertreten, weil sie einen Imageverlust fürchten.
Sie haben einmal gesagt, Ihre Kanzlei sei vollkommen schmerzfrei: «Wir vertreten jeden, der sich an uns wendet, egal, welche politische Gesinnung er hat. Ein Anwalt mit Berufsethos muss bereit sein, Hitler gegen Stalin und Stalin gegen Hitler zu vertreten, und zwar je nachdem, wer als Erster anruft.»
Genau, aber ich sage das immer mit dem Hinweis darauf, dass wir uns als Anwälte weder mit der Weltanschauung noch mit den Taten unserer Mandanten gemeinmachen.
Wie kommt es zu diesem Credo? Als Anwalt könnten Sie Anfragen auch ablehnen.
Davon halte ich nichts. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. 2016 gab es eine grosse Pro-Erdogan-Demo in Köln mit 40 000 Teilnehmern. Wenige Tage vor der Veranstaltung hat der Kölner Polizeipräsident verboten, dass vorne auf der Bühne ein Grossbildschirm aufgestellt wird. Die Polizei befürchtete, die Veranstalter würden eine Rede von Erdogan live übertragen – und das wollte man nicht. Aber nur weil man die Übertragung einer Rede von Erdogan verhindern will, muss man ja nicht gleich den Grossbildschirm verbieten.
Was hatten Sie mit der Sache zu tun?
Die Organisatoren haben mich sofort angerufen, denn zu jener Zeit waren wir gerade die Erdogan-Kanzlei – wir waren auch schon die Kachelmann-Kanzlei und die Heidi-Klum-Kanzlei, derzeit sind wir für die Medien die AfD-Kanzlei. Ich sagte den Organisatoren jedenfalls gleich, dass ich das Verbot des Grossbildschirms für rechtswidrig halte, ich aber kein Experte für öffentliches Recht sei – Herr Maassen hätte das gekonnt. Ich habe dann anderthalb Tage herumtelefoniert und bestimmt dreissig Kanzleien angerufen – keine einzige wollte dieses Mandat. Alle fürchteten Reputationsprobleme. Danach habe ich einen Aufruf auf Facebook gemacht. Schliesslich hat ein junger Kollege, ein Jungsozialist übrigens, der seine Juristenausbildung noch nicht einmal abgeschlossen hatte, den Fall übernommen. Die Grossbildschirme wurden schliesslich erlaubt.
Was wollen Sie damit sagen?
Stellen Sie sich vor, ich hätte diesen jungen Kollegen nicht gefunden: Dann hätte ausgerechnet der Mann, der in der Türkei den Rechtsstaat abschafft, in Deutschland kein rechtsstaatliches Verfahren bekommen, weil er nicht einmal einen Anwalt gefunden hätte. Das ist der Grund, warum es, verdammt nochmal, zum Berufsethos eines Anwalts gehören muss, jeden zu vertreten. Es kann nicht sein, dass gesellschaftlicher Druck auf Anwälte ausgeübt wird, keine Terroristen, Nazis oder Kinderschänder zu vertreten. Darum machen wir das. Das ist das feste Credo meiner Kanzlei.
In der deutschen Debatte spielen moralische Standpunkte eine grössere Rolle als in anderen Ländern. Kommt es hier besonders schlecht an, wenn man als Anwalt die Bösen vertritt?
Moralismus ist sicherlich ein Problem in Deutschland, gar keine Frage. Aber ich sage bewusst: Hier handelt es sich um einen falsch verstandenen Moralismus. Es gibt keine moralischen Gründe, die es einem Anwalt verbieten würden, jemanden zu vertreten. Man stelle sich vor, wo das sonst hinführen würde. Ihr Landsmann Jörg Kachelmann hat mich einmal in einer Diskussion verteidigt und gesagt: Wenn man dieser Logik folgen würde, bekämen Nazis nur noch Nazi-Anwälte.
Gibt es Ausnahmen?
