Rüdimausis Sommercamp haut so richtig rein.
Spoiler
Die rechte „Zeltstadt“ vor dem Bundestag
Aug 16, 2020 Berlin, Bundestag, Corona, Demonstration
Der Ankündigung nach sollte eine Zeltstadt mit Bühne auf der Reichstagswiese vor dem deutschen Bundestag entstehen. Hunderte, tausende, vielleicht wieder 1,3 Millionen rechtsoffene „Revolutionäre“ wurden erwarten. Es wurden zehn kleine Zelte.
Glatzköpfige Männer mit schwarz-weiss-roten Flaggen, T-Shirts mit der Aufschrift „Arier“, stolz ohne Mundschutz und eine Warnung vor 5G auf der Bühne. Das war der Auftakt einer irritierenden Veranstaltung an einer kleinen Bühne vor dem Bundestag. Irritierte Touristen gehen wieder, oder fragen was los sei. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Bundesrepublik Deutschland so etwas an diesem Ort im Jahr 2020 erlaubt. Doch, es ist erlaubt. Nein, es gibt keine großen Gegenproteste. Nein, keine der Bundestagsfraktionen kommt, um sich dagegen zu stellen.
Journalisten sind hier weiterhin unerwünscht. Sie werden verachtet und angepöbelt. Aus Sicht der Teilnehmer gehören sie zur „Lügenpresse“ oder zu den „Mainstream Medien“. Die Teilnehmer beschweren sich, dass man sie immer in die rechte Ecke drängen wolle. Es sei doch normal, seine Rasse („Arier“) auf dem T-Shirt zu haben. Und eine Reichskriegsflagge sei nicht illegal, ein Problem mit Juden, Schwulen und Ausländern zu haben auch nicht. Aber dadurch sei man noch lange nicht rechts.
Die üblichen Logiken werden erklärt: Hitler war links, hat mit den Juden und Amerikaner zusammen die Vernichtungslager gebaut, um Deutsche zu töten. Die Rechten hätten dann Deutschland befreit. Diese Erklärung ist in diesen Kreisen sehr gängig.
Das Problem an der Logik: Wenn die Rechten die Befreier waren, warum will man dann nicht in die rechte Ecke gestellt werden? Aber solche Fragen kann man sich hier besser sparen. Es ist interessanter, einfach zu zuhören.
Am Abend verbreiten die Teilnehmer, ihre „Zeltstadt“ stehe und würde weiter wachsen. Die Wiese vor dem Bundestag reiche nicht mehr aus. Die Polizei würde sich ob der Übermacht zurückziehen. Zeit für einen Besuch der „Zeltstadt“.
Die „Zeltstadt“ der Rechten
Der erste Eindruck ist ernüchternd. Auf der Wiese ist weit und breit niemand zu sehen. Ein paar spanische Touristen fahren auf e-Tretrollern vorbei und machen Fotos. Ein einsamer, verlassener Polizeiwagen steht mit Warnblinklicht gegenüber einer geschlossenen Würstchenbude. Vor dem Bundestagsgebäude ist eine Bühne zu erkennen, die gerade mal so hoch ist, wie die Treppe des Gebäudes.
Entlang der Bühne zieht einem eine Mischung aus Urin und billigen Joints in die Nase. Verteilt stehen ein paar Menschen rum. In einer Ecke der Wiese, neben dem Besucherzentrum, stehen ein paar Zelte. Über einem Gartenpavillion steht groß „Inder Willkommen“. Eine Frau erklärt „Na, das sind ja auch Arier, die Inder. Also … ich bin nicht rechts oder so … hahaha… aber man gehört ja doch…ahh nein.. da fehlt das K .. hahahhaa… „Kinder Willkommen“ muss das heissen“. Man merkt, dass die Erklärungen nach ein paar Bier immer lustiger werden. Aber richtig sicher schien sich die Frau in der Auslegung des Banners auch nicht zu sein.
Ein Mann, mit der Flagge des deutschen Kaiserreiches auf der Brust erklärt, dass man hier nicht rechts sei, die „Kanacken“ einen aber immer in die Ecke drängen wollen. Dabei meint er mit dem abfälligen Wort nich nur Türken, wie im klassischen Sinne der Beleidigung, sondern Ausländer allgemein. Auf die Frage, worum es bei dem Camp gehe, wird erneut erklärt: Merkel habe eine Diktatur errichtet, Corona sei eine Lüge. Die angeblichen Corona-Toten seien aufgeklärte Menschen gewesen, die die Wahrheit über Merkels Regime ans Licht bringen wollten. Insgesamt meinen hier fast alle, sie würden einfach mehr wissen, als alle anderen auf der Welt. Sie hätten die geheimen Strippenzieher (meist Juden) enttarnt und wären dabei, eine Regierung nach der anderen zu stürzen, um die Welt zu befreien. Als externer Betrachter hat man eher den Eindruck, nachts mit nicht einmal 100 Angetrunkenen auf einer Weise zu sprechen.
Es gibt auch eine Erklärung für die Quarantäne und den kleinen „Lockdown“ in Deutschland. Diese Zeit wurde genutzt, um die deutsche Bevölkerung gegen „Moslems“ auszutauschen. Merkel ist aus Sicht der Leute wahlweise Hitlers Enkelin oder eine Jüdin – manchmal auch beides. Warum sie dann Moslems und nicht Juden in Deutschland ansiedeln sollte, bleibt unklar. Daher sei inzwischen auch Alkohol und Demonstrationen in Deutschland verboten. Das erklären sie, während sie Bier trinkend, demonstrieren.
Nach einiger Zeit in diesem „Camp“ liest jemand etwas auf Twitter. „Hier ist irgendwo ein Journalist, der sie ganze Zeit ♥♥♥ über uns schreibt“. Ich bedanke mich für den Hinweis und biete an, auch die Augen offen zu halten.
„Merkel hat wieder die Stadt abriegeln lassen, wie 1950. Draussen wartet ’ne viertel Million Leute. Dann wäre es hier voll,“ heisst es in einem der Chats. Meiner Kenntnis nach war die Berlinblockade etwas früher und es sind in dem Moment keine Staus vor Berlin bekannt. Aber hier wollen die Leute das einfach glauben. Es heisst auch, Merkel habe die Bundeswehr entsandt, um diese zehn Zelte aufzulösen, doch die Bundeswehr sei auf Seiten der „Revolution“ und einfach nicht ausgerückt. Der Sieg über das Merkel-Regime scheint für diese Leute zum Greifen nah.
Am Ende war die Erkenntnis auf diesem Camp eher gering. Die gleichen Leute erzählen die gleichen Geschichten. Die Reihen lichten sich, auch ich mache mich wieder auf den Weg. Vielleicht kann ich auf dem Heimweg ja nochmal den Journalisten suchen, der sich hier rumtreibt.