@Rechtsfinder @Schreibtischtäter das ist was für Euch.

Kurzer Exkurs ins Befehls- und Disziplinarrecht:
Wenn Soldaten sich daneben benehmen, gibt's Ärger. Wie groß der Ärger ist, richtet sich nach der
Wehrdisziplinarordnung (WDO). Hier hat sich ein Soldat danebenbenommen, indem er dem Befehl der Kompaniechefin (als solche Disziplinarvorgesetzte mit Disziplinarbefugnis der Stufe 1, § 28 Abs. 1 Nr. 1 WDO) missachtete, sich impfen zu lassen.
Aber Rechtsfinder, ist Befehlsverweigerung nicht strafbar? Kurze Antwort: Ja, manchmal. Lange Antwort: Es gibt den Ungehorsam (§ 19
Wehrstrafgesetz (WStG)), der setzt aber voraus, dass dabei schlimme Dinge passieren. Sind sie hier nicht, wobei ich natürlich Ausführungen zur Selbstgefährdung (§§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 3 Var. 3 WStG) in so einem Urteil wirklich witzig fände. Dann gibt es noch die Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, die setzt aber voraus, dass der Täter sich gegen den Befehl "mit Wort und Tat [...] auflehnt" (nein, Beschwerden gehören nicht dazu) oder den Befehl nicht ausführt, obwohl er wiederholt wurde.
Spoiler
Randnotiz: Deswegen werden Befehle selten zweimal erteilt bzw. oft nur, wenn klar ist, dass der Soldat sich von der Strafandrohung beeindrucken lässt und den Befehl dann ausführt. Niemand mag den Papierkram einer Wehrstraftat, zumal die Staatsanwaltschaften das WStG ohnehin nicht kennen und dann einstellen. Diszis gehen schneller und sprechen sich rum, haben also einen (weit) größeren Erziehungseffekt.
Das ist hier aber vermutlich nicht passiert. Disziplinarrecht reicht häufig aus und dafür muss der Soldat nur ein Dienstvergehen begangen haben, nicht notwendigerweise (auch) eine Straftat. Was ein Dienstvergehen ist, wird, heut ist's ein wilder Ritt durch's Wehrrecht, in
§ 23 Soldatengesetz (SG) geregelt. Hier in Betracht kommt offensichtlich Absatz 1, die schuldhafte Verletzung einer (Dienst-)Pflicht. Die Generalklausel ist die Verletzung der "Pflicht zum treuen Dienen" (vgl. auch § 7 SG), das kann in der Theorie so ziemlich alles sein und bei der Bundeswehr hält man viel davon, es mit der Umsetzung von Theorie in Praxis möglichst umfassend zu versuchen. (Randnotiz: Wenn man genau liest, dann sieht man hier auch eine gesetzlich normierte, soldatische Pflicht zur Tapferkeit, aber das sparen wir uns für eine andere Gelegenheit auf.)
Hier wird's aber eher die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 SG) gewesen sein: "Der Soldat muss seinen Vorgesetzten gehorchen" (§ 11 Abs. 1 S. 1 SG). Hier wird's spannend. Denn in der Bundeswehr mit ihrer Philosophie der
Inneren Führung hält man nicht viel von Kadavergehorsam. Wohin das führt, wenn Untergebene blind Befehle befolgen, hat man in zwei Weltkriegen gesehen und als aktuelles Beispiel macht die russische Armee in der Ukraine auch keine besonders gute Figur.
Zum einen korrespondiert mit der Untergebenenpflicht, Befehle auszuführen, die Vorgesetztenpflicht, ausschließlich rechtmäßige Befehle zu erteilen (§ 10 Abs. 4 SG). Ein Vorgesetzter, der einen rechtswidrigen Befehl erteilt, begeht damit ein Dienstvergehen und setzt sich der Disziplinierung aus. Zum anderen kommt es aber auf die Rechtmäßigkeit des Befehls gar nicht an. Denn auch rechtswidrige Befehle können verbindlich sein. Der Vorgesetzte hätte sie nicht erteilen dürfen, ausgeführt werden müssen sie dennoch. Triviales Beispiel: Der Unteroffizier Dosenkohl befiehlt dem Gefreiten Haumichblau auf ansonsten leerer Autobahn, trotz Überholverbot einen LKW zu überholen. Das ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO), aber keine Straftat, der Gefreite Haumichblau tut also gut daran, den Befehl zu befolgen. Er ist nämlich verbindlich. Über die vom Unteroffizier Dosenkohl begangene Dienstpflichtverletzung (siehe oben) kann er sich beschweren und wenn die Kompaniechefin schlechte Laune hat, dann kostet das den Unteroffizier Dosenkohl 100 Euro (oder so). Selbst schuld, kein Mitleid.
