Ich habe mir heute das Verfahren des Leerers vor dem LG Berlin angesehen, hier ein kleiner Prozessbericht:
Auf der anderen Straßenseite gegenüber des Haupteingangs stand ein Fahrzeug der Polizei, offenbar rein vorsorglich wegen der Aufforderung des Leerers an seine Fans, den Verhandlungstermin zu besuchen. Etwas erstaunt war ich, dass es vor dem Eingang so leer war, es fanden auch keine Eingangskontrollen statt, das hat mich noch mehr erstaunt.
Als ich beim Verhandlungssaal ankam, wurde mir auch klar warum: die Sicherheitskontrolle wurde von drei Justizwachtmeistern direkt am Saaleingang durchgeführt (das habe ich hier in Berlin noch nicht erlebt, normalerweise erfolgen die - wenn es welche gibt - immer am Haupteingang). Es war bereits kurz vor 11 Uhr und es hatte sich eine kleine Besuchertraube vor dem Saal gebildet, ich bin dann schnell durchgeschlüpft und habe noch einen Sitzplatz ergattern können. Insgesamt waren schätzungsweise 30 Besucher da, die teilweise stehen mussten. Einer kam mir von den Tanzveranstaltungen bekannt vor, ein weiterer Typ aus dem rechtsextremen Spektrum, ich versuche da noch mal herauszufinden, wer das ist.
Der beklagte Nörling mit seinem Anwalt Geisler war bereits anwesend, der Kläger mit seinem Anwalt kam erst zum Verhandlungsbeginn, als der Vorsitzende nebst den beisitzenden Richterinnen bereits da war. Außerdem waren neben den Justizwachtmeistern vor der Tür auch drei weitere im Saal.
Am Anfang wurde RA Geisler zunächst noch ein Schriftsatz des Klägers überreicht, der erst gestern bei Gericht eingegangen ist, Geisler hat daraufhin vorsorglich Erklärungsfrist beantragt. RA Geisler hat dem Gericht und dem Klägervertreter anschließend selbst noch eine Anlage mit einer E-Mail zu einem seiner Schriftsätze nachgereicht.
Dann hat das Gericht den Sachstand zusammengefasst und seine vorläufige Rechtsauffassung dargelegt:
Der Kläger hat diverse Banken des Leerers angeschrieben und Kontosperrungen bewirkt, woraufhin der Leerer am 24.05.2018 das streitgegenständliche Video auf Youtube veröffentlicht hat. In diesem Video hat der Leerer unter Nennung des Klägernamens von dessen Kontosperrung berichtet, was der Vorsitzende als unproblematisch ansah, er konnte auch verstehen, dass so eine Kontosperrung ärgerlich ist. Dann hat der Leerer in dem Video aber einen Zeitungsausschnitt mit Bild über einen Jom Kippur-Brauch gezeigt, in dem ein Huhn hochgehalten wird, der – soweit hatte sich das Gericht erkundigt – veraltet ist und kaum noch praktiziert wird. Die auf dem Bild abgebildeten orthodoxen Juden bezeichnete der Leerer mit Bezug auf den Kläger als Schwarzmänner, die sich ja reinwaschen könnten, damit das Hemd wieder weiß wird. Wegen dieses Video wurde auf Antrag des Klägers eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung erlassen, das hier ist nun das Hauptsacheverfahren.
Das Video sah das Gericht weiterhin nicht mehr als von der Meinungsfreiheit gedeckt an, da hier kein Bezug mehr zur Kontosperrung bestand, die ja eigentlich Anlass für das Video war. Die Äußerung, er könne sich ja reinwaschen, lässt die Vermutung zu, der Kläger sei irgendwie schmutzig. Es ging dem Leerer nach Auffassung des Gerichts insoweit nur darum, den Kläger wegen seiner religiösen und ethnischen Herkunft verächtlich zu machen, so dass das Video eine Schmähkritik darstellt. Wegen des fehlenden Kontextes zur Kontosperrung war das dem Gericht zufolge aus Sicht des Leerers auch so beabsichtigt. Soweit der Leerer habe vortragen lassen, es habe sich um Satire gehandelt, vermochte das Gericht nicht erkennen, was daran Satire sei.
Zunächst durfte daraufhin der Anwalt des Leerers Stellung nehmen. Natürlich war er nicht der Auffassung, dass das Video eine Schmähkritik darstellt, sondern nur eine Meinungsäußerung. Er wies zudem daraufhin, dass das Video des Leerers ja nicht grundlos erstellt wurde, sondern der Kläger ihn in den E-Mails an die Banken als Nazi und Antisemit bezeichnet hatte. Es war mithin der Kläger, der diesen Kontakt mit dem Leerer hergestellt, der darauf nur reagiert habe.
Als nächstes zitierte RA Geisler dann aus der E-Mail des Klägers, die Geisler als Anhang erst heute nachgereicht hatte. In dieser E-Mail bezeichnet der Kläger den Nörling unter anderem als hasszerfressen und als Nazi. Außerdem habe ihn dieser als Nervling und Leerer bezeichnet und damit verächtlich gemacht. Auch diese E-Mail – sowie noch weitere, die bereits früher bei Gericht eingereicht worden waren – müsse man berücksichtigen.
