Autor Thema: AG Weimar vom 08.04.2021, Anwendung § 1666 BGB Kindeswohl gegen Maskenpflicht an Schulen  (Gelesen 47410 mal)

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Online Judge Roy Bean

War das etwa ein Einzelrichter? Ich glaube, das war ein Einzelrichter. Man kann Para. 22 Abs. 1 GVG nicht oft genug betonen.
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten (Karl Valentin).

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"Am 08.04.2021

"..und hat die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges verneint."

Mmhh.
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-Chan-jo Jun, Philosoph (und Rechtsanwalt)
 

Online Rabenaas

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War das etwa ein Einzelrichter?

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Deshalb saß er in Erfurt wohl auch einzeln auf der Anklagebank. ;)
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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Ich bin nicht sicher, ob dieser einzelne Richter wirklich ein Einzelrichter war. Immerhin schrieb die Pressesprecherin:

Zitat
Der Beschluss ist grundsätzlich nicht anfechtbar. Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, ist auf Antrag auf Grund mündlicher Verhandlung erneut zu entscheiden.
Da hätte es doch noch Potential gegeben, darzustellen, dass der Beschluss des Einzelrichters grundsätzlich nicht anfechtbar sei. Und man hätte ergänzen können, dass, da die Entscheidung des Einzelrichters ohne mündliche Verhandlung erging, auf Antrag neu zu entscheiden sei. :dontknow:

Man kann Para. 22 Abs. 1 GVG nicht oft genug betonen.
Einmal mit Profis arbeiten! ::)
Eine von VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer erfundene Statistik besagt, dass 90% der Prozessgewinner die fragliche Entscheidung für beispielhaft rechtstreu halten, 20% der Unterlegenen ihnen zustimmen, hingegen von den Verlierern 30% sie für grob fehlerhaft und 40% für glatt strafbar halten.
 
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Die Demokratie ist so viel wert wie diejenigen, die in ihrem Namen sprechen. (Robert Schuman)

Anmaron, M. Sc. univ. Universität Youtübingen
 

Online Judge Roy Bean

Inzwischen liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor. Veröffentlicht scheint sie noch nicht zu sein, aber im Hetzwerk wird sie auseinandergenommen:

https://netzwerkkrista.de

Und ja, der Verfasser hat teilweise Recht, die Urteilsbegründung dürfte - falls zutreffend zitiert wird - keine Meisterleistung sein. Leider bestätigt sich meine These, dass Dettmar mit seinem Beschluss nicht nur Bockmist gebaut, sondern ganz viel Folgebockmist ausgelöst hat. Jedenfalls gehe ich die nächste Wette ein, dass das Urteil keinen Bestand haben wird, und wegen meiner laufenden Wette mit @Rabenaas dürfte es wohl am Ende ein gut gelagerter 2025er Jahrgang werden.

Globaler Moderator Kommentar Link repariert -- Sandmännchen
« Letzte Änderung: 18. Dezember 2023, 17:23:27 von Sandmännchen »
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten (Karl Valentin).

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Online Rabenaas

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Das kann nur ein kurzer Schwächeanfall gewesen sein.
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Offline Knallfrosch

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Es geht, wenn man nicht die Weiterleitenfunktion des Forums benutzt, sondern die Domain eingibt.

Ich lege den langen Text mal in den Spoiler:

Spoiler
Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte hat sich bereits in zwei Beiträgen zum Strafverfahren gegen den Weimarer Amtsrichter Christian Dettmar geäußert: Der erste Artikel analysierte die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Erfurt (im Folgenden: Artikel zur Anklage), der zweite kommentierte kurz nach Verkündung das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.08.2023 (im Folgenden: Artikel zur Urteilsverkündung). Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Rechtsbeugung, so lautete das Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts, das nicht rechtskräftig ist. Inzwischen liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor.1 Dies ist der Anlass für diesen Beitrag. In ihm soll die Argumentation der Kammer nachgezeichnet und der Kritik unterzogen werden. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie ein solches Urteil überhaupt möglich ist: Ist es allein durch Unvermögen zu erklären oder muss man auch nach anderen Gründen suchen?

Der Beitrag setzt die beiden früheren Artikel inhaltlich voraus. Insbesondere werden rechtliche Erläuterungen zum Tatbestand des § 339 StGB, die in dem Artikel zur Anklage gegeben wurden, hier nicht noch einmal wiederholt.

1.  Überblick

Das schriftliche Urteil des Landgerichts Erfurt umfasst 139 Seiten. Zum Aufbau eines Strafurteils muss man Folgendes wissen: Es besteht aus Rubrum (Angaben der Verfahrensart, der Verfahrensbeteiligten, ihrer Rollen, der Verhandlungstage u. a.), Urteilstenor (= Urteilsformel) und den Gründen. Die Gründe sind üblicherweise in fünf Abschnitte unterteilt: (1) persönliche Verhältnisse des Angeklagten, (2) Sachverhalt, von dem das Gericht ausgeht („Was ist passiert?“), (3) Beweiswürdigung („Woher weiß das Gericht das?“), (4) rechtliche Würdigung („Welche Straftatbestände sind damit erfüllt?“), (5) Strafzumessung („Wie ist die Tat zu ahnden?“).

Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten werden in dem Urteil auf einer Seite geschildert, die Darstellung des Sachverhalts nimmt 44 Seiten ein, die Beweiswürdigung sogar 77 Seiten. Minutiös werden hier die Einlassung des Angeklagten, die Aussagen von Zeugen, der Inhalt von Schriftstücken, E-Mails und SMS wiedergegeben. Die rechtliche Würdigung ist mit 11 Seiten dagegen eher knapp, die Strafzumessung findet auf 4 Seiten Platz. Die Feststellungen zum Sachverhalt müssen hier nicht explizit erörtert werden, weil das äußere Geschehen zwischen Gericht und Verteidigung im Wesentlichen unstrittig ist.2 Strittig ist die rechtliche Würdigung, weshalb sich der Beitrag vor allem darauf konzentriert.

2.  Anklagevorwürfe, die den Tatbestand nicht erfüllen

Wie in dem Artikel zur Anklage dargelegt,3 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten eine Vielzahl von (angeblichen) Rechtsverletzungen vorgeworfen, die alle den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen sollen. Bis zum Schluss der Hauptverhandlung hat sie daran keine Abstriche gemacht. Auch der Vorwurf, Rechtsbeugung liege vor, weil der Angeklagte gewusst habe, dass (angeblich) die Verwaltungsgerichte zuständig gewesen seien, wurde bis zum Plädoyer aufrechterhalten (und auch in der Begründung der von ihr eingelegten Revision wiederholt).4

Die Kammer erklärt auf knapp eineinhalb Seiten, dass nach ihrer Auffassung sämtliche von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe bis auf einen nicht den Tatbestand des § 339 StGB erfüllen. Den Zuständigkeitsvorwurf räumt sie unter Verweis auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht ab und die anderen Vorwürfe mit der Begründung, dass jeweils keine für den Tatbestand der Rechtsbeugung ausreichend schwerwiegende Rechtsverletzung (ein „elementarer Rechtsverstoß“) vorliege.

3.  Der Vorwurf der Befangenheit

a. Unterlassen der Selbstablehnung als tatbestandsmäßige Handlung oder Befangenheit an sich?

