Das Gegenteil findet sich heute: Wir führen erst gar kein Verfahren durch.
Wenn das im folgenden zutage tretende Denken weit verbreitet ist in den FNL, dann wundert mich nix mehr:
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Charakterloses Herausgerede
Dieses nur schwer erträgliche und charakterlose Herausgerede einer Landgerichtsleitung schreit nach einer juristischen Aufklärung. Dafür müsste die Vorsitzende Richterin allerdings ihren Vorgesetzten, den Landgerichtspräsidenten, erneut in den Zeugenstand rufen oder zumindest aufhellen, ob dieses Schreiben wirklich so lange unterwegs war und ob das Präsidium schon eher von der Schwangerschaft wusste. Das wird sie sich nicht trauen. Und das wäre dann ein weiteres Zeichen für die Befangenheit der Kammer, was gegen ein faires Verfahren spricht und gegen ein unabhängiges Gericht. So etwas darf nicht sein.
Das angeklagte Verbrechen der Angeklagten wirft sodann die Frage auf, welchen Schaden sie damit anrichtete und wer dadurch einen Vorteil erhielt. Den Vorteil erhielten ein Pfarrer, der einer Sterbenden Beistand gewähren wollte, und die Sterbende selbst. Darüber und den angerichteten Schaden möge jeder selbst urteilen.
Dass im April 2020 ein Gericht nötig war, um einen solchen menschlichen Beistand und ein Sterben in Würde überhaupt durchzusetzen, ist ohnehin eine Schande. Denn das Infektionschutzgesetz hätte dies erlaubt, die damalige Thüringer Corona-Verordnung aber nicht. Auch durch den Beschluss der deswegen angeklagten Richterin wurde die Verordnung sodann still und leise geändert und Besuche ermöglicht. Der danach einsetzende und bis heute anhaltende Belastungseifer der Justiz gegen die junge Mutter mag juristisch nachvollziehbar sein. Mit Menschlichkeit und Fairness hat das alles nichts zu tun.
LVZ
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Prozessauftakt gegen Proberichterin in Gera
"Meine Tochter hat einen schlimmen Fehler gemacht"
von Tanja Podolski08.04.2024
Eine Richterin hatte in der Pandemie einem Pfarrer Zugang zu einem Pflegeheim verschafft. Nun begann der Strafprozess gegen sie am LG Gera wegen Rechtsbeugung. Denn der Pfarrer ist der Vater der Richterin.
Die angeklagte ehemalige Proberichterin redet an diesem Montag zum Prozessauftakt am Landgericht (LG) Gera nicht: Anna K. ist wegen Rechtsbeugung nach § 339 Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt (Az. 11 KLs 542 Js 23378/20). Sieben Verhandlungstage hat die Strafkammer um die Vorsitzende Richterin am LG Marie Richter für dieses Verfahren angesetzt. Dass es so viele sind, hat den Staatsanwalt Philipp Giesecke überrascht, sagt dieser unmittelbar vor der Verhandlung gegenüber LTO. Nach der Anklage schien alles so eindeutig.
Die Angeklagte hatte während ihres Bereitschaftsdienstes in der Corona-Pandemie als Richterin auf Probe eine Entscheidung auf Antrag ihres Vaters getroffen. In Fällen von Verwandten in gerader Linie dürfen Richter:innen jedoch gem. § 41 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht tätig werden.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt hatte bereits am 31. August 2021 Anklage gegen die Frau wegen Rechtsbeugung erhoben. Mit Beschluss vom 16. Mai 2023 ließ das LG die Anklage zu und eröffnete das Hauptverfahren. Parallel lief das Disziplinarverfahren, der Dienstgerichtshof beschloss bereits im Dezember 2021 (Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 15.12.2021, Az. DGH W 1/21), dass die Frau sofort aus dem Richterdienst ausscheiden musste. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 09.03.2022, Az. 2 BvR 91/22) nicht zur Entscheidung an.
Mehrere Richter:innen erklärten sich für befangen
Für das Strafverfahren war es gar nicht so einfach, einen zulässigen Spruchkörper zu finden. Diverse Richter:innen am LG waren befangen bzw. hatten selbst die Sorge der Befangenheit erklärt (§§ 24, 30 Strafprozessordnung, StPO). Denn die Anklagte war mit einem Teil ihrer Arbeitskraft auch am LG Gera selbst tätig. "Seit Zulassung der Anklage hat das Gericht 21 unterschiedliche Spruchkörper mitgeteilt", sagte der Rechtsanwalt der Angeklagten, Jörg Geibert an diesem Montag in Gera. Der Anwalt, einst selbst Richter, Innenminister und noch immer Richter am Verfassungsgerichtshof in Thüringen, hat sich der Angeklagten als Pflichtverteidiger beiordnen lassen.
Für Geibert ist auch die aktuelle Besetzung des Gerichts nicht gelungen. Er moniert, dass auch eine Proberichterin Teil der Kammer ist und hat einen Befangenheitsantrag gestellt. Denn als Zeuge wird an einem der nächsten Verhandlungstage auch der Präsident des LG aussagen – und der ist gleichzeitig der Dienstvorgesetzte, der genau diese Proberichterin noch beurteilen wird. Staatsanwalt Giesecke sieht darin kein Problem: Es sei vielleicht etwas unangenehm, den Richter zu vernehmen, der einen später noch beurteilt. Auszuschließen sei die Richterin aus diesem Grund aber nicht.