Dann (oder etwas später, bin mir gerade nicht ganz sicher) ging es noch darum, dass der Kläger in einem seiner Schriftsätze darauf hingewiesen hatte, dass der Leerer inzwischen auch vom Verfassungsschutz als Rechtsextremer geführt wird. RA Geisler ließ sich dahingehend ein, dass – und das fand ich schon eine steile These – hierfür das Kündigungsschutzverfahren ursächlich sei. Offenbar ist der Leerer tatsächlich in Berufung gegangen, das erstinstanzliche Urteil ist RA Geisler zufolge noch nicht rechtskräftig. Es sei mithin vom Land Berlin politisch gewollt, den Leerer in die rechtsextreme und antisemitische Ecke zu stellen, um auch sicher die Kündigung durch zu bekommen. Es handelt sich hierbei mithin nur um Einzelmeinungen der zuständigen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die insoweit jedweder Grundlage entbehren. Wow… mir wäre ein derartiger Vortrag peinlich gewesen, aber ich hatte auch nicht das Gefühl, dass das Gericht derartig kruden Thesen auch nur im Ansatz folgen würde.
Das Gericht meinte, es müsse diese E-Mail noch prüfen, in dem Termin werde man sich auf die Schnelle darauf nicht abschließend einlassen können. Allerdings ließ das Gericht erkennen, dass es hier wohl eher von einer Meinungsäußerung und keiner Schmähkritik ausging. Da gab es im Publikum dann doch ein leichtes Raunen und unterdrücktes Lachen, worauf hin der Richter aufforderte, die Verhandlung nicht zu kommentieren. Außerdem fügte der Vorsitzende an, dass es dem Leerer ja frei stehe, selbst wegen der E-Mails im Unterlassungswege gegen den Kläger vorzugehen. Man würde das dann prüfen. ^^
Der Klägervertreter musste zur Rechtsauffassung des Gerichts ja nicht weiter Stellung nehmen, sondern hat – natürlich – nur dargelegt, dass diese von ihm geteilt wird. Er wies außerdem darauf hin, dass in dem Verfahren allein auf das Datum 24.05.2018 abzustellen ist, als der Leerer das Video veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur die Kontosperrung und den Mailverkehr zwischen dem Kläger und der Bank. Die Mail, aus der RA Geisler vorgelesen hatte, war hingegen deutlich späteren Datums und bereits nach dem Video geschrieben worden. Außerdem seien es auch nur Meinungsäußerungen gewesen (vielleicht gab es auch hier das Raunen des Publikums und den Ordnungsruf, bin mir nicht ganz sicher).
Die Parteien haben dann ihre Anträge gestellt und der Antrag auf Erklärungsfrist von RA Geisler wurde noch aufgenommen, eine Entscheidung wurde am Schluss der Sitzung nach Beratung des Gerichts in Aussicht gestellt. Das ganze hat ca. eine halbe Stunde gedauert.
Der Kläger und sein Anwalt sind dann los. In der Regel ist diese Entscheidung aber auch nur ein Beschluss über den Verkündungstermin, da zu warten lohnt nicht.
Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Unterlassungsklage erfolgreich sein wird. Das Recht auf Gegenschlag, das der Anwalt des Leerers anhand der E-Mails begründen wollte, dürfte völlig ins Leere gehen, wenn diese erst nach dem Video geschrieben wurden. Wie ich
https://forum.sonnenstaatland.com/index.php?topic=4953.msg225438#msg225438 hier schon mal geschrieben habe, kommt es halt nicht auf spätere Ereignisse an, sondern allein auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos. Außerdem besteht ja schon ein kleiner Unterschied, ob ich jemanden per Mail oder öffentlich auf Youtube beschimpfe. Ansonsten sah das Gericht das Video auch weder als Satire an noch als Meinungsäußerung, sondern als Schmähkritik. Irgendwann im Laufe der Verhandlung hatte der Vorsitzende auch darauf hingewiesen, dass die Einschätzung des Gerichts der stetigen Rechtsprechung auch des BVerfG und des EuGH entspricht.
Als Streitwert wurde, wenn ich mich nicht verhört habe, im Übrigen 10.000,00 € genannt. Inklusive vorgerichtlicher Anwaltsgebühren, die wohl auch streitgegenständlich waren, kommen wir damit auf Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 4.546,12 €. Außerdem kann der Klägervertreter noch Fahrtkosten, Tage- und das Abwesenheitsgeld festsetzen lassen, auch der Kläger kann seine Reiskosten einreichen (ich hoffe, die vergessen das nicht
). Wenn man dann noch die Kosten der einstweiligen Verfügung sowie das Ordnungsgeld und das damit verbundene Verfahren hinzurechnet, war das für den Leerer ein teurer Spaß… da werden seine Getreuen aber reichlich spenden müssen.
Der Leerer hat während der Verhandlung keinen Mucks von sich gegeben, sondern sich alles nur mit einem Gesichtsausdruck, der nach meinem Empfinden irgendwo zwischen Arroganz und Verachtung anzusiedeln war, angehört. Ich nehme an, dass er anschließend vor dem Gericht noch eine Show abgezogen hat, vielleicht hätte man da noch einen Schnaps abgreifen können. Da war ich aber schon weg…