Der einzige Vorwurf, der der Kammer zufolge von der Anklage übrigbleibt und der die Verurteilung wegen Rechtsbeugung tragen soll, ist der der Voreingenommenheit und Befangenheit. Der einleitende Satz dieses Teils der Begründung lautet: „Der Angeklagte hat sich der Rechtsbeugung jedoch dadurch schuldig gemacht, indem (sic!) er die verfassungsrechtlich gebotene richterliche Unabhängigkeit aus sachfremden Motiven missachtet hat.“ (S. 125)

Abgesehen davon, dass sachangemessene Motive für eine Missachtung der richterlichen Unabhängigkeit nicht vorstellbar sind,5 kann das bloße Fehlen gebotener Achtung niemals einen Straftatbestand erfüllen. Im geltenden Strafrecht wird tatbestandsmäßiges Verhalten, das in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen kann, bestraft. Gedanken, Gefühle, Überzeugungen sind nicht strafbar.

Ganz so meint die Kammer das auch nicht, wenngleich sie bei der Frage des Vorsatzes (dazu unter Abschnitt 5 mehr) nur prüft, ob Vorsatz bezüglich der (angeblichen) Befangenheit bestand, also die Befangenheit als Tathandlung behandelt. In dem dem zitierten Satz nachfolgenden Satz wird vielmehr deutlich, dass sie der Auffassung ist, die Rechtsbeugung bestehe darin, dass der Angeklagte das Verfahren trotz seiner Befangenheit geführt und entschieden habe. Die gesamte richterliche Tätigkeit bei dem Verfahren soll gewissermaßen den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, weil sie im Zustand der Befangenheit erfolgt sei. Auch das ist aber falsch und zwar aus dem einfachen Grund, dass es keine Rechtspflicht für Richter gibt, bei der Leitung eines Verfahrens unbefangen zu sein bzw. keinen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit zu liefern. Dies klingt vielleicht für den juristischen Laien überraschend, erklärt sich aber damit, dass zum einen in vielen Fällen der Richter die Besorgnis der Befangenheit gar nicht selbst in der Hand hat, etwa wenn sie sich aus persönlichen Beziehungen zu den Beteiligten ergibt (Beispiel: zu einer Partei des Verfahrens besteht eine enge Freundschaft), und es zum anderen kein „Selbstablehnungsrecht“ gibt, das es einem Richter ermöglichen würde, sein Ausscheiden aus einem Verfahren selbst herbeizuführen.

Die einzige Pflicht, die insoweit besteht, ist die zur Selbstablehnung (hier gem. § 6 FamFG i. V. m. § 48 ZPO).6 Wird diese von dem darüber zur Entscheidung berufenen Richter als begründet beurteilt, scheidet der Richter aus dem Verfahren aus. Wird sie aber für unbegründet erachtet, muss der Richter das Verfahren weiterführen und zwar auch dann, wenn die Entscheidung falsch ist, weil tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit besteht.

Als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB kommt danach allein das Unterlassen einer gebotenen Selbstablehnung in Betracht. Sieht man hier klar, wird eine wesentlich sachlichere Betrachtung möglich, als wenn – wie im Urteil – mit hoher moralischer Aufladung das gesamte Verfahren vom Beginn bis zur Entscheidung zur Rechtsbeugungshandlung erklärt wird.

Zwar führt die Kammer auch an, dass der Angeklagte (nach ihrer Auffassung) verpflichtet gewesen wäre, eine Selbstanzeige anzubringen, aber das soll nur ein untergeordneter Teil der Tat sein. Sie meint, weil der Angeklagte nicht nur die Selbstanzeige unterlassen habe, sondern auch das Verfahren geführt und entschieden habe, liege der Schwerpunkt auf einem aktiven Tun und nicht auf einem Unterlassen (S. 127).7  Das ist, wie dargelegt, falsch. Es kommt grundsätzlich nur ein Unterlassungsdelikt in Betracht. Das hätte wiederum eine Absenkung der Mindeststrafe – eine sog. Strafrahmenverschiebung – von einem Jahr auf 3 Monate Freiheitsstrafe (§ 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und über § 47 Abs. 2 StGB sogar die Verhängung einer Geldstrafe ermöglicht.8   

b. Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstablehnung

Man muss an dieser Stelle noch einmal einen Schritt zurücktreten, um die Besonderheiten des Vorwurfs der Rechtsbeugung durch Unterlassen einer Selbstablehnung in den Blick zu bekommen.

Die Behauptung der Besorgnis der Befangenheit ist in Gerichtsverfahren, vor allem in Strafverfahren keine Seltenheit. Die meisten Ablehnungsanträge von Verteidigern haben zwar keinen Erfolg, aber es gibt selbstverständlich auch Fälle, in denen die Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt wird. In all diesen Fällen könnte man fragen, ob der betreffende Richter nicht verpflichtet gewesen wäre, noch vor der Ablehnung durch einen anderen Beteiligten eine Selbstablehnung bzw. Selbstanzeige anzubringen. Und da er dies offensichtlich nicht getan hat, würde sich nach der Logik der Kammer (und der Staatsanwaltschaft) stets die Frage eines Verdachts der Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstanzeige stellen.

Tatsächlich wird die Frage aber in der Praxis so gut wie nie gestellt. In der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur zu § 48 ZPO und § 30 StPO wird bei den Folgen einer pflichtwidrig unterlassenen Selbstablehnung ausschließlich erörtert, ob dies in der Revisions- oder Berufungsinstanz gerügt werden kann, und es wird außerdem darauf hingewiesen, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung für sich allein oder in der Zusammenschau mit weiteren Umständen ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen könne.9 Nirgendwo wird hier erörtert, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung als Rechtsbeugung strafbar sein könnte.

Soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen zu § 339 StGB ersichtlich, gibt es nur einen einzigen Fall, bei dem ein Richter bei unterlassener Selbstablehnung wegen Rechtsbeugung angeklagt wurde:10 Bei diesem Fall hatte ein Richter als Gefälligkeit für einen Bekannten, der einen Zivilprozess am Amtsgericht führte, ein Ablehnungsgesuch gegen den für das Verfahren zuständigen Amtsrichter verfasst. Nachdem das Ablehnungsgesuch von dem dafür zuständigen Richter als unbegründet verworfen worden war, verfasste er auch die Beschwerde dagegen. Als die Beschwerde dann aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes (was nicht vorhersehbar war) in seinem Dezernat landete, unterließ er die Selbstablehnung und entschied selbst über die Beschwerde. Dass dies ein wirklich schwerwiegender Fall richterlichen Fehlverhaltens ist und der Richter unter keinen, wirklich keinen denkbaren Umständen die Selbstablehnung hätte unterlassen dürfen, dürfte unter Richtern und Staatsanwälten Konsens sein.11 Die Verurteilung wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten auf Bewährung wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt.12

Dass dies der einzige Fall einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung wegen unterlassener Selbstanzeige ist, zeigt zugleich, dass nur im absoluten Ausnahmefall eine pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige das Gewicht einer für den Tatbestand des § 339 StGB erforderlichen elementaren Rechtsverletzung haben kann.