Nur eine. Nämlich diese, wenn andere Mandanten unter der Vertretung leiden könnten oder es sonstige Interessenkonflikte gibt. Deshalb macht Herr Maassen natürlich keine Mandate, die etwas mit dem Verfassungsschutz zu tun haben. Dafür war er zu lange Chef dieser Behörde. Wenn er hier eingreifen würde, hätte es ein arges Geschmäckle.
Aber Herr Maassen macht ja noch einige weitere Einschränkungen. Er will keine AfD-Mandate annehmen, ausserdem auch keine Mandate der Linkspartei und der Grünen. Wo bleibt da die anwaltliche Flexibilität, mit der Sie für Ihre Kanzlei werben?
Das ist tatsächlich nicht im Einklang mit der grundsätzlichen Linie unserer Kanzlei. Wir haben das auch diskutiert. Herr Maassen sagt aber zu Recht, wenn ausgerechnet er die AfD vertreten würde, würde das aufgrund seiner Vorbefassung mit dieser Partei zu seiner Zeit als Verfassungsschutzchef mit einiger Berechtigung als unangemessen kritisiert werden. Deswegen lässt er das. Und wenn er schon einmal beim Ausschliessen ist, arbeitet er auch nicht für die Linkspartei. Die wird teilweise auch vom Verfassungsschutz beobachtet, das ist also gut begründet.
Und was ist das Problem mit den Grünen?
Hier sagt Herr Maassen einfach, dass eine Vertretung nach dem letzten Jahr ihm persönlich unmöglich sei. Es waren die Grünen, die seinen Sturz herbeigeführt haben. Wir respektieren diesen sehr persönlichen Beweggrund, obwohl mein Gründungspartner Dr. Carsten Brennecke sogar Mitglied bei den Grünen ist. Natürlich vertreten wir als Kanzlei Grüne und Linke auch weiterhin. Nur Herr Maassen ist hiervon ausgenommen.
Haben Sie als Anwalt eine besondere Affinität zu Bad Guys?
Wir haben wirklich schon alles durch: Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Salafisten, Terrorverdächtige, Nazis. Ich will auch nicht verhehlen, dass es interessant ist, solchen Leuten einmal live gegenüberzusitzen und ihnen hinter die Stirn zu blicken. Trotzdem kann ich Sie beruhigen: Wir vertreten auch gern und sogar überwiegend die Guten.
Mal sind Sie die Kachelmann-Kanzlei, wie Sie sagen, mal die AfD-Kanzlei. Sehen Sie solche Labels vor allem als Werbung, oder haben sie auch eine imageschädigende Wirkung?
Jedes neue Label hat neue Mandanten gebracht, und jedes neue Label hat alte Mandanten vertrieben. Aber unter dem Strich sind wir immer weitergewachsen. Also muss es einen Werbeeffekt haben. Über die Polarisierung bin ich mir völlig im Klaren: Man hasst uns, oder man liebt uns. Aber immerhin wecken wir Emotionen. Andere tun das nicht, und deswegen geht da auch keiner hin.
Was ist der Stundensatz von Ihnen und von Herrn Maassen?
Ich weiss, dass sich Schweizer besonders für Geld interessieren. In Deutschland ist man da zurückhaltend.
Sie wollen es also nicht sagen.
Nein. Aber meine Arbeit ist auskömmlich.
Sie sind ja auch noch ehrenamtlicher Pressesprecher der Werteunion, einer Vereinigung konservativer CDU- und CSU-Mitglieder. Dazu twitterten Sie im Juni 2019: «Ich gratuliere mir ganz herzlich zur Wahl zum neuen Bundessprecher der Werteunion!»
Wenn es sonst keiner macht.
Ist Selbstdarstellung ein massgebender Antrieb Ihrer Arbeit?
Ich war einmal Fernsehmoderator und sogar mit einem Comedy-Programm auf Tour. Wenn ich kein Selbstdarsteller wäre, hätte ich das nie gemacht. Natürlich bin ich ein Selbstdarsteller.
