Berlin hatte scheinbar mal wieder Besuch aus der Ostmark. Wenn wer noch Argumente oder Beweise sucht, das Nazi-Gedankentum in DE weit verbreitet ist, der lese die Kommentare! Ich habe nach 4 Kommentaren aufgehört zu lesen und dagegen zu halten. Nicht das ansgtregend ist, das ist es. Es tut köperlich weh zu lesen "Walter Ulbrich wäre stolz auf diesen Artikel." oder "Verstehe nicht wo Sellner unrecht hat und wo er was Böses tut oder sagt. Darf man seine Meinung nicht mehr äußern? Ich muss mir auch Haböck, scholz, Fäser und weitere Versager anhören." oder "Lieber Herr Kratzer, ich wünschte mir, Sie könnten auch ein bisschen Ironie aufbringen, sowie der Herr sellner, vielleicht ein bisschen mehr als er. Sie schreiben für die Welt. Diese Zeitung hat das verdient. Lösen sie sich bitte von ihrer ideologischen Verkrampfung. Sie sind noch relativ jung." Da überlege ich mir echt ob ich morgen die 36 Fässer Bier händisch die Treppen runter bringe! Tut in meinem Alter auch weh - ist aber wenigestens erträglich und bringt mir was.....
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Martin Sellner ist der wohl wichtigste Protagonist der als rassistisch geltenden „Identitären Bewegung“. Beim Potsdamer „Geheimtreffen“ sorgte er mit seinen Remigrations-Forderungen für Schlagzeilen. Nun trat er in Berlin auf.
Was einen erwartet, wenn man einem Vortrag des vielleicht bekanntesten Propagandisten der extremistischen „Neuen Rechten“ lauschen will, wird an diesem Freitagabend bereits am Einlass klar. Vor der Veranstaltungsstätte „Staatsreparatur“ in Berlin-Lichterfelde steht ein Mann mit einem „Sylt“-T-Shirt, das – jedenfalls hier und heute – kaum als Sympathiebekundung zur Schönheit der Nordsee-Insel durchgehen kann, sondern eher ein Bekenntnis zur „Ausländer raus“-Variante eines Gigi D’Agostino-Hits sein dürfte.
Martin Sellner also soll heute hier auftreten, jener 35 Jahre alte Österreicher, der bei einer Veranstaltung in Potsdam im November 2023 mit seiner Forderung nach einer breit angelegten „Remigration“ für Aufsehen sorgte. Und dessen Bekanntheitsgrad nach der Berichterstattung über die als „Geheimtreffen“ titulierte Versammlung radikal in die Höhe schnellte.
Der Verfassungsschutz verweist in seinem Bericht für das Jahr 2023 auf Sellners Rolle als „Führungskader“ der deutschsprachigen „Identitären Bewegung‘“. Die Gruppierung hat es geschafft, mit Aktionsformen wie Greenpeace als dermaßen „hip“ durchzugehen, dass ihre rechtsextremistischen völkischen Thesen einigen kaum radikaler erschienen als Forderungen nach einer effektiveren Klimapolitik oder einer gerechteren Vermögensverteilung.
Sellner verhalf seine Führungsrolle bei den „Identitären“ dazu, sich einen Ruf als intellektueller Vordenker der neurechten Bewegung zu erarbeiten – und sich als ihr Sonnyboy zu inszenieren. Seine Thesen hingegen werden von Beobachtern als rassistisch, völkisch und antisemitisch beschrieben. Laut Medienberichten verunstaltete er in seiner Jugend Synagogen mit Hakenkreuz-Aufklebern. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ gestand er, früher „bei den Nazis gelandet“ zu sein.
Für den Open-Air-Vortrag im Innenhof der „Staatsreparatur“ hat sich der Mann mit der akkurat nach rechts gekämmten Haartolle einen Pullover über die Schultern gehängt. „Die offizielle Sylt-Uniform“, wie er witzelt. Der Ton ist damit gesetzt. Nicht verkniffen und verbissen soll es an diesem Tag zugehen, nicht wehleidig und düster. Als „Geheimwaffe gegen die (staatliche) Repression“ macht Sellner vielmehr „unsere gute Laune und unseren Humor“ aus. Ein Lächeln sei doch „die beste Art, dem Gegner die Zähne zu zeigen“.
Die Journalisten begrüßt Sellner an diesem Abend als „die Herrschaften von der Lücken- und Lügenpresse“. Er spricht etwas zusammenhangslos von einer „Demokratiesimulation“ und macht sich über den per einstweiliger Verfügung gerichtlich kassierten Versuch der Stadt Potsdam lustig, ihn mit einer Einreisesperre nach Deutschland zu belegen. „Eine angenehme Genugtuung erfüllt mich dabei“, sagt Sellner – und behauptet in Richtung Publikum, dies sei „auch euer Sieg“.
