JournalistInnen haben doch manches Mal Probleme selbst einen Kommentar zu verstehen:
Urteil des LG Karlsruhe
Erfolg für Thomas Fischer
von Dr. Christian Rath
27.09.2019
Ex-Bundesrichter Thomas Fischer hat im Zivilprozess gegen die Journalistin Gaby Mayr überwiegend obsiegt. Die Journalistin muss drei von vier streitigen Äußerungen zu Fischers Kommentierung von § 219a StGB unterlassen.
Der Konflikt begann im Jahr 2018. Deutschland diskutierte über § 219a Strafgesetzbuch (StGB), der "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" mit Strafe bedroht. Betroffen sind auch ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die im Internet sachlich auf ihr eigenes Angebot hinweisen.
Die Journalistin Gaby Mayr stellte im Frühjahr 2018 in zwei Beiträgen im Deutschlandfunk und in der taz die These auf, dass für diese Verurteilungen der Kommentar von Thomas Fischer zum Strafgesetzbuch mitverantwortlich sei. Mayrs Vorwurf: Mindestens zwei Gerichte hätten in ihren Urteilen einen Satz aus dem Kommentar abgeschrieben und für die Begründung verwendet: Paragraf 219 a solle verhindern, "dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird".
Genau so habe es schon Fischers Vorgänger Herbert Tröndle formuliert, ein fanatischer "Lebensschützer", der gegen jede Liberalisierung der Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch gekämpft habe. Dessen Kommentierung lebe bei Fischer fort, so Mayr.
Fischer reagierte einige Wochen später mit einem polemischen Beitrag auf der Webseite Meedia. Im Kern stellte Fischer dabei klar, dass das Zitat lediglich die Begründung des Gesetzgebers aus dem Jahr 1974 wiedergab. Im Kommentar sei die Quelle auch angegeben worden.
Die Journalistin antwortete eine Woche später, ähnlich polemisch, auf Meedia. Dabei erklärte sie es für "irrelevant", dass Fischer nur die Gesetzesbegründung zitiert hatte und erhob einen neuen Vorwurf: Fischer habe die Gesetzesbegründung selektiv zitiert und einen ebenso wichtigen Satz weggelassen: "Andererseits muß die Unterrichtung der Öffentlichkeit (durch Behörden, Ärzte, Beraterstellen) darüber, wo zulässige Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, möglich sein." Das Weglassen dieses Satzes sei, so Mayr, "grobe handwerkliche Schla.mperei".
Das wollte Thomas Fischer, bis 2017 Vorsitzender Richter am 2. BGH-Strafsenat, nicht auf sich sitzen lassen. Er mahnte Mayr ab, ohne Erfolg, und verklagte sie dann zivilrechtlich beim Landgericht Karlsruhe auf Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz.
Was Mayr nicht mehr sagen darf
Mit drei von vier Punkten hatte Fischer Erfolg. Folgende Aussagen muss Journalistin Mayr laut Landgericht Karlsruhe (Urt. vom 27. 9. 2018, Az. 21 O 400/18) künftig unterlassen:
"Die Kommentierung von Herbert Tröndle zum Schwangerschaftsabbruch lebt im Kommentarwerk des Klägers weiter."
"Der Einsatz des Strafrechtskommentars der beiden Juristen Herbert Tröndle und Thomas Fischer durch Staatsanwaltschaften und Gerichte im Zusammenhang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch ist schlecht für die Rechtsprechung."
"An der Kommentierung zum Paragrafen 219a StGB hat der Kläger auch in der 65. Aufl. von 2018 nichts verändert, außer der Rechtschreibung."
Spoiler
Die erste und dritte Äußerung muss Mayr zusätzlich "durch schriftliche Erklärung" gegenüber Fischer widerrufen. Außerdem muss sie Fischer Schadensersatz in bisher nicht bezifferter Höhe bezahlen. Fischer befürchtete, dass Mayrs Äußerungen den Absatz seines Kommentars beeinträchtigen würden. Die Kosten des Verfahrens wurden zu 75 Prozent der beklagten Journalistin auferlegt. Mayrs Anwalt Gernot Lehr will (vorbehaltlich einer näheren Prüfung des Urteils) seiner Mandantin empfehlen, gegen die ersten beiden Unterlassungs-Anordnungen Berufung einzulegen.
