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Rechtspopulismus
Warum die „Erklärung 2018“ wenig mit Demokratie zu tun hat
Christian Wolff • 26. März 2018
Rassismus, Islamhass, Demokratieverachtung – mit der „Erklärung 2018“ wollen rechte Publizisten all das aus der Schmuddelecke herausholen. Doch die Unterzeichner des Aufrufs verfolgen noch andere Ziele.
Sie besteht nur aus zwei Sätzen, die „Erklärung 2018“:
Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.
Zu den Erstunterzeichner/innen gehören Henryk M. Broder, Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Matthias Matussek, Vera Lengsfeld, Matthias Moosdorf, Uwe Steimle, Eva Herman und Max Otte – alles Leute, die sich in den vergangenen Jahren und Monaten als rechtskonservative Publizisten hervorgetan haben und als AfD- oder Pegida-Sympathisant/innen aufgetreten sind. Die „Erklärung 2018“ ist ein weiterer Mosaikstein in einem gesellschaftspolitischen Szenario, das mit dem Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ im Jahr 2010 systematisch aufgebaut wurde.
Opfer des Mainstreams?
Das Szenario basiert auf folgenden Behauptungen: Deutschland werde als Nation durch global vernetzte Machteliten sich selbst entfremdet („Umvolkung“); der Islam diene der Zersetzung des deutschen Volkes und seiner „abendländisch-christlichen Traditionen“; Menschenrechte dürften nicht höher bewertet werden als Selektions- und Ausgrenzungsnotwendigkeiten, mit denen die deutsche Identität gewahrt werden solle.
Gleichzeitig inszenieren sich diejenigen, die solche Thesen vertreten, als Opfer eines angeblichen Mainstreams – vor allem in den Medien, wo ihre Äußerungen und ihr Handeln öffentlich der Kritik unterzogen werden. Dann sehen sie plötzlich die Meinungsfreiheit bedroht, weil man sich nicht mehr frei äußern könne, ohne sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Eingebettet in dieses Szenario erschien Mitte März die „Erklärung 2018“. Semantisch knüpft man an die „Charta 77“ der tschechischen Intellektuellen an – genauso wie kurz zuvor die „Charta 2017“, die zum Teil von den gleichen Personen auf den Weg gebracht wurde wie die „Erklärung 2018“. Die Absicht ist klar: Man sieht sich in der Tradition der Bürgerrechtsbewegungen, die 1989 zum Ende der DDR und des Warschauer Paktes geführt haben. Komisch nur: Damals ging es unter anderem um „ein freies Land mit offenen Grenzen“.
Doch was steht nun in den beiden Sätzen, die von denen, die sie formuliert und unterschrieben haben, wohl durchdacht sind – jedenfalls möchte ich das unterstellen?
Die Unterzeichner erklären sich zu als „Beobachtern“ – so, als hätten sie nichts mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung der vergangenen Jahre zu tun. Diese Selbsteinschätzung ist – sicher ungewollt – weitgehend zutreffend. Denn die wenigsten derer, die ihre Unterschrift unter die zwei Sätze gesetzt haben, werden sich von Angesicht zu Angesicht mit Menschen beschäftigt haben, die nun in Deutschland als Geflüchtete leben.
Die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre werden mit dem Begriff „Masseneinwanderung“ belegt. Damit wird zum einen suggeriert, als handele es sich bei Geflüchteten um Einwanderer. Das ist nicht der Fall. Zum anderen wird mit dem Begriff „Einwanderung“ die Ursache verschwiegen, warum Menschen bei uns Zuflucht suchen: Sie flüchten vor Krieg, vor religiöser und politischer Verfolgung, vor weiterer Verarmung. Aus diesen Gründen haben sie sich zur Flucht aus ihrem Heimatland entschlossen, ohne wissen zu können, wo sie landen werden.
