Mal überlegen: Die erste Tafel bezeichnet den Standort einer ehemaligen mittelalterlichen Kapelle, die durch die Reformation überflüssig wurde. (Dies widerfuhr übrigens vielen ehemaligen Kirchen und Kapellen, da sich das kirchliche Leben in den evangelischen Gebieten auf die Gemeindegottesdienste konzentrierte, weshalb viele Kapellen, aber auch Klosterkirchen u. dgl. einfach nicht mehr gebraucht wurden. Zum Teil hat dies aber auch dazu geführt, dass Kirchen erhalten blieben, die andernorts zerstört worden wären. In katholischen Gebieten wurden nämlich in der Folge der Reformen des Konzils von Trient viele Kirchen abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Andere wurden völlig umgebaut und vor allem später dem Barock angepasst, sodass von der ursprünglichen Bausubstanz kaum mehr etwas übrig bzw. sichtbar blieb.) Abgebrochen wurde die Kapelle allerdings erst im "aufgeklärten" 19. Jh., das auch viele andere Bauten zerstörte, etwa historische Stadtmauern, Wehranlagen, teilweise ganze Altstädte usw. Man wollte ja "modern" sein und sah in den "veralteten", "irrationalen" Bauwerken des Mittelalters keinen Wert. Spätestens gegen Ende des Jahrhunderts drehte allerdings der Wind, "alt" war plötzlich wieder in Mode (Stichworte: Historismus, Neo-Romanik, -Gotik, sogar Neo-Barock).
Die zweite Tafel markiert den Standort einer ehemaligen Synagoge, die der Reichspogromnacht zum Opfer fiel und danach gänzlich abgerissen wurde.
Der Vergleichspunkt dürfte wohl sein, dass ehemalige religiös genutzte Bauten abgebrochen wurden. Damit erschöpft sich aber der Vorrat an Gemeinsamkeiten schon, denn die Unterschiede überwiegen:
- Die Reformation stellte eine innerchristliche Auseinandersetzung dar und war nicht auf die Auslöschung einer Religion oder die Ausrottung ihrer Anhänger gerichtet, sondern auf eine innerkirchliche Reform.
- Die fragliche Kapelle wurde nicht geschändet, sondern schlicht nicht mehr für religiöse Zwecke benötigt und daher einem anderen Gebrauch zugeführt.
- Im 19. Jh. wurde die Kapelle nicht abgebrochen, um eine Religion zu unterdrücken, sondern einfach deshalb, weil man keinerlei Nutzen und Wert in diesem Bau mehr sah, was auch mit zahlreichen anderen Bauten geschah, die wir heute als historische, kulturelle oder künstlerische Monumente ansehen und für erhaltenswert ansehen würden. Der Abbruch geschah also nicht aus bösem Willen, sondern, wenn man so sagen will, aus "Unverstand".
- Die Verwüstung der Synagoge im Rahmen der Reichspogromnacht hingegen geschah mit der Absicht, die jüdische Religion und deren Angehörige aus Deutschland auszugrenzen, zu vertreiben und letztlich zu vernichten.
Vermutlich geht es auch hier wieder darum, durch den Verweis auf (tatsächliche oder angebliche) Schuld Anderer die Schuld des NS-Regimes und seiner zahlreichen Unterstützer zu relativieren und zu verharmlosen.