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Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde deutlich - wenn auch sehr spät. "Wir sind viel zu lasch mit denen umgegangen", sagte der CDU-Politiker vergangene Woche im Tagesspiegel-Interview über die "Reichsbürger". Er machte eine "zum Teil unheimliche Melange aus Wutbürgern, Rechtsextremen, Reichsbürgern und der AfD" für die Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den CDU-Kundgebungen im Bundestagswahlkampf verantwortlich.
Und fügte hinzu: "Es kann nicht sein, dass sich ein Spediteur weigert, Mautbeiträge an den Staat abzuführen, weil er in seiner Welt gar nicht existiert, aber gleichzeitig seine Kinder vom Staat betreuen lässt. Darauf muss der Staat Antworten finden. Sonst werden die, die rumschreien und sich Privilegien rausnehmen, noch zum Vorbild für andere. Das sind sie nicht."
Der sächsische Regierungschef hatte zuvor auch Merkel in einer CDU-Präsidiumssitzung geraten, sich des Phänomens "Reichsbürger" verstärkt anzunehmen. Mit seiner klaren Benennung des Problems überraschte er Experten, nicht nur in seiner Heimat. Denn das Milieu jener, die an der Bundesrepublik als völkerrechtlich anerkanntem Staat zweifeln und stattdessen an ein unsouveränes Staatskonstrukt der Alliierten seit 1945 oder eine Firma "BRD GmbH" glauben, wurde jahrelang auch in Sachsen unterschätzt. Tillich hätte viel früher handeln können.
718 Reichsbürger bekannt - Tendenz steigend
In einem neuen Buch "Reichsbürger - die unterschätzte Gefahr" (Ch. Links Verlag) bescheinigt Herausgeber Andreas Speit den Behörden in ganz Deutschland, die gesamte Bewegung lange Zeit als "Ansammlung von Spinnern und Verrückten abgetan, das Gefahrenpotenzial nicht erkannt" zu haben. Erst seit dem 19. Oktober 2016 würden Staatsapparat und Sicherheitsorgane die "Reichsbürger"-Bewegung anders betrachten, berichtet Speit - dem Tag also, an dem der "Reichsbürger" Wolfgang Plan im bayerischen Georgensgmünd aus einem Hinterhalt elf Schüsse auf Polizeibeamte abgab, dabei einen 32 Jahre alten SEK-Beamten erschoss.
Einen Monat später verständigten sich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, die "Reichsbürger" bundesweit zu beobachten - aufgrund der "veränderten Gefährdungslage", wie es dazu hieß. Das geschah dann auch in Sachsen. Allerdings nicht, ohne die Gefahren zu relativieren: Im August veröffentlichte der sächsische Verfassungsschutz sein erstes Lagebild zu "Reichsbürgern und Selbstverwaltern in Sachsen". Die Behörde analysiert, die Szene finde "auf Grund ihrer kruden Theorien und ihres speziellen Auftretens kaum positive Resonanz". In weiten Teilen stellten die "Reichsbürger" ein "polizei- und ordnungsrechtliches Problem dar, da sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Anträgen und Beschwerden zu blockieren suchen".
718 Personen rechnete der Geheimdienst in Sachsen mit Stand Ende Juni dem Spektrum der "Reichsbürger und Selbstverwalter" zu. 40 von ihnen besäßen eine waffenrechtliche Erlaubnis. Gerade mal 67 der "Reichsbürger" im Freistaat wurden dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnete. Die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten liegen in Mittelsachsen, im Vogtlandkreis und in der Region Bautzen.
Einschränkend hieß es, es handele sich bei der Zahl 718 um einen "Ist-Stand", die Zahl dürfte sich "in nächster Zeit weiter erhöhen". Auf Anfrage des Tagesspiegels erklärte ein Behördensprecher jetzt, die aktuell registrierten Zahlen "weisen weiterhin eine Tendenz nach oben auf". Bundesweit liegt die offizielle Zahl der "Reichsbürger" bei mehr als 12.000. Tendenz: ebenfalls steigend.
"Der Reichsgedanke kommt aus dem modernen Neonazismus"
Die Rechtsextremismus-Expertin der Linken im sächsischen Landtag, Kerstin Köditz, ist über das Lagebild des Verfassungsschutzes verwundert. Die Behörden in Sachsen hätten das "Reichsbürger"-Problem "in einem Ausmaß missverstanden, das wir in Jahrzehnten messen müssen", sagte sie in einem Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin "Kreuzer". Die "Reichsbürger"-Szene im Freistaat habe sich "spätestens seit Anfang der Nullerjahre" merklich ausgeweitet.
Köditz wirft dem Verfassungsschutz vor, die Zusammenhänge zum Rechtsextremismus weitgehend auszublenden. Der Geheimdienst behandele die "Reichsbürger" als eigenen Bereich, "der mehr oder minder zufällig auch eine kleine Schnittmenge mit der extremen Rechten hat, aber ansonsten selbständig ist". Sie erklärte dazu: "Unter ideologischen Gesichtspunkten kann es nichts Abwegigeres geben: Der Reichsgedanke, wie er heute ventiliert wird, kommt aus dem modernen deutschen Neonazismus."
Auch der Politikwissenschaftler Paul Wellsow wirft dem sächsischen Verfassungsschutz vor, die klaren Anzeichen für eine systematische Vernetzung der "Reichsbürger" mit Rechtsextremisten zu negieren. "Gerade in Sachsen hätten es die Behörden besser wissen können - und wussten es auch besser", schreibt er im Buch von Speit. In Sachsen habe es mit dem "Deutschen Polizei Hilfswerk" eine Gruppe gegeben, die von 2012 an auf der Grundlage von "Reichsbürger"-Ideologie eine "Bürgerwehr" aufgebaut, Beamte bedrängt und Tätlichkeiten verübt habe.