Dann freut er sich daran, in einer Bemerkung über seine politischen Gegner die „Böhsen Onkelz“ zitiert zu haben – und sorgt sich um die Tonqualität: „Können wir da vielleicht etwas drehen?“ Von den etwa 50 bis 60 Zuhörern an diesem Abend können nur die wenigsten etwas mit den Anspielungen und den Anleihen aus der Jugendkultur anfangen. Der Enddreißiger mit dem schwarzen Basecap in einer der vorderen Reihen mag dazugehören – es ist ein szenebekannter Berliner Neonazi.
Die meisten Damen und Herren sind dagegen im Rentenalter, oft lächeln sie bei Sellners Pointen, manchmal blicken sie aber verständnislos. Vielleicht zehn Prozent, so schätzt Gastgeber Andreas Wild, seien AfD-Mitglieder.
Ein vielleicht Anfang 70 Jahre alter Herr lässt sich von einem jüngeren Mann mit langen Haaren und roten Turnschuhen in einer Pause erklären, warum Björn Höcke eigentlich ein Linker sei. Angelika Barbe, einst DDR-Oppositionelle, später SPD-Bundestagsabgeordnete und in der Corona-Pandemie in den verschwörungsideologischen Teil der „Querdenker“-Szene abgedriftet, erklärt, dass man doch jedem erst mal zuhören müsse. Deswegen sei sie hier.
Sellner kann das alles egal sein. Er müht sich zwar, den Eindruck zu erwecken, als läge ihm Zuhörerschaft in der „Staatsreparatur“ am Herzen. Seine wirkliche Bühne aber sind die sozialen Medien. Auftritte in der Realwelt wie an diesem Abend dienen ihm dazu, sie im Internet zu verbreiten – und sich mithilfe der Auftritte als das scheinbar harmlose Gesicht der „Neuen Rechten“ zu inszenieren.
Von den Neonazis früherer Tage – den uncoolen und plumpen Gestalten, die „hässlich, brutal und gewalttätig“ daherkamen, wie die „Böhsen Onkelz“ sich einst selbst besangen, hebt Sellner sich ebenso ab wie von böse-beleidigt oder zickig-aggressiv wirkenden AfD-Politikern wie Björn Höcke oder Alice Weidel. Sellner trägt sein Cool-Sein nicht nur vor sich her. Er ist es auch. Er ist sogar witzig. Und, ja, auf seine Art rhetorisch ziemlich versiert. Wenn er lächelt, möchte man mitlächeln. Alles nicht so wild, das ist Sellners Message. Und wenn hier etwas gefährlich ist, dann doch nicht ich und das, was die Regierung oder die „Lügenpresse“ über mich erzählen – sondern die grausame Entwicklung, die unser schönes Deutschland und unser schönes Europa wegen dieser Regierung nehmen.
Diese Entwicklung schildert Sellner in den düstersten Farben. Man befinde sich in der „blutigen Endphase“, sagt Sellner. Oder auch: „Der Bevölkerungsaustausch schaufelt das Massengrab für die europäischen Völker.“ Ein Projektor wirft Fotos von Spielplätzen aus den 1970er und 1980er Jahren an die Wand. Blonde Kinder mit heller Hautfarbe sind darauf zu sehen. Ob sich noch jemand an diese Zeiten erinnern könne, fragt Sellner. Die Zuhörer heben fast ausnahmslos ihre Hände – und Sellner sagt: „Wenn ich sehe, wie sich insgesamt unsere Städte verändern, wie wir nirgendwo mehr eigene Kinder sehen, erfasst mich eine tiefe Trauer und ein tiefer Schmerz.“
Expliziter muss Sellner nicht werden. Die Zuhörer in der Staatsreparatur hat er ohnehin auf seiner Seite. Er muss sie hier also nicht ausführen, die Gedanken, die er an anderer Stelle ausbuchstabierte. Er muss nicht über das Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“ sprechen, das eine „Durchmischung“ unterschiedlicher „Ethnien“ verteufelt und von Extremismus-Experten als „Rassismus ohne Rassen“ bezeichnet wird. Er muss hier nicht konkretisieren, was er in seinem Buch „Regime Change von rechts“ über die „Rettung der ethnokulturellen Identität“ schreibt. Er muss auch nicht darauf eingehen, dass Extremismus-Experten seine Warnungen vor einer auf „Traumatisierung und nationalen Selbsthass ausgerichteten Geschichtserziehung“ als Verharmlosung des Holocaust werten.