Schadet Ihr politisches Engagement nicht Ihrer anwaltschaftlichen Tätigkeit?
Ich habe in meinem Leben oft gedacht, dass das, was ich als Nächstes mache, ein Handicap für mich als Anwalt sein würde. Ich bin mit bunten Söckchen in einer TV-Show gesessen und habe mich auf Comedy-Bühnen über Beischlafpflicht in der Ehe unterhalten. Jeder geistig gesunde Mensch würde sagen: Das ist der berufliche Untergang. Aber es hat nicht nur nicht geschadet, es hat sogar genützt. Ich könnte auch ins Dschungel-Camp gehen und müsste danach die Kanzlei nicht schliessen.
Ist das eine Ansage?
Nein, keine Sorge.
Sie sind 2016 einmal in der Talk-Show «Hart, aber fair» aufgetreten. Da haben Sie den Rücktritt Ihrer Parteikollegin Angela Merkel als deutsche Bundeskanzlerin gefordert. In welcher Rolle sind Sie da aufgetreten: als Anwalt, als CDU-Mitglied oder als besorgter Bürger?
Ich habe das in meiner Funktion als CDU-Mitglied und Mitgründer von Konrads Erben gemacht, das war eine Vorgängerorganisation der Werteunion. Ich war damals einfach der Einzige aus der CDU, der sich offen hingestellt hat, um zu sagen, dass sich Angela Merkel besser nicht mehr als Kanzlerin aufstellen lasse. Stattdessen habe ich Jens Spahn als Bundeskanzler vorgeschlagen. Leider hat man auf mich nicht gehört.
Sie verstehen es als Ihren Job, Journalisten jeden Tag auf die Finger zu hauen. Wie würden Sie den Zustand des Journalismus und der journalistischen Fairness in Deutschland beurteilen?
Ich bekomme natürlich immer die kranken Fälle auf den Tisch. Das führt vielleicht zu einer gewissen Déformation professionelle, zu einem Gefühl von: Hier liegt eine Menge im Argen! Aber es gibt selbstverständlich zur Genüge guten und professionellen Journalismus. Es mag sein, dass das schlecht Recherchierte zunimmt, dadurch, dass Journalisten weniger Zeit haben, schlechter bezahlt werden und immer mehr von Klick-Raten abhängen. Möglicherweise ist es auch diesem Umstand geschuldet, dass das Medienrecht als Gesamtes wächst.
Sie haben einmal gesagt, die Medien als vierte Gewalt zu bezeichnen, sei eine masslose Überhöhung.
Stimmt, das ist einfach Stuss.
Warum?
Wenn die Medien die vierte Gewalt wären, dann wäre ich die fünfte Gewalt. Aber eben, es gibt nur drei Gewalten im Staat: die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Daneben gibt es Grundrechte, das sind Abwehrrechte gegen den Staat. Irgendwo im Artikel fünf, zwischen zwei anderen Grundrechten, hat auch die Presse ihr eigenes Branchengrundrecht neben Karnevalsvereinen und anderen Institutionen. Man soll nicht so tun und die Presse da besonders hervorheben. So wichtig ist die Presse nicht.
Eine entscheidende Kontrollfunktion im Staat hat sie allemal. Dass die Presse die vierte Gewalt sei, ist ein Satz, den in Deutschland fast jeder Politiker zum Besten gibt.
Ja, klar. Damit können sie sich wunderbar bei Journalisten einschmeicheln.
Ihre Methoden gelten als unzimperlich. Die Stiftung Warentest schreibt: «Ralf Höcker hält es für seinen Job, Journalisten zu beeinflussen, indem er sie bedroht.» Würden Sie das unterschreiben?