Unverbindliche Befehle treten in zwei Kategorien auf: Befehle, die nicht befolgt werden müssen und Befehle, die nicht befolgt werden dürfen. Befehle, durch die die Menschenwürde (des befolgenden Soldaten selbst) verletzt würden oder die nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt wurden (Lehrbuch-Klassiker: "Waschen Sie mein Privat-Kfz!") müssen nicht befolgt werden,
dürfen aber befolgt werden. Objektiv nicht durchführbare Befehle müssen auch nicht befolgt werden, der Versuch schadet in der Regel aber auch nicht (bevor jemand fragt, was ein im Prinzip objektiv nicht durchführbarer Befehl beispielsweise sein könnte: "Jäger Schnitzel! Sie sprinten jetzt zum Horizont, schlagen an, und sprinten dann zurück – marsch, marsch!", nur dann wirklich verbindlich, wenn der Befehlsempfänger an die flache Erde glaubt) und Befehle, durch die eine Straftat verwirkt würde,
dürfen nicht befolgt werden. Im o.g. Beispiel dürfte der Soldat also durchaus das Privat-Kfz des Vorgesetzten waschen. Seine Sache, was er so macht; einfordern kann der Vorgesetzte das nicht. Befiehlt aber der Major Neese dem Hauptgefreiten Butte, einen Kriegsgefangenen kurzerhand zu erschießen, dann darf der HptGefr das nicht tun.
Soweit der Crashkurs Befehlsrecht. Ausführlich kann man das
hier bei der Bundeswehr selbst nachlesen. Untersteht Euch, den Panzerpionieren zu stecken, dass ihr Unterricht offen im Netz steht (die Folien sind z.T. echt wild aufgemacht), denn das Schaubild mit verbindlich/unverbindlich etc. (Folie 14) ist echt gut. Komplett weird ist übrigens der YT-Kanal, auf den da verwiesen wird. Computerstimme liest Wikipedia-Artikel vor. Der Kanal heißt "WikiTubia" und auf dem Avatar steht "Keep Calm and Deus Vult" (Bleib ruhig und Gott will es). Ja dann.
Wie kommt die Kompaniechefin nun auf die Idee, ihrem Soldaten das Impfen zu befehlen? Impfpflicht durch die Hintertür? Mitnichten. Seit Einführung des § 17a SG ("Pflicht zur Gesunderhaltung") besteht in der Bundeswehr eine auftragsangepasste Impfpflicht. Seit Jahrzehnten. Wusste mal wieder keiner, als über Masern und COVID diskutiert wurde und das Gezeter groß war, dass Impfpflicht ja stets verfassungswidrig und in Deutschland seit Ewigkeiten abgeschafft sei. Belassen wir's dabei, dass grundsätzlich Impfungen befohlen werden können.
Was meckert also der Thüringer (schon wieder Ostdeutschland...!) Richter? Dass eine Kombattantin keine Zivilcourage hat. Ja. Nein. Seit Ukraine-Krieg kennen wir alle nicht nur sämtliches Großgerät mit Rohrdurchmesser von 120mm an aufwärts, sondern auch, was Kombattanten und was Zivilpersonen sind. Von ersteren fordert man Tapferkeit (ich sprach oben davon). Kleiner Spaß am Rande; natürlich sollen Soldatinnen & Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" auch Zivilcourage haben. Stichwort: Innere Führung. Naja,
jedenfalls solange man nicht gerade rechtsextreme Soldaten als rechtsextrem bezeichnet, das geht dann doch etwas zu weit.
Die Argumentation des Richters ist im Wesentlichen, dass die Vorgesetzte den Befehl nicht hätte erteilen sollen. Ums Dürfen scheint es laut LTO-Artikel nicht zu gehen (muss es aber, denn ein rechtmäßiger Befehl ist immer verbindlich, Stopfen). Und daraus wird scheinbar eine Unverbindlichkeit abgeleitet, sodass der Soldat den Befehl vielleicht(!) nicht hätte befolgen müssen, woraus sich wiederum ergäbe, dass kein Dienstvergehen vorlag. Am ehesten, das sagt auch der verlinkte Artikel bei LTO, ginge das wohl über die Figur des sog. "gefährlichen Befehls", der sich in einer Grauzone zwischen "nicht müssen" und "nicht dürfen" abspielt (in der grandiosen Präsentation der PzPis auf Folie 15

) und in den auch Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit eingehen.
