Sehr geehrter Herr Kracht,
mit Erstaunen, Belustigung, Unverständnis und Amusement habe ich Ihre Ausführungen gelesen. Sprachnachrichten höre ich mir grundsätzlich nicht an, doch dazu später mehr.
Es ist eine Menge zu den einzelnen Punkten Ihrer "Argumentation" geschrieben worden, daher möchte ich hier weder alles wiederholen noch umfangreich kommentieren. Ich nehme mir die Dreistigkeit heraus und kommentiere nur die Punkte, zu denen ich neben einer Meinung auch wirklich Wissen aufweise.
Da wäre der Punkt des Geldsystems. Die Kritik am Geldsystem ist nachvollziehbar und stammt meist von denen, die wenig Geld haben, aber gern mehr davon hätten. Das bestehende Geldsystem funktioniert ziemlich gut und erklärt auch die derzeitig ansteigende Inflation. Diese ist ein Folge der Geldpolitik, nicht ihre Ursache und wird auch nicht zum "Einsturz" des Systems führen... jedenfalls nicht, wenn die EZB im Rahmen ihrer Möglichkeiten handelt. Im Gegenteil, angesichts der Geldpolitik der letzten Jahre und den massiven Corona-Hilfen war das absehbar und eigentlich eine Lehrvorführung für die Effekte von Geldmengenveränderungen. Wer sich damit eingehend beschäftigt UND es ernst meint mit zinslosen/ausbeutungsfreien Systemalternativen, der lässt seit Jahren die Finger vom Hexenwerk Krypto"währung". Denn diese beruhen rein auf Spekulation, nicht auf faktischer Schaffung von Werten. Sie sind in der "Herstellung" auch nicht nachhaltig, sondern Energiefresser... für nix. Sie ermöglichen Geldwäsche, Kriminelle können gestohlene Werte darüber "legalisieren". Jeder Miner und Trader unterstützt das.
Nächster Punkt Recht und Gesetz: Komplexe Gesellschaften erfordern komplexes Recht und Rechtsspezialisierung. Moderne Gesellschaften beruhen auf Arbeitsteilung und Spezialisierung, nicht jeder muss mehr alles können. Gleichzeitig erfordert Spezialwissen auch ein daran angepasstes Recht. Sie, Herr Kracht, kennen sicherlich nicht die beruflichen Feinheiten bspw. des Schlachterhandwerks, womit die dazugehörigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften ein Buch mit Sieben Siegeln sein dürften. Sie wollen aber eine gesunde Bratwurst. Also sind Sie auf das Spezialrecht und seine Durchsetzung angewiesen. Gleiches gilt für Medizin, Finanzen etcpp. Ja, es gibt tausende Gesetze, aber die Mehrzahl betrifft Sie gar nicht direkt, aber Sie können froh sein, dass es sie gibt. Denn diese Gesetze und ihre Durchsetzung schützt den einzelnen Bürger... beispielsweise auch vor rasenden Zopfträgern.
Recht und seine Durchsetzung: Hier erkennt man, entschuldigen Sie meine Direktheit, Ihre mangelnde Lebenserfahrung mit handfesten Mitbürgern. Recht dient in einer ersten Eskalation zur friedlichen Konfliktbeilegung. Hier gibt es bereits Schiedspersonen oder Mediatoren, auch der gerichtliche Vergleich gehört noch dazu. Leider ist es damit nicht getan. Viele Mitmenschen sind eben nicht bereit, sich einer freiwilligen Streitbeilegung zu unterwerfen, selbst wenn es nach Recht und Gesetz aussichtslos ist. Allein das Gebot "du sollst nicht stehlen!" verhindert keine Dienstähle. Recht ist nur so gut wie es durchgesetzt wird, weshalb das "Strafrecht" mit die älteste Rechtsart ist. Recht regelt Macht und Macht ist Zwang. Es gibt keine "zwanglose" Gesellschaft, nur unterschiedliche Formen des Zwanges. Und dabei ist "Rechtszwang" basierend auf Gesetzen eine sehr gute Wahl, weil a) die Gesetze für alle gleich sind und b) für alle gleich gelten.
Moral: Ach ja, die Moral, mein Lieblingsbullshitbingo-Wort. Nichts, Herr Kracht, ist so einfach zu missbrauchen wie "Moral". Es war mal moralisch korrekt in Europa, seine Kinder und Frau zu züchtigen. Es war einmal moralisch korrekt, Andersdenkende zu verbrennen (nein ich meine nicht nur die Nazis). Es war mal moralisch korrekt, Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe zu versklaven und straflos zu töten. Gleichzeitig existieren heute noch weltweit verschiedenste Moralvorstellungen. Welche sollte denn Grundlage für ein moralisches Recht sein? Ein großer Favorit ist die islamische Moral, da gibts mit der Scharia gleich ein Gesetzbuch dazu und auch Ämter selbsternannter "Richter". Aber warum in die Ferne schweifen, warum bedienen wir uns nicht bei der christlich-katholischen Moral? Auch schon komplett durchdacht, leider kann man da als Kind nicht ohne Schmerzen sitzen^^ Moral ist eine ♥♥♥, die sich jeder zurechtbiegt. Und eine "moralische Gesetzgebung" ist in der Regel ein Euphemismus für populistische Diktatur. Schon in der römischen Republik wurde versucht, Gesetze mit moralischen Zielen und Anspruch zu erlassen, das ging krachend daneben.
Schriftform: Wie bereits angekündigt ein paar Worte zu "Sprachnachrichten". Ich empfehle davon abstand zu nehmen. Damit kann man seine Ideen und Argumente nicht strukturieren und gerade in einer solchen Diskussion mit multiplen Themen und Argumentationssträngen ist das Aufspalten und Zerlegen von Antworten wichtig. Sprechen ist einfach Gedankenfluss, ohne Struktur und ohne die Möglichkeit der Korrektur. Schreiben ermöglicht im Schreiben und Nochmallesen die Reflektion der Argumente. Man kann neu anordnen und ggf. vertiefen. Man kann sich Gedanken machen ober die Wirkung der Worte, das Sender-Empfänger-Problem. Sprechen ist toll, aber erst im geschriebenen Wort wird wirklich klar, was man sagen will. Es erfordert allerdings auch intensive Beschäftigung und den willen zum mehrmals Denken. Kein Wunder, dass Twitter und co so populär sind.
Mit freundlichen Grüßen
Schreibtischtäter