Die Stiftung Warentest war sauer, weil wir ihr ein Heft verboten haben. Sie hat einen rechtswidrigen Finanztest gemacht, und dagegen sind wir vorgegangen, und zwar erfolgreich. Daraufhin waren die Stiftungsleute natürlich sauer und haben zum Mittel der schwarzen PR gegriffen. Das sollen sie machen, das gehört doch dazu. Die Stiftung Warentest beansprucht für sich ja schon fast Behördenstatus. Wenn man einer solchen Organisation auf die Füsse tritt, wird das natürlich gereizt aufgenommen. Eine solche Möchtegernbehörde ist noch empfindlicher, als es Journalisten sind.
Sind Journalisten besonders empfindlich?
Klar. Aber sie sind es im Gegensatz zur Stiftung Warentest schon gewohnt, dass sie abgemahnt werden und einstweilige Verfügungen kassieren.
Sie selber haben einmal erklärt, dass es völlig in Ordnung sei, wenn man gegenüber einem Journalisten «nachdrücklicher» werde. Was meinen Sie damit genau?
Damit meine ich Drohungen. Natürlich ist es meine Aufgabe, Journalisten zu drohen. Warum sollten Journalisten der einzige Berufsstand sein, dem man nicht drohen darf?
Wie weit gehen Sie da?
Ich schicke keine Killerkommandos in die Redaktionen, keine Sorge. Aber ich drohe natürlich an, dass es rechtliche Konsequenzen gibt, wenn das Recht verletzt wird. Deswegen gehe ich mit den Journalisten in den Clinch. Bevor ein Bericht erscheint, versuche ich zu ergründen, wie der Bericht aussehen wird und was da an Rechtswidrigem drinstehen könnte. Und dann versuche ich zu verhindern, dass das passiert. Ich zeige Journalisten die Grenzen auf, definiere das Zulässige. Das heisst konkret: Ich drohe mit einstweiligen Verfügungen, Gegendarstellungen, Schmerzensgeld, Schadenersatz, was auch immer.
In wie vielen Fällen sind diese Drohungen wirksam in der Weise, wie Sie es sich wünschen?
Ich kriege Journalisten sehr oft dazu, dass sie von einer rechtswidrigen Berichterstattung absehen. Das funktioniert im präventiven Bereich sehr gut. Ich schaffe es, Falschbehauptungen zu verhindern oder eine Berichterstattung ausgewogener zu machen. Allzu oft verbreiten Journalisten einfach Gerüchte oder schildern bei einem Verdachtsfall nur die belastenden Aspekte. Viele Journalisten schreiben gern ganz klar und mit eindeutigem Spin. Alles Relativierende verwässert aus ihrer Sicht die Geschichte. Mein Auftrag ist es, das Relativierende in die Artikel zu bringen und damit ihre Qualität zu erhöhen.
Das klingt ja geradezu wunderbar: Eigentlich helfen Sie den Journalisten, ihre Arbeit besser zu machen?
Absolut, das ist ein gerade bei Ihren Kollegen leider viel zu selten geschätzter Nebeneffekt meiner Tätigkeit.
Ist es nicht eher so, dass Sie kritischen Journalismus in vielen Fällen geradezu verhindern, nicht um der Wahrheit willen, sondern im Interesse Ihrer Klienten?
Nein, ich versuche ja auch nur in den seltensten Fällen, eine Berichterstattung komplett zu unterbinden. Aber natürlich bin ich kein Altruist, ich bin einfach der Interessenvertreter meiner Mandanten.
Denken Sie manchmal, wenn Sie die Zeitung lesen: Da ist der Journalist jetzt aber schön eingeknickt, und vielleicht sogar an Stellen im Artikel, wo es aus rechtlicher Sicht nicht nötig gewesen wäre?
Ich sehe eher das Gegenteil. Die Redaktionen, mit denen wir zu tun haben, wissen sehr genau, wo die Grenze ist. Wenn sie von mir Gegenwind bekommen, gehen sie vielleicht noch ein bisschen über die Grenze, aber nicht so weit, wie sie es sonst getan hätten. Sie können sich sicher sein, ohne Medienanwälte, die richtig Dampf machen, würden Journalisten ständig Grenzen überschreiten. Sie tun es auch so.