Es habe Razzien und Ermittlungsverfahren gegen die Gruppe gegeben, Haftstrafen seien verhängt worden. Doch nur einmal, 2012, sei das "Hilfswerk" im Verfassungsschutzbericht aufgetaucht. "Sachsen blieb sich treu, den Rechtsextremismus kleinzureden", analysiert Wellsow.
Innenminister Ulbig sieht Behörden gut aufgestellt
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) demonstriert derweil Entschlossenheit. Sachsen werde alles dafür tun, um seine Bürger sowie die Mitarbeiter den den Ämtern und Behörden "in jeder Hinsicht" vor den "Reichsbürgern" zu schützen, versicherte er auf Tagesspiegel-Anfrage. "Wir werden jeden konsequent verfolgen, der extremistische Ziele verfolgt und mit diese mit Gewalt durchsetzen will", Sachsen sei dafür mit dem für extremistische Straftaten zuständigen Operativen Abwehrzentrum (OAZ) der Polizei "gut aufgestellt".
Ulbig kündigte an: "Ein ganz wichtiger Ansatz ist der Ausbau der Zusammenarbeit mit den Waffenbehörden. Wer in irgendeiner Form als Reichsbürger in Erscheinung getreten ist, darf keine Waffe tragen. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Typen nicht in den Besitz von Waffen kommen oder bleiben." Ganz ähnlich hatte er das allerdings auch schon im November 2016 gesagt.
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Von Heike Hubricht
erschienen am 22.09.2017
Freiberg/Langenau. Eigentlich sollte eine Plattenbrücke der Straße zwischen Mönchenfrei und Langenau ab August ausgewechselt werden. Das Junihochwasser 2013 hatte ihr arg zugesetzt. Doch bisher hat sich an dem Bauwerk nichts getan. Denn ein Anlieger hat die Erklärung nicht unterschrieben, dass während der Arbeiten auf seinem Grundstück vorübergehend Baumaterialien abgelagert werden dürfen. Das sagte Ute Friedrich, die Leiterin der Abteilung Straßen im Landratsamt, in der jüngsten Sitzung des Kreisausschusses für Umwelt und Technik in Mittweida. "Wir haben kein Baurecht", erläuterte sie. Deshalb könne mit der Beseitigung des Hochwasserschadens nicht begonnen werden. Vize-Landrat Lothar Beier (CDU) zufolge handelt es sich bei dem Anlieger um einen sogenannten Reichsbürger. "Es ist eine höchst unangenehme Geschichte", so Beier.
Laut Ute Friedrich hatte der für die Ersatzbrücke zuständige Projektsteuerer eigenen Angaben zufolge im Vorfeld im Gespräch eine mündliche Zusage des Grundstückseigentümers erhalten, dass auf der Wiese Baumaterial abgelagert werden kann. Der Anlieger habe dies aber in einer Bauvorbesprechung dementiert. "Wir sehen keine Möglichkeit, eine Einigung mit dem Bürger zu erzielen", so Ute Friedrich. Auch Martin Antonow (parteilos), der Oberbürgermeister von Brand-Erbisdorf, hat bereits versucht zu vermitteln - umsonst. Ein Lagerplatz für das Baumaterial außerhalb des Grundstücks wäre logistisch ungünstig.
Deshalb hat Landrat Matthias Damm (CDU) beschlossen, das Vorhaben zu stoppen. Per Eilentscheidung hatte Damm den Bauauftrag mit einem Volumen von knapp 389.000 Euro im August an ein mittelsächsisches Bau-Unternehmen vergeben. Die Pläne dafür erarbeitete ein Ingenieurbüro. Gegen diesen Projektsteuerer soll nun Abteilungsleiterin Friedrich zufolge aus Haftungsgründen eine Mangelanzeige erstattet werden. Um welches Büro es sich dabei handelt, teilte das Landratsamt nicht mit.
Laut Kreissprecher André Kaiser sind die bisherigen Planungskosten von rund 40.000 Euro "nicht verloren". Die Unterlagen würden nochmals aufgearbeitet und der Landesdirektion vorgelegt. Die übergeordnete Behörde eröffne dann das Planfeststellungsverfahren, um zu prüfen, ob das Projekt baurechtlich vertretbar ist. Kaiser: "Der Landkreis beabsichtigt weiterhin, die Maßnahme zeitnah zu realisieren."
Laut Gunther Zschommler (CDU/RBV) wird dieses Prozedere sehr viel Zeit kosten. "Und es wird nicht billiger", so der Kreisrat. In einem Planfeststellungsverfahren erfolgt auch eine Beteiligung der betroffenen Bürger. "Dann können Anlieger ihre Einwände bringen. Die werden dann abgewogen."
Der betroffene Anlieger* lehnte auf Anfrage der "Freien Presse" eine Stellungnahme ab. Allerdings erteilte er allen Mitarbeitern der "Freien Presse" ein Hausverbot. Unterdessen teilte die Kreisbehörde mit, dass aktuell keine Sperrung der Brücke droht. Sollten die regelmäßigen Bauwerkskontrollen aber eine Verschlechterung des Zustandes ergeben, könnten sich laut Kaiser "unter Umständen diverse Einschränkungen ergeben."
* Der Name ist der Redaktion bekannt.