Dies ergibt sich auch daraus, dass darauf zu achten ist, dass eine Rechtsverletzung, die für sich genommen nicht das Gewicht eines elementaren Rechtsverstoßes i. S. v. § 339 StGB hat, nicht über den „Umweg“ der unterlassenen Selbstablehnung doch noch den Vorwurf der Rechtsbeugung begründen soll. Denn ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht, der für einen Rechtsbeugungsvorwurf nicht gewichtig genug ist, kann doch ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit begründen. Würde nun in diesem Fall das Unterlassen der Selbstanzeige als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB gewertet, würde dies zu einem Wertungswiderspruch führen.

Zu bedenken ist insoweit auch, dass letztlich bei jedem Rechtsbeugungsfall auch ein Fall der Befangenheit vorliegt, denn bei einer Rechtsbeugung zum Vor- oder Nachteil einer Partei besteht begriffsnotwendig auch die Besorgnis der Befangenheit. Es ist bisher aber noch kein Gericht auf die Idee gekommen, nachdem es bei einer Rechtsbeugungsanklage die Verwirklichung des Tatbestandes verneint hat, im Anschluss zu prüfen, ob der Richter wegen des angeklagten Verhaltens sich nicht hätte selbst ablehnen müssen und das Unterlassen nun seinerseits einen Rechtsbeugungsvorwurf tragen könnte.

Daraus ergibt sich vorliegend die Frage, wie ein nicht ergebnisoffenes Führen des Verfahrens oder eine nicht korrekte Auswahl der Sachverständigen13 – Vorwürfe, die niemals den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen können – über die sich daraus (angeblich) ergebende Befangenheit und die unterlassene Selbstanzeige dann doch eine Rechtsbeugung begründen sollen. Diese Frage stellt sich die Kammer aber schon deshalb nicht, weil nach ihrer Auffassung bereits die Verfahrensleitung im Zustand der Befangenheit das tatbestandsmäßige Verhalten sein soll.

Diese grundsätzlichen Einwände vorangestellt, soll im Folgenden dennoch die Argumentation der Kammer im Einzelnen nachgezeichnet werden.

c. Eine eigene Meinung als Befangenheitsgrund?

Der Vorwurf der Befangenheit soll sich nach dem Urteil aus Folgendem ergeben:
Der Angeklagte sei schon ab Februar 2021 entschlossen gewesen, „eine gerichtliche Entscheidung zur Maskenpflicht mit Öffentlichkeitswirkung zu treffen“. In diese Entscheidung habe er Sachverständigengutachten einführen wollen, „um damit den Argumentationsdruck für weitere gerichtliche Entscheidungen zu erhöhen.“ Zur „Verschleierung seiner Voreingenommenheit“ habe er für eine Anregung eines Verfahrens nach § 1666 BGB gezielt nach geeigneten Betroffenen gesucht und während des Verfahrens darauf geachtet, „dass seine vorgefasste Position … nicht nach außen erkennbar wird.“ Auch dass er das  Anregungsschreiben der Familie B. „mitbearbeitet“ habe, soll ihn befangen machen (bis hier S. 125 f.). Bei der Auswahl der Sachverständigen habe er keine Objektivität walten lassen, sondern diese ergebnisorientiert ausgewählt (S. 128). Insgesamt sei das Verfahren von ihm nicht ergebnisoffen geführt worden (S. 127). Und schließlich sei er auch befangen „aufgrund seiner vorgefassten Auffassungen zu der SARS-CoV-2-Pandemie und der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ (S. 127).

Auf den letztgenannten Vorwurf soll hier zuerst eingegangen werden: Die Kammer behauptet tatsächlich, der Angeklagte hätte in dieser Sache nicht entscheiden dürfen, weil er sich im Vorfeld bereits intensiv mit der Coronakrise und insbesondere den Coronamaßnahmen auseinandergesetzt und sich eine Meinung dazu gebildet hatte. Wenn das stimmen würde, dürften auch Richter, die wissenschaftliche Literatur über illegale Drogen gelesen haben und sich eine Meinung zum Thema gebildet haben, kein Betäubungsmittelverfahren mehr führen. Das ist so absurd, dass man dazu gar nichts weiter sagen muss.14 Es stellt sich allerdings die Frage, warum der Kammer die Absurdität nicht selbst auffällt.

Die Antwort scheint zu sein, dass die Kammer in Bezug auf Kritik an Coronamaßnahmen selbst befangen ist und diese Befangenheit sie daran hindert, hier klar zu sehen. Der implizite Obersatz, der das Denken der Kammer steuert, ist nämlich nicht: „Richter, die sich bereits vor einem Verfahren mit (nichtjuristischen) Fragen aus anderen Wissenschaften, die für das Verfahren bedeutsam sind, beschäftigt haben, dürfen solche Verfahren nicht führen“, der implizite Obersatz (der allerdings nicht explizit reflektiert werden darf, weil dann doch die Absurdität offenkundig würde) lautet vielmehr: „Coronamaßnahmenkritiker dürfen keine Verfahren zu Coronamaßnahmen führen.“ Dieser implizite Obersatz „funktioniert“ deshalb für die Kammer, weil grundsätzliche Kritik an der Coronapolitik in ihrem Verständnishorizont als vernunftwidrig, in gewisser Weise sogar illegitim, während Konformität mit dieser Politik als vernunftgemäß gilt. Die Idee, dem Angeklagten könnte zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich eine kritische Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet hat, während einem vorbehaltlosen Befürworter der Maßnahmen ein solcher Vorwurf niemals gemacht würde, beruht damit letztlich auf der im gesellschaftlichen Diskurs erfolgten Abwertung der Maßnahmenkritiker als „Querdenker“, „Coronaleugner“, „Wissenschaftsleugner“, auch wenn die Kammer solche Vokabeln nicht verwendet und an anderen Stellen des Urteils wiederholt betont, dass sie über die Frage, ob der Beschluss des Angeklagten in der Sache richtig war, nicht entschieden habe. Mit dem Vorwurf an den Angeklagten, er habe wegen seiner kritischen Meinung zu den Coronamaßnahmen das Verfahren nicht führen dürfen, ist jedenfalls ein erster Tiefpunkt des Urteils erreicht.

d. Der Vorwurf fehlender Unparteilichkeit bei einem Verfahren von Amts wegen

Im Artikel zur Anklage15 war ausführlich die Frage erörtert worden, was eigentlich Befangenheit bei einem amtswegigen Verfahren nach § 1666 BGB bedeutet.

Die Kammer beschäftigt sich mit dieser Frage nicht. Sie zitiert, wie schon die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen das Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität der Richter aus Art. 97 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz abgeleitet wird,16 wirft dem Angeklagten vor, diesem Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität nicht genügt zu haben und damit ist die Argumentation auch schon fast beendet. Dass die zitierten Aussagen vom Bundesverfassungsgericht alle im Kontext von Parteiverfahren getroffen wurden, also in Verfahren, die von einer Partei und nicht vom Gericht begonnen werden und in denen sich zwei Parteien im Streit gegenüberstehen, und sich daher die Frage stellt, inwieweit diese Aussagen der Interpretation bedürfen, wenn es um amtswegige Verfahren geht, wird von der Kammer dabei übergangen.