Nur in einem Punkt wurde Fischers Klage abgewiesen. Mayr darf weiter behaupten, Fischers Kommentar zu § 219a beruhe auf "grober handwerklicher ♥♥♥rei". Vermutlich wird deshalb auch Fischer Rechtsmittel einlegen. Den Vorwurf der ♥♥♥rei dürfte er als besonders geschäftsschädigend empfinden.
LG: Tröndle-Kommentierung "grundlegend geändert"
Die Vorsitzende Richterin Christina Walter verlas bei der Verkündung nur den Tenor und verzichtete auf jede Begründung der Entscheidung. Aus dem schriftlichen Urteil, das LTO inzwischen vorliegt, ergibt sich jedoch Folgendes:
Das Landgericht stuft die Behauptung, Tröndles Kommentierung zum Schwangerschaftsabbruch lebe in Fischer Kommentar fort, als "unwahre Tatsachenbehauptung" ein. Beim Publikum werde der Eindruck erweckt, dass zumindest die Grundgedanken und maßgeblichen Positionen Tröndles im Kommentar immer noch vertreten würden. In Wirklichkeit habe Fischer aber die Kommentierung der §§ 218 ff. StGB "grundlegend geändert", so das Landgericht, und vertrete nun "inhaltliche Positionen, die denen des Vorautors Tröndle diametral widersprechen". Tröndle werde nur noch als "Extremposition" kritisiert, die keine Legitimität habe. Das Landgericht ließ auch den Einwand Mayrs nicht gelten, dass sie sich nur auf die Kommentieung zu § 219a StGB bezogen habe. Diese Deutung sei "ausgeschlossen", da Mayr über Tröndles Haltung zu § 219a "kein Wort" geäußert habe.
Die Aussage, dass Fischers Kommentar im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen "schlecht für die Rechtsprechung" sei, wertet das Landgericht zwar als Werturteil. Dieses Werturteil basiere jedoch auf den falschen Tatsachenbehauptungen, dass Tröndles Kommentierung zu diesem Thema in Fischers Kommentar weiterlebe und dass Tröndle noch Autor sei.
Die Formulierung, dass Fischer an Tröndles Kommentierung zu § 219a nichts geändert habe außer der Rechtsschreibung, wird vom Landgericht wiederum als "unwahre Tatsachenbehauptung" gesehen. Das war zu erwarten. Anwalt Lehr hatte in der mündlichen Verhandlung auch schon die Klarstellung angeboten, dass sich Mayrs Aussage nur auf Randziffer 1 der Kommentierung beziehe.
LG: "Grobe handwerkliche ♥♥♥rei" darf Mayr weiter sagen
Überraschend hat das Landgericht den Vorwurf der "groben handwerklichen ♥♥♥rei" als rechtmäßig eingestuft. Dies sei eine Meinungsäußerung. Dadurch werde nicht der Eindruck erweckt, dass Fischers Kommentierung zu § 219a hinter den wissenschaftlichen Anforderungen zurückbleibe.
Vielmehr werde dem Rezipienten im Kontext deutlich, dass Fischers Kommentierung den anderen Strafrechts-Kommentaren und der Rechtsprechung - damit also dem juristischen Handwerk - entspreche, aber von der Rechtsauffassung der Journalistin abweiche, so das LG. Tatsachenkern ihres ♥♥♥rei-Vorwurfs sei, dass ein bestimmter Satz aus der Gesetzesbegründung von Fischer nicht zitiert werde, obwohl sich daraus ergebe, dass der Gesetzgeber sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche nicht bestraft sehen wollte. An anderer Stelle gebe Fischer den Satz unvollständig wieder, indem er im Zusammenhang mit sachlichen Informationen nur "Behörden" und "Beratungsstellen" explizit erwähne, nicht aber "Ärzte".
