Die Verhältnismäßigkeit ist laut einigen Juristen schon alleine dadurch gegeben, dass ein "laufen lassen" in immense medizinische Folgen mit vielen "unnötigen Toten" ausartet und dementsprechend eine "hättet ihr mal was getan"-Klagewelle zur Folge hätte.
Das ist etwas verkürzt. Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet, erforderlich und angemessen ist. Bei der Angemessenheitsprüfung wird dann der angestrebte Zweck mit der Schwere des Eingriffs ins Verhältnis gesetzt.
I. Legitimität
1. Legitimer Zweck
Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Krankheit (+)
2. Legitimes Mittel
Das ist schon schwieriger. Da man sich jedoch gegen eine strikte Ausgangssperre zugunsten von Kontaktbeschränkungen entschieden hat (+)
Versammlungsverbote in geschlossenen Räumen, Gottensdienstverbote könnten hier erörtert werden. Aber nach meiner Auffassung sind beide nicht per se illegitime Mittel.
II. Geeignetheit
Hier wird es schon schwieriger. Da argumentieren bereits manche damit, dass solange die Leute in der Bahn oder beim Einkaufen engen Kontakt haben, die Maßnahmen nicht geeignet sind, eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Aber das ist auch gar nicht das Zeil, sondern "flatten the curve", daher (+)
III. Erforderlichkeit
Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes, gleich wirksames Mittel gibt. Hier kommt die Spielwiese der Kritker. Die sagen, dass die Maßnahme gar nicht erforderlich ist, weil ist ja nur eine normale Grippe, weniger Tote als bei einer normalen Grippewelle, Handy-App und Maske reichen ... Die Gerichte gestehen hier allerdings einen großen Beurteilungsspielraum zu, möglicherweise nicht erforderlich reicht nicht.
Hier spielt nach meiner Einschätzung die Musik bei einer möglichen Verfassungswidrigkeit. Aber da muss man sich jede Maßnahme einzeln angucken und nicht pauschal urteilen. Daher setze ich hier ein (?)
IV. Angemessenheit
1. Abstrakte Wertung
a. Wertigkeit des Mittels
Allgemiene Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht liegt von der Wertigkeit nicht so hoch wie Religions-, Versammlungs-, Berufsfreiheit, Freizügigkeit als spezielle Grundrechte. Problematisch ist hier die Eigriffsintensität, da in eine Vielzahl von Grundrechten eingegriffen wird. Teilweise ist sogar der Kernbereich betroffen, wie bei den Versammlungsverboten.
Ein Verbot von Gottesdiensten greift zwar tief in die Religionsfreiheit ein, macht die Ausübung der Religion aber nicht komplett unmöglich. Vgl. hierzu Urteile BVerwG 9 C 60.89 vom 30. Oktober 1990 = BVerwGE 87, 52 und BVerfG 2 BvR 478, 962/86 vom 1. Juli 1987 = BVerfGE 76, 143 nach denen eine politische Verfolgung (in Form der Verfolgung wegen der Religionszugehörigkeit) noch nicht vorliegt, wenn nur die öffentliche Ausübung der Religion verboten ist. Somit ist ein Verbot von Gottesdiensten noch nicht per se ein unzulässiges Mittel.
Ob 4 Wochen Home Office gegen die Menschenwürde verstoßen, ist dann noch eine andere Frage.
b. Wertigkeit des Zwecks
Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist ein Ziel von Verfassungsrang. Mittel und Zweck stehen somit auf einer Ebene.
2. Konkrete Bewertung
a. Konkrete Schwere des Eingriffs
Es wird in eine Vielzahl von Grundrechten mit erheblicher Intensität eingegriffen. Es handelt sich somit um schwere Eingriffe. Diese werden abgemildert durch Ausnahmeregelungen und zeitliche Beschränkung. Dies führt dazu, dass die Schwere des Eingriffs mit jeder Verlängerung der Maßnahmen steigt. Bei jeder Verlägerung hat die Abwägung zwischen Mittel und Zweck daher neu zu erfolgen. Nur die Feststellung, dass noch immer die gleiche Situation wie bei der erstmaligen Verhängung der Maßnahmen besteht, reicht nicht. Daher ist zu erarten, dass sich die Haltung der gerichte mit der Zeit ändern wird.
b. Grad der Zweckerreichung
Der Zusammenhang zwischen Verringerung von Kontakten und Verringerung der Zahl von Neuinfektionen macht eine Zweckerreichung wahrscheinlich. Aber dies ist zu überprüfen. Wenn sich eine Maßnahme als nicht wirksam erweist, dann ist sie aufzuheben und nicht einfach zu verlängern. Bei einer ex post Betrachtung wird sich hier zeigen, ob die Maßnahmen verfassungsgemäß waren. Waren sie unwirksam, so waren sie verfassungswidrig. Ex ante ist eine Wirksamkeit wahrscheinlich.
2. Abwägung
Hier kann nun das eingefügt werden, was
@Anmaron geschrieben hat. Hier ist viel Argumentation in alle Richtungen denkbar. Hier und bei der Erforderlichkeit spielt die Musik.
@Reichsschlafschaf Es ist dem normalen Bürger oft nicht einsichtig, dass ein Grundrechtseingriff nicht gleichbedeutend mit verfassungswidrigkeit ist. Natürlich greifen die Maßnahmen der Eindämmungsverordnungen in Grundrechte ein.