In einem Kinderschutzverfahren gibt es keine sich gegenüberstehenden Parteien, es gibt ein oder mehrere betroffene Kinder und das Verfahren wird von Amts wegen vom Gericht eingeleitet, wenn ein Verdacht der Kindeswohlgefährdung besteht. Man kann sagen: Der Richter ist von der ersten Minute des Verfahrens an auf der Seite des Kindes und damit parteiisch. Man kann die Rolle des Familienrichters in einem solchen Verfahren sogar mit der Rolle eines Staatsanwaltes im Ermittlungsverfahren vergleichen: Wie ein Staatsanwalt hat der Richter das Verfahren einzuleiten, sofern es einen Anfangsverdacht gibt und hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (durch Anhörung von Beteiligten, ggf. auch Zeugenvernehmungen, Einholung von Gutachten etc.).17 Von der Staatsanwaltschaft wird aber keine Unparteilichkeit und Neutralität (Wem gegenüber auch, dem Verbrechen?) erwartet. Was von ihr erwartet wird, ist Objektivität. Die Staatsanwaltschaft ist der Wahrheit verpflichtet und hat deshalb nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 StPO). Und dieselbe Objektivität in der Sache wird selbstverständlich auch von einem Richter in einem Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB erwartet.

Um aber die Frage zu beurteilen, ob der Angeklagte die gegenüber der Sache erforderliche Objektivität hat walten lassen, also insbesondere bei der Aufklärung der Frage, ob die Maskenpflicht in der Schule das Wohl der betroffenen Kinder gefährdet, müsste die Kammer sich mit der Sache selbst beschäftigen. Das lehnt sie aber ab und behauptet, dazu nicht verpflichtet zu sein. Welche Gefahren tatsächlich von dem SARS-CoV-2-Virus ausgingen, welchen Anteil Kinder am Infektionsgeschehen hatten, ob Maskenpflichten einen relevanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben und welche Folgen physischer, psychischer und psychisch-sozialer Art eine Maskenpflicht für Kinder hat – diese Fragen hat die Kammer sämtlich für irrelevant für die Entscheidung erklärt und einen Beweisantrag der Verteidigung, der auf die Aufklärung dieser Fragen gerichtet war, zurückgewiesen.

Ganz kommt die Kammer in dem Urteil allerdings an der Frage des amtswegigen Verfahrens doch nicht vorbei. Ein diesbezüglicher Einwand der Verteidigung wird zumindest erwähnt, um dann aber mit einer beinahe kuriosen Argumentation beiseitegeschoben zu werden:

„Der Einwand des Angeklagten, ein amtswegiges Verfahren gemäß § 24 FamFG hätte keiner Anregung bedurft, sondern er hätte die Verfahren von Amts wegen einleiten können, entkräftet nicht den verwirklichten Rechtsbeugungstatbestand.18 Grundsätzlich ist eine Einleitung eines Kinderschutzverfahrens von Amts wegen gemäß §§ 1666 BGB, 24 FamFG möglich. Entscheidend ist insofern aber, dass der Angeklagte bewusst gerade keine Einleitung des Kinderschutzverfahrens von Amts wegen vorgenommen hat, wodurch die von ihm vertretene Auffassung einer Kindeswohlgefährdung durch die Maskenpflicht und der weiteren, bezüglich der SARS-CoV-2-Pandemie geltenden Regelungen nach außen hin erkennbar gewesen wäre. Selbst wenn die Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden können, ist ein solches Verfahren nach dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ergebnisoffen in der gebotenen Neutralität zu führen.“ (S. 128)

Dem Einwand, dass bei § 1666 BGB immer das Gericht das Verfahren einleitet und bei hinreichendem Verdacht auch einleiten muss, weshalb es grundsätzlich unproblematisch gewesen sei, dass der Angeklagte das Verfahren selbst angestrebt und der das Verfahren anregenden Familie B. Hilfestellung hinsichtlich der Formulierung der Verfahrensanregung gegeben habe, wird also mit der Behauptung begegnet, der Angeklagte habe das Verfahren gar nicht von Amts wegen eingeleitet. Die Kammer hat offensichtlich nicht verstanden, dass „Einleitung von Amts wegen“ nur heißt, dass das Gericht entscheidet, ob im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt ein Verfahren begonnen wird. Das geschieht bei § 1666 BGB fast immer aufgrund einer Anregung von Dritten (meist dem Jugendamt). „Einleitung von Amts wegen“ und „aufgrund einer Anregung“ schließen sich daher überhaupt nicht aus.

Die Kammer meint offensichtlich: Wäre der Angeklagte in eine Schule gegangen, hätte sich mit Schülern über die Maskenpflicht unterhalten, sich ihre Namen sagen lassen und anschließend hinsichtlich dieser Schüler Verfahren eingeleitet, dann wäre das unproblematisch. Weil er aber auf eine Anregung einer Familie gewartet habe,19 sei er befangen. In dieser Richtung hat der Vorsitzende der Kammer in der mündlichen Urteilsbegründung am 23.08.2023 an den Angeklagten gerichtet formuliert: „Ich weiß nicht, ob man dann zu einer Rechtsbeugung gekommen wäre, wenn Sie den mutigen Weg gegangen wären, ein Verfahren von Amts wegen eingeleitet hätten und dann so entschieden hätten – quasi mit offenem Visier.“20

Abgesehen davon, dass der Vorwurf fehlenden Mutes an den Angeklagten etwas grotesk erscheint, räumt die Kammer damit selbst ein, dass es dem Angeklagten letztlich nicht vorgeworfen werden kann, dass er das Verfahren wollte und darauf aktiv hingearbeitet hat. Genau dieser Vorwurf wird dem Angeklagten aber an anderer Stelle wieder und wieder gemacht! Dort, wo die Kammer sich für einen kurzen Moment gezwungen sieht, doch die Besonderheiten eines Verfahrens nach § 1666 BGB zur Kenntnis zu nehmen, muss sie diesen Vorwurf fallenlassen und an ihre Stelle tritt sozusagen ein „Heimlichkeitsvorwurf“, der aber nur in neue Widersprüche hineinführt. Denn die Aussage des Vorsitzenden bei der mündlichen Urteilsbegründung bedeutet im Ergebnis, dass es Rechtsbeugung ist bzw. sein kann, wenn ein Richter etwas verbirgt, was er gar nicht verbergen muss. Dass das abwegig ist, liegt auf der Hand.

Festzuhalten ist daher: Der Angeklagte war verpflichtet, ein Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, sobald er den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung hatte. Dass die Verfahrenseinleitung aufgrund einer Anregung erfolgt, ist keine Besonderheit dieses Verfahrens, zu der der Angeklagte gegriffen hat, weil er irgendetwas verschleiern wollte, sondern es ist der Normalfall.

