Wie soll man denn Grundschülern beibringen, daß das Posten von Hakenkreuzen im Internet zwar verboten ist, die Decke der Schulemnsa aber etliche dieser Exemplare aufweisen darf?
Seit das Thema (wohl 2007) zum letzten Mal diskutiert wurde, hat sich doch einiges verändert.
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Von außen sieht es sehr heimelig aus. Roter Backstein, weiße Fensterrahmen. Ein Giebel über der Eingangstür. Das alte Jugendheim fügt sich gut in die niedersächsische Ortschaft Ocholt, die zur Stadt Westerstede gehört. Von außen scheint kein Gebäude passender zu sein für Mädchen und Jungen, um nach dem Unterricht Spaghetti mit Tomatensoße zu schlürfen, Grießbrei und Milchreis zu verdrücken. Doch mancher, der zum ersten Mal in der Mensa der Ocholter Grundschule steht und nach oben schaut, mag sich wundern.
Die Deckenmalerei zeigt germanische Runen und weiße Hakenkreuze auf rotem Grund. Die meisten Bürger von Ocholt haben sich schon längst daran gewöhnt, dass in dem 1938 als Dorfgemeinschaftshaus und Heim der Hitlerjugend errichteten Gebäude die alten NS-Malereien erhalten geblieben sind, und scheinen sich nicht daran zu stören. Doch ein Besucher des kürzlich hier veranstalteten Basars für Spielzeug und Kinderkleidung traute seinen Augen nicht – und ging zur Polizei, um die Hakenkreuze anzuzeigen.
Seitdem ist in Westerstede eine alte Diskussion neu entfacht, die auch an anderen Orten geführt wird, in denen die in der NS-Zeit installierten Symbole aufgrund von Bauarbeiten wieder sichtbar werden oder schon all die Jahre sichtbar waren, ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg taten die Alliierten alles, um die Zeichen des Faschismus zu beseitigen. Denkmäler wurden demontiert, Runen weggemeißelt. Nichts sollte mehr erinnern an das Regime, das im Zeichen des Hakenkreuzes so viel Unheil angerichtet hatte. Mittlerweile ist der Umgang mit den Symbolen ein anderer. Sie gelten als Relikte eines historischen Abschnittes, werden nicht sofort zerstört, sondern zum Thema öffentlicher Debatten.
Für Aufsehen sorgte eine Kirchenglocke im pfälzischen Dorf Herxheim am Berg. In der evangelischen Jakobskirche der 750-Einwohner-Gemeinde läutete seit mehr als 80 Jahren eine Glocke, die mit einem Hakenkreuz versehen und auf der zu lesen ist: „Alles fuer’s Vaterland – Adolf Hitler“. Erst im vergangenen Jahr wurde über die Glocke eine Diskussion angestoßen, in deren Rahmen schließlich sogar der Bürgermeister zurücktrat.
Während in anderen Gemeinden die „Hitler-Glocken“ auf Druck des öffentlichen Protestes gegen Relikte aus der Nazizeit entsorgt werden, hat der Herxheimer Gemeinderat Ende Februar beschlossen, die Glocke hängen zu lassen: Als „Anstoß zur Versöhnung und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht“. Die Glocke einfach zu entfernen hätte die Gemeinde als „Flucht vor einer angemessenen und aufgeklärten Erinnerungskultur“ verstanden.
Hakenkreuze hinter Gips
Auch die Hakenkreuze im Eingangsbereich des ehemaligen NS-Reichsinnenministeriums in Berlin, das zu DDR-Zeiten als Finanzministerium genutzt wurde, bleiben erhalten. In der DDR waren die Hakenkreuze mit Gips bedeckt worden. Nachdem sie 1990 freigelegt wurden, erklären heute Tafeln, was es mit der Symbolik auf sich hat.
In Ocholt stößt diese Art der Erinnerungskultur auf geteilte Resonanz. „Die Deckenmalerei war in Zeitabständen immer mal wieder Gegenstand von Diskussionen“, sagt Wilfried Pistoor, Dezernent für Bildung und Soziales der Stadt Westerstede. Zuletzt habe sich der Verwaltungsausschuss vor rund zehn Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt. Anlass war ein Hinweis der niedersächsischen Schulinspektion im Rahmen einer turnusgemäßen Schulüberprüfung.
