Gestern hat die Ex-Lebensgefährtin des Mitangeklagten Markus H. ausgesagt. Auch sie war (oder ist?) wohl tief in die rechtsextreme Szene verstrickt. Am Ende hat es der Anwalt dann geschafft sie doch als teilweise ziemlich unglaubwürdig dastehen zu lassen.
Wieder ein interessanter Bericht (diesmal auch mit einem Video), wobei auch der Beitrag "Verteidiger gegen Verteidiger" äußerst lesenswert ist. Hier sagt nämlich der ziemlich unbekannte, weitere Verteidiger von Ernst, Ernst Pfläging, aus.
Spoiler
Tag 19: Eine Zeugin macht sich unglaubwürdig
Irgendwann einmal muss es zwischen Lisa Marie D. und Markus H. so etwas wie Zuneigung gegeben haben. Immerhin führten sie über fast drei Jahre eine Beziehung, aus der sogar eine kleine Tochter hervorging. Vier Jahre sind seit der Geburt des Kindes vergangen. Seitdem ging nicht nur die Beziehung in die Brüche. Markus H. muss sich auch wegen Beihilfe zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor Gericht verantworten.
"Narzisstisch", "psychopathische Anteile", "manipulativ", "einer, der grinsend daneben steht" - die Prädikate, die Lisa Marie D. ihrem ehemaligen Lebensgefährten zuschreibt, verdeutlichen, wie wenig von der einstigen Zuneigung übrig ist. Die einzige Verbindung, die geblieben ist, ist ein mit harten Bandagen geführter Sorgerechtsstreit um die gemeinsame Tochter.
Unvorteilhafte Charakterzeichnung
An diesem 19. Prozesstag soll Lisa Marie D. über das Zusammenleben mit Markus H. berichten. Für das Gericht geht es darum, sich ein Bild zu machen vom Mitangeklagten, der sich zum eigentlichen Tatvorwurf nicht einlassen will. Markus H. muss damit leben, dass andere seinen Charakter skizzieren. Und dass diese Schilderungen alles andere als schmeichelhaft ausfallen.
Es muss eine nach gängigen Maßstäben merkwürdige Beziehung gewesen sein, die Markus H. und Lisa Marie D. führten. Eine, die sich nur an einzelnen Tagen, meist am Wochenende abgespielt hat - auch nachdem 2016 das gemeinsame Kind zur Welt kam. 2014 habe man sich über das soziale Netzwerk "Jappy" kennengelernt, als H. noch in einer anderen Beziehung steckte. Lisa Marie D. findet H. gleich attraktiv. "Er war der Alleinbestimmer seines Lebens, der nicht mit der Masse geschwommen ist", erinnert sie sich an ihren ersten Eindruck. Nach einigen Monaten kommen sie zusammen. Eine gemeinsame Wohnung beziehen sie nie. Einen gemeinsamen Alltag gibt es nur selten.
"Ich habe versucht, ihn so zu nehmen, wie er ist", sagt Lisa Marie D. Dazu habe gehört, dass er seiner Waffensammlung regelmäßig mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe als seiner Beziehung. Richtige Freundschaften, so wie sie den Begriff verstehe, habe er nicht gepflegt. Ein Einzelgänger, der nicht fähig sei, sich auf andere Menschen einzulassen. Manches sei in seiner Familiengeschichte begründet, sagt Lisa Marie D. Im Sorgerechtsstreit habe sie einiges über die Verhältnisse, in denen das Scheidungskind Markus H. aufwuchs, gelernt.
Ausländerhass als Nebensache
Einen besonderen Belastungseifer kann man der ehemaligen Lebensgefährtin von Markus H. nicht nachsagen. Vieles, was sie über den Vater ihrer Tochter berichtet, ist bereits bekannt: sein Waffenfetisch, seine Vorliebe für Militaria und NS-Devotionalien. Seine Abneigung gegen "Ausländer", die sich in den immer gleichen politischen Diskussionen geäußert habe - auch mit dem Hauptangeklagten Stephan Ernst, der in dieser Erzählung jedoch immer nur eine Nebenrolle einnimmt. Ernst und H. pflegten ihrem Eindruck nach eine "harmonische", gleichberechtigte Freundschaft - soweit man bei H. von "Freundschaft" sprechen könne. Falls Stephan Ernst Walter Lübcke ermordet habe, habe Markus H. davon gewusst, dessen ist sich Lisa Marie D. sicher.
Die politische Einstellung von Markus H. wird in dieser Aussage meist nur en passant erwähnt. Etwa, dass er nicht gewollt habe, dass seine Tochter seinen Nachnamen trage. Sollte irgendwann etwas passieren, solle das nicht dem Kind auf die Füße fallen, habe Markus H. gesagt. Bei anderer Gelegenheit soll H. angekündigt haben, sich im Fall einer tödlichen Krankheit mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu sprengen und dabei "möglichst viele Kanacken" mit in den Tod reißen zu wollen. Lisa Marie D. schildert solche Anekdoten mit derselben Nonchalance, mit der andere Frauen über die merkwürdigen Hobbys ihrer Ehemänner sprechen.