Genauso selbstverständlich durfte der Angeklagte Familie B. auch Unterstützung bei der Formulierung der Anregung geben. Anregungen gemäß § 24 FamFG können gemäß § 25 FamFG auch „zur Niederschrift der Geschäftsstelle“ abgegeben werden. Diese Niederschrift muss nicht durch einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz) erfolgen, auch der Richter (oder Rechtspfleger) kann dies tun.21 Bei dieser Niederschrift soll der Urkundsbeamte dafür Sorge tragen, dass sie inhaltlich dem Begehren des Erklärenden entspricht. Insoweit besteht im Rahmen der Fürsorgepflicht und der Möglichkeiten eine Verpflichtung, den mutmaßlichen Willen zu erfragen sowie für eine klare Formulierung des Begehrens zu sorgen.22

Wenn dies alles rechtlich möglich war, durfte der Angeklagte zweifelsohne auch die bereits vorformulierte Anregung der Familie B., die ihm per E-Mail übersandt wurde, gegenlesen und auf Unklarheiten oder Fehler hinweisen, bevor sie dann tatsächlich eingereicht wurde. Nichts ist daran rechtswidrig, aber die Kammer ist in völliger Verkennung der Rechtslage der Auffassung, das „Mitbearbeiten“ der Anregung der Familie B. disqualifiziere den Angeklagten als Richter in diesem Verfahren und zwar mindestens im gleichen Maße wie den Freiburger Richter das Verfassen der Beschwerde für seinen Bekannten.

e. Gute Gutachten, aber von den falschen Sachverständigen?

Auch bei dem Vorwurf, der Angeklagte habe bei der Auswahl der Sachverständigen Kämmerer, Kappstein und Kuhbandner keine Objektivität walten lassen, sondern sei „ergebnisorientiert“ vorgegangen, verstrickt sich die Kammer in Widersprüche, wenn sie meint, sie könne dem Angeklagten die Wahl der Sachverständigen vorwerfen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Gutachten zu beschäftigen.

Die Auswahl von Gutachtern durch Gerichte erfolgt nie im Lostrommelverfahren. Die Gerichte versuchen stets Gutachter zu beauftragen, von denen sie – aufgrund eigener Erfahrungen mit ihnen in früheren Verfahren, aufgrund von Empfehlungen von Kollegen oder aus sonstiger Kenntnis der Arbeit der Gutachter – in Inhalt und Darstellung überzeugende Gutachten erwarten. Das kann man ergebnisorientiert nennen. Wenn also die Gutachten der drei Sachverständigen allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, vielleicht sogar hervorragend sind – was die Kammer nicht ausschließen kann, da sie sich ja mit den Gutachten inhaltlich nicht befasst hat – kann der Angeklagte also keinen Fehler gemacht haben, man müsste ihn sogar dazu beglückwünschen, dass er bei der Auswahl „den richtigen Riecher“ hatte. Die Kammer aber meint, dass der Angeklagte unabhängig von der Qualität der Gutachten diese Gutachter nicht hätte beauftragen dürfen – und ist damit im nächsten Paradox gelandet. Auch dieses Paradox fällt der Kammer offensichtlich nur deshalb wieder nicht auf, weil Vorurteile gegenüber Coronakritikern (unreflektiert) als berechtigt angesehen werden: Die Sachverständigen können so gut sein, wie sie wollen, als maßnahmenkritische Wissenschaftler dürfen sie jedenfalls nicht von einem Gericht beauftragt werden und ein Richter, der das dennoch tut, ist eben befangen.23

f. Zwischenfazit

Man kann den Vorwurf der Befangenheit noch einmal so zusammenfassen:
Die Kammer wirft dem Angeklagten vor, er habe gezielt das Verfahren angestrebt und darauf hingearbeitet, obwohl sie weiß, dass Familienrichter verpflichtet sind, Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, wenn sie den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung haben. Sie behauptet, er hätte der Mutter der betroffenen Kinder keine Hilfe bei der Formulierung der Anregung geben dürfen, obwohl dies rechtlich vollkommen unproblematisch ist. Sie behauptet, der Angeklagte habe das Verfahren nicht führen dürfen, weil er sich schon zuvor eine „verfestigte“ Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet habe, während sie bei einem Richter, der die Coronamaßnahmen vorbehaltlos befürwortete, niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre. Sie behauptet, der Angeklagte hätte die drei Sachverständigen nicht beauftragen dürfen, obwohl die Gutachten möglicherweise hervorragend sind. Und schließlich wirft sie dem Angeklagten vor, er habe seine (angebliche) Voreingenommenheit verschleiert und während des Verfahrens darauf geachtet, dass seine vorgefasste Position nicht nach außen erkennbar wird, obwohl – das ist an dieser Stelle nachzutragen – er nicht nur die Beweisbeschlüsse an alle Beteiligten übersandt hat, sondern dem Freistaat Thüringen als Verfahrensbeteiligtem auch einen Katalog mit 18 Fragen übersandt hat,24 aus denen eine kritische Haltung zu den Coronamaßnahmen bereits deutlich ablesbar war.

4. „… zugunsten oder zum Nachteil einer Partei“

§ 339 StGB setzt als tatbestandlichen „Erfolg“ voraus, dass die Rechtsverletzung zu einem unrechtmäßigen Vorteil oder Nachteil auf Seiten einer Partei führt. Partei ist in diesem Sinne jeder Beteiligte des Verfahrens, dem ein anderer mit widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenübersteht.25 Bei einer Verletzung des materiellen Rechts, etwa, wenn eine eindeutige Rechtsnorm des materiellen Rechts falsch oder nicht angewandt wird, ist dies unproblematisch gegeben: Die Entscheidung ist im Ergebnis rechtswidrig und da eine Entscheidung immer mindestens für eine Partei vor- oder nachteilig ist, ist der Vor- oder Nachteil unrechtmäßig erlangt.

Bei einer Verletzung des Verfahrensrechts ist dies anders. Diese muss nicht notwendig zu einer falschen Entscheidung führen. Zwar hat eine Verfahrensrechtsverletzung meist eine zumindest vorübergehende Verbesserung oder Verschlechterung der prozessualen Position einer Partei zur Folge, dies lässt aber der Bundesgerichtshof in seiner restriktiven Auslegung des Tatbestandes nicht als tatbestandlichen Vor- bzw. Nachteil genügen. Die Verfahrensverletzung muss (zumindest) zu einer konkreten (nicht nur abstrakten) Gefahr einer falschen Endentscheidung, d. h. einer gegen das materielle Recht verstoßenden und damit rechtswidrigen Entscheidung geführt haben.

Wann eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung gegeben ist, hat der Bundesgerichtshof vor allem in Fällen entschieden, bei denen die Verfahrensrechtsverletzung darin bestand, dass ein unzuständiger Richter entschieden hat (etwa, wenn ein nach dem Bereitschaftsdienstplan nicht zuständiger Richter in einer Haftsache entscheidet). Eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung besteht nach dem BGH in diesen Fällen dann, wenn der Richter das Verfahren an sich zieht, weil er einer Prozesspartei sachfremd einen Gefallen tun will oder er sonstige außerhalb des Verfahrens liegende Motive verfolgt.26 Eine konkrete Gefahr, dass die Entscheidung von sachfremden Erwägungen beeinflusst wird, soll auch dann gegeben sein, wenn der Richter eine Zuständigkeit an sich zieht, um einen zur Entscheidung berufenen anderen Richter auszuschließen, um auf diesem Wege zu einem seinen Intentionen entsprechenden Ergebnis zu kommen, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht oder voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre.27

Die Frage, ob in dem Kinderschutzverfahren eine Partei einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil erlangt hat, stellt sich selbstverständlich erst dann, wenn man zuvor – wie die Kammer – eine elementare Rechtsverletzung bejaht hat. Die Kammer zitiert dazu auch die soeben referierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um dann aber zu schreiben:

„Der Angeklagte hat durch die von ihm von vornherein geplante und zielgerichtete Entscheidung als voreingenommener Richter einen elementaren Verfahrensverstoß begangen, der die Unrechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zur Folge hat. Die Frage, ob die von dem Angeklagten getroffene Anordnung unter Berücksichtigung der Ausführungen der eingeholten Sachverständigengutachten inhaltlich richtig gewesen ist, vermag angesichts der Schwere des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes an der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung nichts zu ändern. Denn die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung wird auch durch die Einhaltung der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze geprägt.“

Abgesehen davon, dass der zweite Satz sprachlich (wohl nicht zufällig!) verunglückt ist, zeigt dieser Absatz, dass die Kammer die Rechtsprechung des BGH nicht verstanden hat und deshalb auch nicht den Sachverhalt subsumieren kann. Wenn die von dem Angeklagten getroffene Anordnung inhaltlich richtig gewesen ist, was die Kammer für möglich hält (!), ist die Entscheidung nicht falsch und dann hat durch sie auch keine Partei einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil erlangt. Der Freispruch für einen Unschuldigen wird nicht deshalb falsch, weil im Prozess Verfahrensvorschriften verletzt wurden. Genau das ist ja der Ausgangspunkt der Überlegungen des BGH zur Frage des Vor- bzw. Nachteils bei einem Verfahrensverstoß!28 Die Kammer hat dagegen das Problem nicht einmal erkannt, wenn sie schreibt, der (angebliche) Verfahrensverstoß mache die Entscheidung rechtswidrig. Das ist erschreckend.

5. Rechtsbeugungsvorsatz?

Rechtsbeugung kann nur vorsätzlich begangen werden. Der Vorsatz des Täters muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, also nicht nur auf die Verletzung einer Rechtsnorm, sondern auch auf die Begünstigung oder Benachteiligung einer Partei.29 Bedingter Vorsatz ist ausreichend.

Da – die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Kammer im Übrigen vorausgesetzt – als einzige Tathandlung das Unterlassen der Selbstanzeige in Betracht kommt, würde (bedingter) Vorsatz hier verlangen, dass dem Angeklagten bewusst war, dass er möglicherweise verpflichtet sein könnte, eine Selbstanzeige anzubringen, die Verletzung dieser Pflicht aber billigend in Kauf nahm und dass er außerdem davon ausging, dass durch das Unterlassen der Selbstanzeige die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung geschaffen wurde und auch das billigend in Kauf nahm.

Da die Kammer, wie oben dargelegt, aber die Befangenheit an sich als Rechtsbeugungshandlung betrachtet, prüft sie nur, ob der Angeklagte Vorsatz hinsichtlich seiner (angeblichen) Befangenheit hatte. Dabei meint sie, der Vorsatz ergebe sich daraus, dass der Angeklagte Anfang März 2021 in einer E-Mail geschrieben hatte, er wolle sich „kein Befangenheitsproblem einhandeln“, dass er eine Zeugin, von der er sich eine Anregung für das Verfahren erhoffte, bat, sie solle eine eventuelle Nachricht nicht an ihn weiterleiten, sondern ihm separat Bescheid geben, dass er die Sachverständigen von seiner privaten E-Mail-Adresse angeschrieben habe und dass er nicht mit der verfahrensanregenden Kindesmutter direkt kommuniziert habe, sondern über einen Zeugen.

Die naheliegende Interpretation der Äußerung, er wolle sich „kein Befangenheitsproblem einhandeln“, heißt allerdings nur, dass er keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag geben, also nicht den Anschein von Befangenheit vermitteln wollte. Dass er sich tatsächlich für befangen gehalten hat, ergibt sich daraus nicht. Auch die anderen von der Kammer angeführten „Indizien“ lassen nicht den Schluss zu, dass der Angeklagte der Meinung war, er dürfte das Verfahren wegen Befangenheit an sich nicht führen und müsste versuchen, sich durch eine Selbstablehnung selbst „aus dem Rennen zu nehmen“. Das wäre vielleicht auch der Kammer klargeworden, hätte sie Vorsatz hinsichtlich des Unterlassens der Selbstanzeige und nicht hinsichtlich Befangenheit geprüft und sich daher die Frage gestellt, ob sie dem Angeklagten nachweisen kann, dass er den Gedanken hatte, dass er (möglicherweise) eine Selbstanzeige anbringen müsste. Diesen Beweis zu führen erscheint nach allem, was die Kammer ermittelt hat, unmöglich.

Nur am Rande sei bemerkt, dass sich die Kammer bei der Vorsatzfrage auch mit der Einlassung des Angeklagten zur Sache30 hätte auseinandersetzen müssen. Die Kammer referiert zwar auf fast 10 Seiten (S. 47-56), was der Angeklagten in der mündlichen Verhandlung gesagt hat, um dann aber nur lapidar zu schreiben, dass diese Einlassung durch die Beweisaufnahme widerlegt sei. Von einer echten Auseinandersetzung mit der Einlassung, bei der die Kammer die Darstellung der Vorgänge durch den Angeklagten hinsichtlich Schlüssigkeit und Plausibilität genau durchzubuchstabieren gehabt hätte, kann nicht ansatzweise die Rede sein.

Dass sie die Frage des Vorsatzes nicht nur hinsichtlich der mutmaßlichen Tathandlung, sondern auch hinsichtlich eines unrechtmäßigen Vorteils oder Nachteils für eine Partei bzw.  einer insoweit bestehenden konkreten Gefahr prüfen müsste, wird von der Kammer gleich ganz übersehen und deshalb nicht erörtert.

6. Was die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren antreibt

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren beantragt. Auch Richter, die wenig Sympathien für den Angeklagten und seinen Beschluss vom 08.04.2021 hatten, dürften angesichts eines solchen Antrages etwas erschrocken sein. Eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, die (gem. § 56 Abs. 2 StGB) nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wegen einer Tat der Rechtsbeugung hat es in Deutschland, soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich, in den letzten 30 Jahren nur ein einziges Mal gegeben.31 Der Staatsanwaltschaft genügte es nicht, dass Richter Dettmar bei einer Verurteilung sein Richteramt verlieren würde. Sie wollte ihn im Gefängnis sehen.

Was die Staatsanwaltschaft zu dieser Unerbittlichkeit antreibt, ist nicht ganz leicht zu erkennen, weil der Jurist, der im Rechtsstaat der Bundesrepublik sozialisiert wurde, damit nicht unbedingt rechnet. Dabei muss man die Staatsanwaltschaft nur bei ihrem Wort nehmen:

In der Anklageschrift werden ganz zu Beginn die Vorwürfe gegen den Angeklagten so zusammengefasst, dass es ihm allein aus persönlichen Motiven darauf angekommen sei, im einstweiligen Anordnungsverfahren eine mit Sachverständigengutachten unterlegte unanfechtbare Entscheidung mit Breitenwirkung in der Öffentlichkeit zu fällen, mit der die Unwirksamkeit und die Schädlichkeit von Coronamaßnahmen habe festgestellt und die zu Grunde liegenden landesrechtlichen Vorschriften für verfassungswidrig erklärt werden sollen.

