Die Lückenpresse des Großherzogtums Baden beschäftigt sich mit unserer Kundschaft:
Spoiler
SÜDKURIER spricht mit Reichsbürgern: Gefährliche Staatsfeinde in der Region
„Wir leben in einer Welt umgeben von ♥♥♥en und beherrscht von Banditen.“ So beginnt Walter ein Gespräch mit dem SÜDKURIER im Mai 2019. Es folgt eine Wutrede über Deutschland. Der 62-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt einer von ungefähr 19.000 Reichsbürgern im Land. Nur etwa vier Prozent galten im Jahr 2019 laut baden-württembergischen Verfassungsschutz als gefährlich. Der SÜDKURIER konnte Kontakt zu einigen Reichsbürgern aus der Region aufnehmen und bekam bedenkliches Gedankengut präsentiert.
Porträt von Markgraf Max von Baden auf Flyer von Reichsbürgern abgedruckt
Ein Bild von Markgraf Max von Baden ist auf einem Flyer aus dem Reichsbürger-Milieu zu sehen. | Bild: Jäckle, Reiner
Im Februar 2021 sorgen merkwürdige Flyer in Briefkästen in Uhldingen-Mühlhofen und Salem für Aufregung. Auf dem Flugblatt wird auf den sogenannten „Ewigen Bund“ hingewiesen, den Zusammenschluss von 25 deutschen Einzelstaaten zum historischen Deutschen Reich. Zudem ist ein Bild des Markgrafen Max von Baden zu sehen. Letzteres ruft das Haus Baden auf den Plan.
Herbst 2021, die Bundestagswahl steht bevor. Die politischen Lager in Bund und Land bereiten sich auf die heiße Phase vor. Aber was ist mit denen, die von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Organen nichts wissen wollen? Reichsbürger melden sich in den Sozialen Medien verstärkt zu Wort. Auch am Hochrhein sind sie aktiv. Aber wie viele von ihnen gibt es eigentlich – und wie gefährlich sind sie? Verfassungsschutz und Polizei gewähren dem SÜDKURIER Einblicke.
Interview Terrorforscher über Reichsbürger-Netzwerk: „So etwas erschien bisher unvorstellbar“
Peter R. Neumann ist Politikwissenschaftler und gilt als Experte für Terrorismus. Er ist Gründer des International Centre for the Study ...
Mutmaßlicher Reichsbürger soll mehrere Bürgermeister verunglimpft haben
In einem mehrseitigen Pamphlet spricht ein 62-Jähriger im Oktober 2021 den Bürgermeistern mehrerer Gemeinden im Landkreis Ravensburg ihre Legitimität ab. Sein Schreiben, das mit falschen Informationen garniert ist, verteilt er in mehreren Briefkästen. Die Folge für den Briefautor: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und stellt fest, der Mann gehört offenbar zur Reichsbürgerszene.
Reichsbürger fährt Polizisten nieder: Anklage wegen versuchten Mordes
Manfred J. führt eigentlich ein normales Leben. Der in den 1960er-Jahren geborene Südbadener aus dem Landkreis Lörrach spielt im örtlichen Musikverein Posaune und ist am Basler Flughafen im gut bezahlten Flugzeug-Innenausbau beschäftigt. Am 7. Februar 2022 zeigt J. sein anderes Gesicht. Bei einer Verkehrskontrolle gibt er plötzlich Gas und verletzt einen Polizisten schwer. Auch Schüsse auf sein Auto halten J. nicht auf. Nach einer Verfolgungsjagd wird er in Efringen-Kirchen gestoppt und festgenommen. Bei einer richterlich genehmigten Durchsuchung seines Hauses findet die Polizei Hinweise auf seine Zugehörigkeit zu den Reichsbürgern.
Inzwischen läuft der Prozess gegen Manfred J. Die Frage, die es zu klären gilt: War es ein Mordversuch?
Reichsbürgerin terrorisiert ihre Nachbarn in Tengen
Das Tengener Städtle und im Hintergrund die Schweizer Alpen. In einem der acht Ortsteile leiden Bewohner seit Jahren unter einer mutmaßlichen „Reichsbürgerin“ – ein Gerichtsschreiben (rechs) dokumentiert Teile der Vorwürfe. | Bild: Helmut Groß/privat - Montage: SK
Dass die Reichsbürgerszene in Deutschland wächst und sich auch in Südbaden breitmacht, zeigt dieser Fall aus Tengen im Februar 2022. Alles beginnt mit einer abgeholzten Rosenhecke. Ein banaler Streit unter Nachbarn. Doch schnell wird klar: Das ist kein harmloser Zwist. Hier geht es um jahrelangen Terror durch sogenannte Reichsbürger. Die folgende SÜDKURIER-Recherche zeigt, wie Nachbarn, Anwälten und sogar Richtern gedroht wurde – und wie machtlos der Rechtsstaat dabei wirkt.
Spoiler
Schwerpunkt Kein Zufall: Was Baden-Württemberg zum Sammelbecken für Reichsbürger macht
Bild :
Es sind Worte, auf mehreren Seiten, die ihn eindeutig als Reichsbürger zu erkennen geben – das ist die sehr heterogene Gruppe, die die Bundesrepublik und ihre Gesetze ablehnt. Der Einspruch, aus dem beispielhaft zitiert wurde, steht online auf einer Seite der Strömung.