Markus H. folgt den Ausführungen seiner ehemaligen Lebensgefährtin aufmerksam. Was in ihm vorgeht, lässt sich von außen nicht einmal mutmaßen. Sein Gesicht zeigt das gleiche spöttische Grinsen, das seinen Auftritt vor Gericht seit Beginn des Prozesses kennzeichnet. Vielleicht entspricht dieser Ausdruck einfach der Grundkonfiguration seiner Gesichtsmuskulatur. Vielleicht weiß er einfach nur, dass für Lisa Marie D. der Weg zwischen Authentizität und Unglaubwürdigkeit an diesem 19. Prozesstag ein äußerst kurzer sein wird.
Der "Judenmord" und das "Drumherum"
Lisa Marie D. ist eine kräftige Person mit kurzen blonden Haaren und einem auffällig breiten Kreuz. Dass sie zeitweise für einen Sicherheitsdienst gearbeitet hat - unter anderem in einer Asylbewerbereinrichtung - passt zum Erscheinungsbild. An diesem 19. Prozesstag trägt sie ein weißes Sweatshirt mit langen Ärmeln, das nur wenig Haut erkennen lässt - aus gutem Grund.
An den Handflächen ist zu erkennen, dass Lisa Marie D. großflächig tätowiert ist. Auf Nachfrage gibt sie Auskunft über die "Kunstwerke" auf ihrer Haut. Dazu gehört die Losung "Meine Ehre ist Treue" - das Motto der Waffen-SS. Diese habe sie sich mit 15 stechen lassen, erklärt sie, darunter stünden die Namen ihrer ersten drei Hunde. Darauf beziehe sich der Spruch. Erst später wird sie zugeben, dass sie schon damals gewusst habe, dass die Parole "mit dem Judenmord zu tun hat und dem ganzen Drumherum". Falsche Freunde habe sie damals gehabt, erklärt sie. Solche, die der Neonazi-Szene angehört hätten.
Auch eine nicht weiter spezifizierte nordische Rune habe sie sich stechen lassen. Sie stehe eben auf Wikinger. Irgendwann räumt sich auf Nachfragen der Verteidigung von Markus H. auch noch ein, sich selbst auf einem Oberschenkel ein großes Hakenkreuz inklusive des in rechtsextremen Kreisen weit verbreiteten Zahlencodes "1488" tätowiert zu haben. Inzwischen sei dieses überzeichnet. Ein Foto aus früheren Tagen existiert allerdings noch und wird von der Verteidigung von Markus H. als Beweis in die Verhandlung eingeführt.
Keine Sache der Vergangenheit
Lisa Marie D. betont immer wieder, dass dies alles lange der Vergangenheit angehöre. Ebenso wie jener Lebensabschnitt, als sie in Dortmund wohnte und dort Teil der besonders gewaltaffinen rechtsextremen Szene war. Doch es gibt berechtigte Zweifel daran, dass sich ihre Grundeinstellung wesentlich geändert hat. In einer SMS an Markus H. beschwerte sie sich noch MItte 2017, dass "überall Kanacken" unterwegs seien. Der Umgang mache den Ton, sagt Lisa Marie D.: "Man hat sich halt angepasst."
Letztlich erschüttert die Glaubwürdigkeit der Zeugin D. vor allem eine Episode aus dem Sorgerechtsstreit. Dort berichtete sie, dass Markus H. ihre sechsmonatige Tochter einen Tischtennisball habe in den Mund nehmen lassen - statt zu intervenieren, habe er gelacht und Fotos geschossen. Sie selbst sei zuerst zwar auch belustigt, doch dann entrüstet gewesen.
Tatsächlich existieren Fotos von diesem Tag - die Verteidigung von Markus H. führt sie als Beweis ein. Sie zeigen Lisa Marie D. fröhlich lachend, die Tochter im Arm. Das Kind schiebt sich den Tischtennisball in den Mund. "Wenn ich über einen Vorgang entrüstet bin, lasse ich mich nicht breit grinsend bei demselben Vorgang fotografieren", sagt der Vorsitzende des 5. Strafsenats, Thomas Sagebiel. Man habe die Zeugin "gerade bei einer dicken Lüge erwischt". Daher stelle sich die Frage, was sie "heute noch falsch gesagt" habe.
Prozesstag ohne Erkenntnisgewinn
Was auch immer sich Gericht und Anklage von der Aussage der Zeugin erhofft haben mögen, ist angesichts ihres Aussageverhaltens wohl größtenteils hinfällig. Zum eigentlichen Tatablauf konnte Lisa Marie D. ohnehin nichts sagen.
Was bleibt, ist ein Prozesstag ohne handfesten Erkenntnisgewinn - zumindest was die mögliche Tatbeteiligung von Markus H. angeht. An seiner rechtsextremen Einstellung bestanden schon vorher kaum Zweifel. Lisa Marie D. wird unvereidigt entlassen. "Ich glaube, es wäre auch nicht gut, sie zu vereidigen", schließt Richter Sagebiel die Verhandlung.
Das Verfahren wird am Dienstag, 22. September, fortgesetzt.