Vater holte den Beschluss bei der Tochter ab
Die Anklage ist dann schnell verlesen. Danach hatte die inzwischen 37-jährige Anna K. ab dem 14. April 2020, dem Dienstag nach Ostern, – zusammen mit einer Kollegin als Vertreterin – ab 16 Uhr Bereitschaftsdienst. Um 16.06 Uhr, also sechs Minuten nach Beginn des Dienstes, rief ihr Vater an. Der evangelische Pfarrer Peter O. wollte ein langjähriges Gemeindemitglied in einem Pflegeheim in Jena besuchen. Er war regelmäßig bei der 89-jährigen Palliativpatientin gewesen, bis die seinerzeit gültige Corona-Schutzverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) ab dem 7. April 2020 externen Besucher:innen den Zugang zu Pflegeheimen verbot. Dieses Verbot galt mit wenigen Ausnahmen für Extremsituationen zunächst auch für Pfarrer:innen. Die Hausleitung ließ den Mann daher trotz vieler Bitten nicht rein.
Er sei an dem besagten Tag überrascht gewesen, seine Tochter am Telefon zu haben, sagt Peter O. an diesem Montag in Gera. Der Pensionär sagt aus - obwohl er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Nur kurz sei das Gespräch damals darauf gekommen, ob seine Tochter befangen sein könne. Das komme darauf an, soll Anna K. gesagt haben, sie müsse sich den Antrag ansehen. Sie macht den Bereitschaftsdienst an diesem Tag im eigenen Haus, der Vater schickt seiner eigenen Aussage nach den über Mittag verfassten Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung an ihre private Email-Adresse. Gegen 17.30h machte er sich dann auf den Weg zu seiner Tochter. Eine Stunde Fahrzeit sei das gewesen – pro Wegstrecke. Dem Pfarrer sei dann klar geworden, dass es an diesem Osterdienstag nichts mehr werde mit dem Besuch im Pflegeheim. Noch einige Zeit musste er in ihrem Haus warten, bis seine Tochter den Beschluss fertig gestellt hatte, dann konnte er ihn mitnehmen.
Wie es denn dann mit der Dringlichkeit für den Erlass der Anordnung gestanden habe, fragt die Kammer nach? "Ich war froh, dass die Sache in die Gänge kam", sagt Peter O. Der Beschluss besagte dann, dass das Pflegeheim dem Pfarrer im Rahmen seiner seelsorgerischen Tätigkeit jederzeit Zutritt zu dem Gemeindemitglied zu gewähren habe (Amtsgericht (AG) Altenburg, als Bereitschaftsgericht für das AG Jena, Beschl. v. 14.04.2020, Az. 26 AR (BD) 24/20). Der Vater faxte ihn am nächsten Tag an die Senioreneinrichtung und fuhr dann auch hin.
"Es ging um eine alte Dame, die im Sterben lag. Das kann kein Verbrechen sein."
Erst später habe er verstanden, dass seine "Tochter einen schlimmen Fehler" gemacht habe. Das Strafverfahren im großen Saal kommt ihm dennoch "völlig unverhältnismäßig" vor. Es sei ja nicht um einen Vorteil für ihn gegangen, "sondern um eine alte Frau, die im Sterben lag; das kann kein Verbrechen sein", meint der Pensionär. Es wäre für ihn "absolut unethisch gewesen, die Frau allein zu lassen, völlig unvorstellbar". 70 Jahre sei die Frau im Kirchenchor und die ganze Familie über die Jahre irgendwann Mitglied in der Gemeindeverwaltung gewesen, sie und er hätten den gleichen Hausarzt gehabt. Die Bindungen waren eng. Doch alle Gespräche mit der Heimleitung seien erfolglos geblieben, obwohl doch im Infektionsschutzgesetz gestanden habe, die Seelsorge sei zu gewährleisten.
"Das Menschliche, die Empathie, stehen an erster Stelle", sagt der Pfarrer, so habe er auch seine Kinder erzogen. "Die Formalien kommen im zweiten Schritt – das war in diesem Fall nicht so günstig", meint der Pfarrer. Die Ex-Richterin arbeitet inzwischen als Rechtsanwältin in einer Kanzlei.
Unruhe im Saal – wie noch bei der Verhandlung wegen Rechtsbeugung gegen den Familienrichter aus Weimar – bringen die Darstellungen an diesem Montag zu keiner Zeit. Der Saal ist weitgehend mit Presse besetzt, nur vereinzelte Zuschauer sind zugegen. Ein Paar aus Altenburg, dem Wohnort der Angeklagten, äußert nur in einer frühen Pause leise im direkten Gespräch mit Anna K. das Unverständnis über diese Anklage, wo es doch nur um Menschlichkeit gegangen sei. Das Paar kam nach der ersten Pause nicht wieder.
Vermutlich wird es auch bei den nächsten sechs Terminen ruhig bleiben. Im nächsten, am 25. April, wird das Gericht dann zunächst über die jüngste Besetzungsrüge der Verteidigung entschieden.
Wer, bitte, soll denn nach den Vorstellungen des Herrn Rosenkranz richten, wenn nicht die Gesetzlichen Richter?
Mit allem anderen hat man ja in Deutschland wenig gute Erfahrungen gemacht (gerade auch im Wirkungsbereich des Herrn Rosenkranz), wenn man Fünfe auch mal grade sein läßt, Anklagen völlig der Willkür unterworfen sind oder Urteile von „Volksgerichten“ gefällt werden.
Wenn’s schon bei der Besetzung des Spruchkörpers nicht optimal läuft, sollte man es vielleicht nicht durch flagrante Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze noch schlimmer machen ...