Man kann sich an dieser Stelle wundern, warum die Anklage nicht, wie üblich, mit der Schilderung des mutmaßlichen tatbestandlichen Verhaltens beginnt, sondern mit der Darlegung von Motiven und Absichten des Angeklagten. Auch am Ende der Anklage wird erneut wiederholt, dass es ihm um die Veröffentlichung der Gutachten gegangen sei und er mit seiner Entscheidung „seinen Beitrag im Kampf gegen die staatlichen Maßnahmen“ habe leisten wollen.

Auch in ihrem Plädoyer in der Verhandlung vom 18.08.2023 hat die Vertreterin der Staatsanwaltschaft  bereits zu Beginn zusammenfassend erklärt, der Angeklagte habe unter Ausnutzung seiner Autorität und Macht als Richter mit seiner Entscheidung und den Gutachten „ein Fanal“ gegen die seinerzeit bestehenden staatlichen Maßnahmen setzen wollen. Der Vorwurf, ein Fanal setzen zu wollen, wurde von ihr im Plädoyer noch zweimal wiederholt und gegen Ende erklärte sie, dem Angeklagten sei es nicht um die Kinder gegangen, sondern um „eine Generalabrechnung mit den staatlichen Coronamaßnahmen“.  Bei der Begründung des Antrages erklärte sie dann, dass es strafschärfend zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte über Wochen geplant habe, wie er „seine Position als Familienrichter ausnützen könne, um die staatlichen Coronamaßnahmen an den Pranger zu stellen.“

Im Artikel zur Anklage (Abschnitt 4) war diese Hervorhebung der behaupteten Motive und Absichten des Angeklagten noch so gedeutet worden, dass die einzelnen Vorwürfe von Rechtsverletzungen in eine „Rahmenerzählung vom Missbrauch des Verfahrens für andere Zwecke“ eingebettet würden. Diese Deutung bedarf der Korrektur, denn damit ist die Intention der Staatsanwaltschaft nicht präzise erfasst. Es handelt sich nicht um eine Rahmenerzählung, sondern um den eigentlichen Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Kernvorwurf gegen den Angeklagten lautet nicht, dass er in dem Verfahren (angeblich) bestimmte prozessuale Normen in schwerwiegender Weise verletzt hat, sondern dass er als Richter öffentlichkeitswirksam die staatlichen Coronamaßnahmen kritisiert hat!

Das ist nur deshalb für den Juristen so schwer zu erkennen – dem juristischen Laien fällt es vielleicht leichter –, weil dieser Vorwurf überhaupt keinen Straftatbestand erfüllt. Die Politik der Landesregierung öffentlich zu kritisieren, ist in einer Demokratie nicht strafbar, auch dann nicht, wenn dies durch einen Richter geschieht.

Die einzelnen Vorwürfe von Rechtsverletzungen sind für die Staatsanwaltschaft daher nur von Bedeutung, um die Erfüllung des Rechtsbeugungstatbestandes behaupten zu können. Sie sind gewissermaßen nur notwendige Bedingung der Strafbarkeit, aber nicht der eigentliche Grund. Damit erklärt sich auch die Beliebigkeit des bunten Straußes an Rechtsverletzungsvorwürfen, den die Staatsanwaltschaft in der Anklage präsentiert hat, bis hin zu dem absurden Vorwurf, der Angeklagte habe sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht, indem er die Eignung des Verfahrensbeistandes der Kinder nicht ordentlich geprüft habe.

Wenn die Staatsanwaltschaft aber dem Angeklagten im Kern vorwirft, dass er die Politik der Landesregierung kritisiert hat, was – noch einmal! – nicht strafbar ist, dann hat sie hier von Anfang an ein Verfahren politischer Justiz betrieben. Sie verfolgt Richter Dettmar, weil er die Coronapolitik kritisiert hat und verhehlt dies noch nicht einmal. Wer dachte, politische Strafjustiz32 gibt es nur in Diktaturen und autoritären Staaten, wird durch die Staatsanwaltschaft Erfurt eines Besseren belehrt.

Sieht man das klar, überrascht auch der Antrag von 3 Jahren Freiheitsstrafe nicht mehr und auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft Revision mit der Begründung eingelegt hat, 2 Jahre seien nicht schuldangemessen. Für die Staatsanwaltschaft ist das Handeln von Richter Dettmar eine Art Staatsverbrechen und das muss dann auch hart geahndet werden.   

7. Zusammenfassung

Die Kammer sagt: Mit dem, was in den drei Gutachten steht, müssen wir uns nicht beschäftigen, weil es für die Entscheidung irrelevant ist. Sie verkennt damit, dass die Frage, ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, immer auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist.33 Die Kammer sagt damit – und nichts daran ist überspitzt, alles logische Konsequenz ihrer Argumentation: „Selbst wenn durch den Beschluss des Angeklagten – wenn er Bestand gehabt hätte – viele Kinder vor erheblichen physischen und/oder psychischen Schäden bewahrt worden wären und die Aufhebung des Beschlusses durch das Oberlandesgericht genau zu diesen Schäden geführt hat, wäre der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren zu verurteilen. Richter, die zwar Kindern helfen, dabei aber Rechtsregeln verletzen, sind hart zu bestrafen.“

Das ist unmenschliches Strafrecht.

Es lohnt sich, den Fall noch einmal als Narration wiederzugeben, in der auch der Anlass und gesellschaftliche Hintergrund des von dem Angeklagten geführten Verfahrens sowie die in ihm aufgeworfenen tatsächlichen Fragen vorkommen. Dies erscheint auch wichtig, um den Kontrast zu dem von der Staatsanwaltschaft eingeführten und von der Kammer zumindest teilweise übernommenen Narrativ von dem unerhörten und verwerflichen Anschlag eines Richters auf die Politik der Landesregierung deutlich zu machen.

Bei allen Fragen, die die Kammer offen gelassen hat, ist dabei nach dem Grundsatz in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) die für den Angeklagten günstigste Möglichkeit zugrundezulegen. Die Geschichte, die in Anspruch nimmt, im Einklang mit den Feststellungen des Urteils zu stehen und nichts Wesentliches wegzulassen, lautet so:

Zugunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, dass die Thüringische Landesregierung die mit dem SARS-CoV-2-Virus verbundenen Gefahren für die Bevölkerung weit überschätzt hat. Es ist auch davon auszugehen, dass die Maskenpflicht in der Schule keinen relevanten positiven Einfluss auf das Infektionsgeschehen hatte.34 Weiter ist davon auszugehen, dass durch die Maskenpflicht (und weitere Maßnahmen wie Abstandsgebot und Testpflicht) in der Schule das Wohl der betroffenen Kinder in physischer und/oder psychischer und/oder psychosozialer Hinsicht gefährdet wurde. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Coronamaßnahmen in der Schule bei einer relevanten Anzahl von Schülern zumindest mitverantwortlich sind für Schäden wie Angsterkrankungen, Depressionen, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Schulversagen. Da der Angeklagte sich schon frühzeitig intensiv mit den Coronamaßnahmen beschäftigt hatte und sich bereits eine – möglicherweise auch verfestigte – Meinung zu ihnen gebildet hatte, hatte er den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung durch die Maßnahmen. Als Familienrichter, der bei einem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung ein Verfahren gem. § 1666 BGB einzuleiten hat, hat er auf ein solches Verfahren aktiv hingearbeitet. Davon, dass ihm als Familienrichter das Recht die entsprechenden Kompetenzen verliehen hätte, ging er aus. Da er negative Konsequenzen eines Verfahrens zur Kindeswohlgefährdung durch Coronamaßnahmen in der Schule für die betroffenen Kinder bzw. ihre Familie nicht ausschließen konnte, wollte er ein solches Verfahren nur aufgrund der Anregung von Eltern, die die damit verbundenen Risiken bewusst einzugehen bereit waren, beginnen. Um einen etwaigen Beschluss auf eine solide fachliche Grundlage zu stellen und ihm mehr Überzeugungskraft zu verschaffen, holte er drei Gutachten von qualifizierten Wissenschaftlern ein. Zu seinen Gunsten ist davon auszugehen, dass die in den Gutachten getroffenen wissenschaftlichen Feststellungen vollumfänglich zutreffend sind. Mit seiner Entscheidung wollte der Angeklagte die von ihm durch die Gutachten als hinreichend bewiesen erachteten Kindeswohlgefährdung(en) für die betroffenen Schüler abwenden.35 Darüber hinaus war ihm auch an Öffentlichkeitswirksamkeit für seinen Beschluss gelegen, da nicht nur an den beiden Schulen, auf die sich seine Entscheidung bezog, sondern deutschlandweit Kinder von der Maskenpflicht in der Schule betroffen waren und er hoffte, dass andere Gerichte sich seiner Rechtsauffassung anschließen und zugunsten von Kindern entscheiden könnten. So kam es zu dem Beschluss vom 08.04.2021 und zu dem, was dann folgte.

8. Die Frage nach den Ursachen

Wie ist eine solche Entscheidung möglich?

Unter 3. c. und e. ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Kammer in ihrem Denken ganz offensichtlich nicht unbeeinflusst ist von der Abwertung und Ausgrenzung grundsätzlicher Kritik an der Coronapolitik im öffentlichen Diskurs als vernunftwidrig und illegitim.

Hinzu kommt ein weiteres. Die Kammer sah sich auch hinsichtlich des konkreten Verfahrens einem massiven Einfluss durch die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung ausgesetzt: Von Beginn an wurde der Beschluss vom 08.04.2021 zu einem Skandal und Richter Dettmar quasi zur Unperson erklärt. Beteiligt daran waren die regionale und die überregionale Presse, das Thüringer Bildungsministerium, Anzeigeerstatter wie die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags und nicht zuletzt die Staatsanwaltschaft Erfurt, die nicht nur gegenüber der Presse, sondern auch mit den Durchsuchungen bei dem Beschuldigten, bei Sachverständigen und Zeugen die Botschaft vermittelte, dass es sich hier um einen geradezu beispiellosen Fall von Kriminalität eines Richters handele. Dieser Vorverurteilung in der veröffentlichten Meinung folgte eine Anklageschrift, in der die Staatsanwaltschaft sich alle Mühe gab, das Verhalten von Richter Dettmar als geradezu infamen Skandal darzustellen und ein möglichst negatives Bild von der Person des Angeklagten zu zeichnen.

Diesem massiven Druck hätte sich die Kammer erst einmal entziehen müssen, um ruhig und sachlich die Argumente von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu prüfen. Das war ihr offensichtlich nicht möglich. Wie bereits bemerkt: Die vielen logischen Brüche in der Argumentation sind nicht einfach durch Unvermögen zu erklären (obwohl das juristisch-argumentative Niveau tatsächlich erschreckend ist!). Sie weisen darauf hin, dass auf Seiten der Kammer vor aller sachlichen Beschäftigung ein Vorurteil bestand, das dem der veröffentlichten Meinung entsprach: Was Richter Dettmar getan hatte, war „etwas ganz Schlimmes“, etwas Unverzeihliches. Musste es dann nicht Rechtsbeugung sein?

Es sind auch nicht nur die Widersprüche in der Argumentation, die darauf hindeuten, dass das Urteil nicht (allein) auf der argumentativen Prüfung des Sachverhalts, sondern (auch) auf den bestehenden Vorurteilen beruht. Auch dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten und dem Vorbringen der Verteidigung im Urteil überhaupt nicht stattfindet, kann nur so erklärt werden, dass die Kammer nicht bereit war, sich auf Gegenargumente ernsthaft einzulassen. Und es sind auch nicht nur die Argumente des Angeklagten und der Verteidigung, die im Urteil „herumstehen“, als wären sie Teil einer fremden Realität, mit der die Kammer nichts zu tun haben will. Es ist auch die Sache selbst, auf die sich die Kammer am Ende nicht einlassen will. Die Weigerung, die Besonderheiten eines amtswegigen Verfahrens zur Kenntnis zu nehmen, ist vielleicht das krasseste Beispiel dafür. Am Ende drängt sich der Eindruck auf, dass die Kammer sich von einem von Anfang an eingeschlagenen Weg nicht abbringen lassen wollte.

Das alles kann man Befangenheit nennen und es ist eine bittere Ironie des Verfahrens, dass hier Richter, denen es selbst an der notwendigen Objektivität, inneren Unabhängigkeit und Souveränität für ein hochpolitisiertes Strafverfahren fehlte – wobei sie sich insofern aber sicher keine Sekunde lang im Verdacht hatten –, über einen Kollegen zu Gericht saßen und ihn wegen (angeblicher) Befangenheit zu einer Strafe verurteilten, die bei Rechtskraft den Verlust seiner beruflichen Existenz bedeuten würde.

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Ich habe heute keine Zeit mehr und lasse gerne den Strafrechtlern den Vortritt. Nur so viel: Die Ausführungen des Hetzwerks zur Unparteilichkeit sind teils falsch, soweit behauptet wird, dass eine Unparteilichkeit hier von Vornherein auszuschließen sei; dazu hatte ich vor geraumer Zeit lichtvolle Ausführungen gemacht (selbstverständlich muss Unparteilichkeit gegenüber dem potenziellen Kindeswohlgefährder, nämlich dem Freistaat Thüringen als Schulträger, bestehen). Und sie sind teilweise richtig, weil die Strafkammer immer noch nicht kapiert hat, dass es sich nicht um ein durch Antrag einzuleitendes Verfahren handelt.

Im Übrigen rechne ich der Revision der StA auch gute Chancen aus, denn die Verneinung von Rechtsbeugung durch die Allgemeinverbindlicherklärung kann ich nicht nachvollziehen.
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Ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dass im "Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte" auch nur ein Richter oder Staatsanwalt dabei ist.

Gerade diese Gruppen aus dem Denkverweigererumfeld die sich "Gruppe X für Aufklärung" oder "kritische Gruppe X" nennen haben oft wenige bis keine Mitglieder der Gruppe X dabei, die Namen sind reines Marketing.

Ich erinnere mich im Speziellen an mehrere Demonstrationen von "Studenten für Aufklärung" an Hochschulen oder als Teil von Denkverweigererdemos wo kein einziger Studierender dabei war.
NWO-Agent auf dem Weg zur uneingeschränkten Weltherrschaft

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