Dabei waren die Hakenkreuze ins Visier gelangt. Damals hatte die Stadt in einer Stellungnahme darauf verwiesen, dass schon 20 Jahre zuvor die Bilder für Diskussionen gesorgt hätten und in Zusammenarbeit mit der damaligen Schulleitung eine Hinweistafel entworfen worden wäre, die seitdem im Schuljugendheim hängt.
Dass die alten Deckenmalereien mit Runen und Hakenkreuz weiterhin zu sehen sind, wird in dem Erklärtext als bewusste Entscheidung beschrieben: Die Deckenmalerei wird „als Mahnmal und Erinnerung an eine Zeit“ beschrieben, „in der viele Menschen großes Leid erfahren mussten“.
Bei der letzten großen Debatte vor zehn Jahren waren die Lokalpolitiker erneut zu der Übereinkunft gekommen, die Deckenmalerei nicht zu entfernen oder zu überdecken. Im April 2007 hatte die Stadt in einer Resolution dazu aufgerufen, „sich offensiv mit der Deckenmalerei auseinanderzusetzen und aktiv gegen diskriminierende und rassistische Äußerungen und für ein friedliches Zusammenleben einzutreten“.
Auch aktuell, so Pistoor, bestehe kein Anlass für den Verwaltungsausschuss, sich erneut mit der Thematik zu beschäftigen. Rat und Verwaltungsspitze würden nach wie vor keine Notwendigkeit sehen, die Hakenkreuze zu verdecken.
Kritiker der Nazi-Kunst sehen das anders. In der Gegend gebe es durchaus eine nennenswerte rechtsradikale Szene. Autokennzeichen mit Nummern wie 18 oder 88, die in diesen Kreisen als Code für „AH“ wie „Adolf Hitler“ oder Parolen wie „Heil Hitler!“ genutzt werden, fallen immer wieder auf. Rechte Dresscodes wie Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln seien keine Ausnahme. 2008 wurde der Jüdische Friedhof von Westerstede geschändet, Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert.
Hakenkreuze sollen bedeckt werden
Swanaa Erber, Lehrerin an einer Oberschule der Region, will nicht länger akzeptieren, dass die Grundschüler täglich mit Hakenkreuzen konfrontiert werden. „Die Mensa einer staatlichen Grundschule“, sagt sie, „ist nicht der angemessene Ausstellungsort für nationalsozialistische Hakenkreuzmalerei.“ Sie will die Symbole nicht beseitigen. Sie will sie weiter als Mahnmal erhalten. Aber sie will, dass sie bedeckt werden.
Für die Lehrerin für Geschichte und Politik sei es entscheidend, dass den jungen Besuchern der Eindruck vermittelt werde, dass Hakenkreuze irgendwie zum öffentlichen Erscheinungsbild gehörten. Das Argument, die Malereien dienten der staatsbürgerlichen Aufklärung, entfällt für sie mit Verweis auf den Lehrplan der Grundschulen, in denen das Thema Nationalsozialismus noch gar nicht vorgesehen ist. Ohnehin richte sich das Hinweisschild nicht an diese junge Zielgruppe, sondern an Erwachsene.
Die Erstklässler würden den Text sowieso nicht lesen, die Viertklässler interessiere das nicht. Es sei schon schwierig, sagt Erber, einem Elfjährigen auf einer weiterführenden Schule zu vermitteln, dass er eine Straftat begeht, die sogar mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden kann, wenn er Hakenkreuze zeichnet. Und zuvor habe er an seiner Grundschule erlebt, dass die gleiche Symbolik als unproblematisch gelte. Da könne sich nur schwer ein Unrechtsbewusstsein entwickeln.
In Zeiten, in denen die Zahl rechtsradikaler Gewalttaten bundesweit steigt, seien die Hakenkreuze ein falsches Signal. Zudem würden die Abbildungen die Gefühle jener Menschen ignorieren, „deren Angehörige während des Nationalsozialismus gesellschaftlich geächtet, verfolgt und getötet wurden, die ihre Heimat verloren oder gegen ihren Willen als Wehrmachtssoldaten kämpfen und sterben mussten“.