Mayrs ♥♥♥rei-Vorwurf sei auch zulässig, so das Landgericht, weil sie sich auf ein "Recht zum Gegenschlag" berufen könne. Fischer hatte zuvor über Mayr geschrieben: "Mayr, Journalistin, weiß nicht, wovon sie spricht. Sie hat, so drängt sich auf, nichts nachgelesen, kein Zitat geprüft, nichts verstanden, und keine Ahnung vom juristischen Veröffentlichungswesen."
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-karslruhe-21o400-18-thomas-fischer-klage-journalistin-taz-stgb-kommentar-schlecht-fuer-rechtsprechung-♥♥♥rei/
Offenbar hat Frau Mayr (nicht "Mary") Probleme, den Vergleich einzuhalten:
Der Rechtsstreit zwischen Ex-BGH-Richter Thomas Fischer und der Journalistin Gaby Mayr ist außergerichtlich beigelegt worden. Friede herrscht zwischen den beiden indes nicht: Fischer warf Mayr den Bruch des Vergleichs vor.
Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer und die Journalistin Gaby Mayr haben ihren Rechtsstreit außergerichtlich beigelegt. "Gaby Mayr akzeptiert die drei von dem Landgericht Karlsruhe ausgesprochenen Äußerungsverbote, Thomas Fischer akzeptiert die landgerichtliche Abweisung des von ihm begehrten weiteren Äußerungsverbots. Darüber hinaus haben die Parteien Stillschweigen über den weiteren Inhalt des Vergleichs vereinbart", hieß es am Montag in einer Mitteilung der Journalistin.
Eine wirkliche Einigung haben die Parteien aber augenscheinlich nicht erzielt. Nur wenige Stunden nachdem Mayr ihre Pressemitteilung versendete, warf Fischer ihr den Bruch des soeben geschlossenen Vergleichs vor. Aber der Reihe nach.
Mary stellte im Frühjahr 2018 ein zwei Beiträgen im Deutschlandfunk und der taz die These auf, dass der Kommentar von Thomas Fischer zum Strafgesetzbuch (StGB) mitverantwortlich für die Verurteilungen von Ärzten wegen "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" nach § 219a StGB sei. So hätten Gerichte einen Satz aus dem Kommentar abgeschrieben und für die Urteilsbegründung verwendet: § 219a solle verhindern, "dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird".
Spoiler
Fischer siegt in drei von vier Klagepunkten
Laut Mayr habe dies so auch schon Fischers Vorgänger Herbert Tröndle formuliert. Die Kommentierung des fanatischen "Lebensschützers", der gegen jede Liberalisierung der Rechtslage gekämpft habe, lebe bei Fischer fort, so Mayr. Fischer reagierte mit einem Beitrag auf der Webseite Meedia, in dem er klarstellte, dass das Zitat lediglich die Begründung des Gesetzgebers aus dem Jahr 1974 wiedergab. Im Kommentar sei die Quelle auch angegeben worden.
Mayr antworte in einem ebenfalls auf Meedia erschienenen Beitrag später und warf Fischer vor, die Gesetzesbegründung selektiv zitiert zu haben. Er habe den wichtigen Satz "Andererseits muß die Unterrichtung der Öffentlichkeit (durch Behörden, Ärzte, Beraterstellen) darüber, wo zulässige Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, möglich sein" weggelassen, so Mayr. Dies stelle laut der Journalistin eine "grobe handwerkliche ♥♥♥rei" dar.
Nach einer erfolglosen Abmahnung verklagte Fischer die Journalistin beim Landgericht (LG) Karlsruhe auf Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz. Das Gericht gab dem ehemaligen Bundesrichter in drei von vier Klagepunkten Recht und entschied, dass Mayr künftig die Äußerungen
"Die Kommentierung von Herbert Tröndle zum Schwangerschaftsabbruch lebt im Kommentarwerk des Klägers weiter."
"Der Einsatz des Strafrechtskommentars der beiden Juristen Herbert Tröndle und Thomas Fischer durch Staatsanwaltschaften und Gerichte im Zusammenhang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch ist schlecht für die Rechtsprechung."
"An der Kommentierung zum Paragrafen 219a StGB hat der Kläger auch in der 65. Aufl. von 2018 nichts verändert, außer der Rechtschreibung."
unterlassen muss. Allerdings dürfe Mayr weiter behaupten Fischers Kommentar zu § 219a beruhe auf "grober handwerklicher ♥♥♥rei".