Mit der Aussage „illegale Masseneinwanderung“ wird sowohl das Handeln der Regierungsorgane als auch das Hiersein der Geflüchteten als gesetzwidrig bezeichnet – und zwar pauschal und ohne jede Ausnahme. Selbst wenn ich unterstelle, dass in der Sondersituation des Herbsts 2015 das Handeln der Bundesregierung rechtlich fragwürdig war, so kann spätestens seit Anfang 2016 und schon gar nicht jetzt weder quantitativ noch qualitativ von „illegaler Masseneinwanderung“ gesprochen werden. Also handelt es sich um einen Kampfbegriff.
In der Erklärung wird behauptet, dass „Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird“. Wo der „Schaden“ festzumachen ist und wie er aussieht, darüber erfahren wir nichts. Wieder scheinen die Verfasser und Unterzeichner der Erklärung auf der Zuschauertribüne zu sitzen. Denn sonst hätten sie – ein Mindestmaß an intellektuellem Niveau unterstellt – berücksichtigen müssen, dass auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger (übrigens bis heute) sich für menschenwürdige Aufnahme und Integration der Geflüchteten eingesetzt haben. Damit wurde weltweit ein Deutschland sichtbar, das durch humanitäres Engagement Schaden abgewendet hat.
Die Verfasser und Unterzeichner solidarisieren sich mit allen, „die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen … wiederhergestellt wird.“ Man fragt sich: Wer ist hier gemeint? Wo haben solche Demonstrationen stattgefunden? Unterstellt, dass die Verfasser Demonstrationen wie die in Cottbus im Blick haben, von der Initiative „Zukunft Heimat“, gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundes- und Landesregierung gerichtet, organisiert – was wurde skandiert? Das übliche: „abschieben“, „Merkel muss weg“, „Widerstand“, „Volksverräter“, „Wir sind das Volk“. Wer trat als Redner auf? Unter anderen Götz Kubitschek, einer der führenden Rechtsradikalen im Land.
Bleibt die Frage: Warum diese „Erklärung 2018“? Die Antwort ist relativ einfach: Mit dem intellektuellen Anspruch der Unterzeichner/innen soll all das legitimiert, zumindest aus der rechten Schmuddelecke gezogen werden, was seit 2010 an Fremdenfeindlichkeit, an Islamphobie, an Demokratieverachtung aufgebrochen ist. Dazu gehören auch die Selektions- und Ausgrenzungsrhetorik eines Sarrazin, Pegida und AfD, die offen propagierte humanitäre Kälte gegenüber Fremden, nationaler Egoismus, Europafeindlichkeit, Sympathie für autokratische Systeme. Dabei bedient man sich nicht der Hass getränkten Sprache von Pegida, skandiert auch nicht die oben genannten Schlachtrufe. Man unterstellt den Demonstrationen von Pegida in Dresden bis Cottbus und Kandel das hehre Ziel, die rechtsstaatliche Ordnung wiederherzustellen. So dient die „Erklärung 2018“ nur dem Zweck, zwischen den intellektuellen Beobachtern und den Akteuren vor Ort eine Einmütigkeitsverbindung herzustellen. So wie sich AfD und Pegida verbündet haben, kommen jetzt die Intellektuellen und die Brandstifter zusammen.
Was ist die Absicht der Unterzeichner?
Gerne überlasse ich es jedem und jeder zu beurteilen, wie man diese Erklärung politisch einordnen will – ob rechts oder konservativ, nationalistisch oder völkisch. Wichtig ist etwas anderes: Dass wir ihre Absicht erkennen! Die ist ziemlich durchschaubar: Lieber heute als morgen Grenzen dicht, Islam verbieten, alle Flüchtlinge abschieben, europäische Einigung beenden, deutsche Kultur (was immer das ist) aktivieren. Dass das mit unserer Verfassung, mit christlichen Grundwerten und einem humanen Zusammenleben wenig zu tun hat, ist den Verfassern und Unterzeichnern der „Erklärung 2018“ sehr wohl bewusst. Genau deswegen belassen sie es bei zwei Sätzen, um sich an anderer Stelle auszutoben.