Parallelwelt und wirre Gedanken
Der Durchschnitts-Südbadener dürfte mit der auf wirren Gedanken bauenden Parallelwelt der Reichsbürger kaum zu tun haben. Vor Nachbarn und Arbeitskolleginnen leben Mitglieder der Szene meist inkognito. Die Menschen aber, die in Landratsämtern und Rathäusern der Region arbeiten, kennen die Denke der als extremistisch eingestuften Gruppe zu gut. Denn: Geht es um Behörden, die in den Augen der Reichsbürger Repräsentanten eines „Besatzerstaates“ sind, wird das Klientel laut. „Reichsbürger haben den Drang zu opponieren, das geht los beim Schornsteinfeger und endet beim Personalausweis“, sagt Andreas Taube, Leiter der Abteilung Staatsschutz beim Landeskriminalamt.
Andreas Taube leitet die Abteilung Staatsschutz beim Landeskriminalamt in Stuttgart. | Bild: Landeskriminalamt
Ellenlange Einsprüche gegen Bußgeldbescheide sind nur ein Beispiel, wie Mitarbeiter der Kreis-Verwaltungen von Konstanz bis Waldshut wertvolle Zeit und Nerven an Reichsbürger verlieren. Das mache viel Aufwand, sagt Heike Frank, Sprecherin des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis. „Je nach Einzelfall kann es sein, dass sich die Sachbearbeiter über einen längeren Zeitraum hinweg mit einem Vorgang beschäftigen müssen.“
Auch Beschimpfungen und Anfeindungen der Sachbearbeiter habe es schon gegeben. Zu Ortsterminen gehe man grundsätzlich nie allein.
Wie präsent ist das Thema im Alltag?
Wie intensiv Reichsbürger die Kreis-Ämter behelligen, unterscheidet sich in der Region. Susanna Heim vom Landkreis Waldshut sagt: „Das Thema Reichsbürger und Selbstverwaltern taucht in unserem Alltag häufiger auf, beschäftigt uns aber auch nicht tagtäglich.“ Marlene Pellhammer gibt Auskunft für den Kreis Konstanz: „Im Alltag spielt das Thema in der Regel keine große Rolle.“
Im Bodenseekreis hingegen gibt es laut Sprecher Lars Gäbler pro Woche im Schnitt zweimal auffälliges Reichsbürger-Verhalten. Und: Häufig treten die Personen mehrfach in Erscheinung. Von einem „gewissen Aufwand“ mit Reichsbürgern berichtetet Heike Frank vom Schwarzwald-Baar-Kreis.
Wo fallen Reichsbürger im Landratsamt auf?
Innerhalb der Landratsämter gibt es Abteilungen, die viel Reichsbürger-Kontakt haben, andere gar nicht. Aus unserer Recherche ergibt sich, dass vor allem Bußgeldbehörden, Straßenverkehrsbehörden und Ordnungsämter im Fokus der Gruppe stehen. Außerdem, sagt Susanna Heim vom Waldshuter Landratsamt, die Waffenbehörde und die Abfallwirtschaft. Im Bodenseekreis nennt Sprecher Lars Gäbler das Jugend- und das Sozialamt. „Grundsätzlich kann jede Stelle, die Kontakt mit Bürgern hat, betroffen sein“, so Heim.
Wie sehen typische Aktionen aus?
„In der Regel geht es hier um den Versuch, behördlichen Anordnungen, beispielsweise Bußgeldbescheiden, zu entgehen oder ein Mehr an Leistungen zu erreichen“, sagt Bodenseekreis-Sprecher Lars Gäbler. Dabei verweisen die Reichsbürger unter anderem darauf, dass das Grundgesetz außer Kraft und der Bußgeldbescheid nicht gültig sei. Oder dass die BRD und das Landratsamt gar nicht existierten.
Grundsätzlich: Keine Diskussion!
Fällt jemand auf, werden Verdachtsfälle, die auf eine mögliche Einstufung zum Reichsbürger oder Selbstverwalter hinweisen, direkt an das Landesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet.
Das könnte Sie auch interessieren
Baden-Württemberg Reichsbürger entwaffnen? Warum das gar nicht so einfach ist
Eine Kaliber 9 mm Pistole, Patronen und ein Magazin. Symbolfoto.
„Meistens erhalten wir die Anträge per Post. Tauchen die Reichsbürger aber mal persönlich auf, ist der Ton schon eher aggressiv“, sagt Susanna Heim. Gefährlich sei es bisher noch nie gewesen.
Das bestätigen alle übereinstimmend. Lars Gäbler vom Bodenseekreis sagt: „Über gefährliche Situationen ist bisher nichts bekannt. Wir lassen uns auch grundsätzlich nicht auf Diskussionen zu den Standpunkten der Reichsbürger und Selbstverwalter ein.“
Sind Behördenmitarbeiter gut gerüstet?
Die Kreisverwaltungen rüsten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Umgang mit Reichsbürgern. Das Innenministerium hat Handreichungen und Arbeitshilfen herausgegeben, die in allen Landratsämtern verfügbar sind. In den Kreisen Konstanz und Waldshut benennen die Sprecherinnen keine weiteren Angebote.
Ansprechpartner für Umgang mit Reichsbürgern
Im Schwarzwald-Baar-Kreis und im Bodenseekreis hingegen sitzen zentrale Ansprechpartner, an die sich die Angestellten mit Fragen und Problemen rund um Reichsbürger wenden können. Laut Schwarzwald-Baar-Kreis-Sprecherin Heike Frank bestehe die Option, dass betroffene Mitarbeiter sich mit der Kriminalpolizei austauschen. Sachbearbeiter und zentrale Ansprechpartner können vom LKA geschult werden. Auch im Bodenseekreis setzt man auf externe Schulungen.