Mayr nimmt Änderungen an Aussagen vor
Am Montag teilte Mayr dann mit, dass der Rechtsstreit außergerichtlich beigelegt worden sei. Die Mitteilung enthielt daneben allerdings noch weitere Anmerkungen. So hätte die Berichterstattung über den Prozess laut Mitteilung Mayrs "überwiegend den Eindruck erweckt, dass Herr Fischer überwiegend gewonnen habe". Sie sei aber angesichts der tatsächlichen Folgen des Vergleichs sehr zufrieden.
Es seien nur geringfügige Ergänzungen an den Online-Veröffentlichungen ihrer Beiträge nötig, so Mayr weiter. Unter anderem hieß es in ihrer Mitteilung: "Meine Kernaussage ("grobe handwerkliche ♥♥♥rei" durch Herrn Fischer bzgl. §219a, aus meiner Replik in Meedia) darf ich uneingeschränkt weiter verbreiten."
Mayr präsentierte darüber hinaus die "geringfügigen Änderungen" (in Kursiv):
Herbert Tröndle starb 2017 im Alter von 98 Jahren - Die wichtige Randnummer 1 in seiner Kommentierung zu Paragraph 219a lebt weiter.
Dass der Strafrechtskommentar dieser beiden Juristen auch im Zusammenhang mit dem Thema "Werbeverbot" nach Paragraph 219a von Staatsanwaltschaften und Gerichten besonders gerne benutzt wird, ist schlecht für die Rechtsprechung.
An der Kommentierung zum Paragraphen 219a hat der misogyne Ex-Richter an der für Gerichte offenbar entscheidenen Stelle, nämlich gleich zu Beginn (Randziffer 1) des Kommentartextes, nichts geändert außer der Rechtschreibung.
Fischer: "Bruch des soeben geschlossenen Vergleichs"
Es dauerte nur wenige Stunden, bis Fischer eine eigene Pressemitteilung versendete. Laut Fischer habe Mayr den Inhalt des Vergleichs zutreffend wiedergegeben, der Rest ihrer Mitteilung sei aber "befremdlich". Er stelle "ersichtlich einen Bruch des soeben geschlossenen Vergleichs dar und lässt erwarten, dass die Beklagte zukünftig erneut in gleicher oder ähnlicher Weise vorgehen wird", erklärte der Jurist.
So sah sich Fischer dazu veranlasst, selbst auf den Inhalt des landgerichtlichen Urteils einzugehen. Sein Antrag, Mayr die Wiederholung zu untersagen, die Kommentierung des § 219a StGB enthalte eine "grobe handwerkliche ♥♥♥rei" sei vom Gericht mit der Begründung abgewiesen worden, Mayr "sei in einem solchen Maß im Irrtum über die Anforderungen des 'Handwerks' in dieser Sache sowie darüber, dass die Kommentierung des Klägers der ganz allgemeinen Ansicht entspricht, dass zu ihren Gunsten anzunehmen sei, sie habe keine Tatsache behaupten, sondern nur einer auf Unverstand beruhenden allgemeinen Unzufriedenheit Ausdruck geben wollen."
Das LG habe die Behauptung der Journalistin laut Mitteilung Fischers "in überaus wohlwollender Auslegung als eine Art grob unverständiger Versuch oder Wahndelikt behandelt". Die von Mayr "ausdrücklich mit Freude vorgetragene Bekundung, die vom Gericht als völlig fernliegend beschriebene Behauptung 'uneingeschränkt weiter verbreiten' zu dürfen", sowie die Wiederholung "abwegiger Beleidigungen und vom Landgericht ausdrücklich als falsch bezeichneter Behauptungen" spreche laut Fischer "für sich selbst".
Ob der Vergleich somit wirklich das Ende des Rechtsstreits darstellt, bleibt abzuwarten. Einigkeit brachte er aber offensichtlich nicht.
acr/LTO-Redaktion
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/thomas-fischer-gaby-mayr-streit-aeusserungen-vergleich-aussergerichtliche-einigung/