Unterm Strich sehe ich nicht, was es an der materiellen Rechtslage zu deuteln gäbe. Da hat der Soldat den Eintrag in der Disziplinarakte wohl nur hinausgeschoben und ein Vertragsanwalt des Bundeswehrverbandes sein Geld verdient. Wenn nicht das TDG, dann wird das BVerwG dem Soldaten die Leviten lesen.
Zur Prozesslage:
1. Frage aus Unkenntnis: warum vorläufige Aussetzung, wenn es keine Rechtsmittel gibt?
2. Frage: warum Entscheidung als ER und nicht als Kammer?
1.) Die Disziplinarmaßnahme wird vorläufig ausgesetzt, das heißt, sie kann nicht vollzogen werden. Ein Verweis wird nicht eingetragen, ein strenger Verweis nicht ausgesprochen, eine Disziplinarbuße nicht einbehalten, Ausgangsbeschränkungen oder Arrest nicht vollstreckt. Rechtsgrundlage dafür ist § 3 Abs. 2 WBO; das Gericht ist zur Prüfung auch ohne Antrag verpflichtet. Wenige Gruppen genießen in Deutschland soviel Rechtsschutz, wie Soldaten. Nicht anfechtbar ist die Entscheidung über die vorläufige(!) Maßnahme. Zur Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme kommt es also (wenn überhaupt) erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.
2.) Entscheidung des Vorsitzenden allein, weil die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung erging (§ 75 Abs. 1 S. 2 WDO). In der Hauptverhandlung wäre die Kammer, wie
@Judge Roy Bean völlig zu Recht anmerkte, mit drei Richtern besetzt, wobei der Vorsitzende ein Richter ist (in unserem Falle eben der mit den interessanten Rechtsansichten). "Laienrichter" mögen es, da kenne ich mich nicht sonderlich aus, an deutschen Zivilgerichten weit verbreitet sein (erst heute wurde mir ein Fall berichtet, in dem ein Landgericht nicht etwa die Behauptung einer Urkundenfälschung durch die eine Seite, sondern die Behauptung einer schlichten Informationsweitergabe durch die andere Seite von der jeweils gegnerischen Seite für beweispflichtig hielt), an den Truppendienstgerichten sind sie die Ausnahme. Stattdessen stehen dem Richter zwei Soldatinnen und/oder Soldaten als ehrenamtliche Richter zur Seite. Dabei gehört einer der ehrenamtlichen Richtern der
Dienstgradgruppe des Soldaten an (ist also ggf. ein Mannschaftsdienstgrad), der andere muss Stabsoffizier sein (Major und aufwärts) und einen höheren Rang haben als der Soldat (bei Obersten oder Generälen sitzt da dann halt ein General; das wird bei Maßnahmen gegen Generäle/Admiräle lustig). Die können den Richter überstimmen und er darf es aufgrund des Beratungsgeheimnisses nicht einmal verraten.
Wenn sie das wider Erwarten nicht tun, dann bleibt dem Verteidigungsministerium noch der Gang zum Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 22a WBO). Wie die Wehrdienstsenate entscheiden könnten, dafür gibt es ja bereits Datenpunkte. Es besteht also noch ausreichend Gelegenheit, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.
In diesem Sinne: Kamerad
@Schreibtischtäter, bitte übernehmen, Mängel in meiner Darstellung abstellen und bei Gelegenheit Ausbildungserfolg bei der versammelten Truppe überprüfen.
Spoiler
Uiuiui, das war jetzt gefährlich. Ich hab mal nen Diszi gesehen, wo einem Obergefreiten vorgeworfen wurde, er habe sich, als er eine Aufgabe im Checkpoint nicht übernehmen wollte und zu einem Hauptgefreiten, der neben ihm saß, "Mach Du das!" gesagt habe, Befehlsbefugnis angemaßt. Fürs Protokoll merke ich daher an, dass das selbstverständlich ein Scherz war, für den ich mich in aller Form entschuldigen möchte und mir selbstverständlich bewusst ist, dass mir gegenüber Schreibtischtäter keine Befehlsbefugnis zukommt.