Rassismus als Party-Folklore
Nein, in einer Zeit, in der die von Sellner und seinen Mitstreitern propagierte Verschiebung des Diskurses nach rechts bereits so viel Erfolg hatte, dass Zeilen wie, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, als Party-Folklore abgetan werden, kann Sellner so manche Zwischenschritte seiner Ideologie überspringen. Er kann gleich zum Kernstück seiner Gedanken vordringen: dem Konzept der „Remigration“.
Ein „moralisches Projekt“ sei die Remigration, behauptet Sellner, auch die Migranten würden davon profitieren, weil sie in Deutschland und anderen europäischen Staaten nicht mehr als Bittsteller auftreten müssten. Sellner ist jetzt ganz in seinem Element. Er hat Satzbausteine mit Schlagworten wie „Bevölkerungsaustausch“ oder „Überfremdungscluster“ so oder so ähnlich unzählige Male vorgetragen. „Multikulturalismus zerstört Europa“, skandiert Sellner. Ganze Ballungsräume seien „orientalisiert“. Soziale Gemeinschaften funktionierten nicht mehr, und am Ende werde alles „dreckig und schmutzig“, weil sich keiner mehr zur Gemeinschaft zugehörig fühle.
Bei der Frage, wer genau „remigriert“ werden soll, bleibt Sellner an diesem Abend im Ungefähren. Abgelehnte Asylbewerber? Oder so ziemlich alle, die eingewandert und irgendwie anders sind, ob mit oder ohne deutschen Pass? Wenn man sich die Massen von Flugzeugen anschaut, die Sellner während seines Vortrags an die Wand projiziert, scheint nur klar, dass es seiner Ansicht nach möglichst viele sein sollten.
Über die Frage, ob nicht auch Einwanderer sich in neuen Heimatländern zugehörig fühlen können, spricht Sellner nicht. Er thematisiert auch nicht, dass die nationale Identität von Staaten wie den USA ohne Einwanderung gar nicht vorstellbar wäre. Im Kontext von Einwanderung sagt Sellner lieber Sätze wie: „Die Bombe tickt“, oder spricht davon, dass Einwanderung einer „Bio-Waffe gegen Demokratie“ gleiche.
Von dem nahe gelegenen S-Bahnsteig erschallen nun die bei rechten und rechtsextremen Veranstaltungen obligatorischen „Nazis raus!“-Rufe. Am S-Bahnhof Lichterfelde Ost, er liegt am südlichen Berliner Stadtrand, haben sich rund 600 Menschen zu einer Gegendemonstration versammelt. „Kein Mensch ist illegal“, steht auf ihren Pappschildern. Oder auch: „Grenzen auf“. Die Gewerkschaften zeigen Flagge und die SPD, die „Omas gegen Rechts“ und natürlich etliche Antifa-Gänger. Die Polizei teilt später mit, dass rund 50 Personen eine Sperre durchbrechen wollten – erfolglos.
Sellner braucht solche Gegendemonstrationen, sie verschaffen ihm den Resonanzraum, ohne den seine vom rassistischen „Ethnopluralismus“ durchdrungenen Remigrations-Fantasien womöglich verhallen würden.
Erzählungen vom Untergang Europas
Was er von der parlamentarischen Demokratie hält, offenbart der Sohn eines Homöopathen und einer Englischlehrerin zum Ende seines Vortrags. Es gebe ja immer mehr Menschen, die die AfD wählten, stellt Sellner fest. Ein riesiges Potenzial sei das, ein Potenzial, das man „jetzt aktivieren“ müsse. „Man rettet ein Land nicht, wenn man alle paar Jahre ein Kreuzchen macht, während unsere Gegner hauptberuflich und Vollzeit an unserer Zerstörung arbeiten“, sagt Sellner. Und: „Wir müssen in die Gänge kommen.“ Wenn Deutschland nicht „zur Vernunft“ komme, werde Europa „untergehen“.
Bevor die Fragerunde beginnt, zu der die Journalisten die Veranstaltung verlassen müssen, will Sellner noch mal lustig sein. Ein Fernsehreporter habe ihn vor seinem Vortrag gefragt, warum er als Österreicher so oft in Deutschland aktiv sei. Warum also fahre er nicht „im Fiaker und in Lederhose“ um den Stephansdom herum? Ganz einfach, sagt Sellner: „Ich liebe Deutschland.“ Die Remigration sei außerdem ein „europäisches Projekt“. Dann freut sich Sellner wieder mal über sich selbst – und über eine Anspielung zur jüngsten Verurteilung seines geistigen Mitstreiters Björn Höcke: „Ich gebe alles für Frankreich, alles für Italien, alles für Österreich“, sagt Sellner „Und nur 99,999 Prozent für Deutschland.“