Lautstarke Erheben der Stimme bzw. das lautstarke „Sich-erregen“ im HVT => 150 Euro Ordnungsgeld
von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.11.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|620 Aufrufe
Aus meiner Sicht ganz ok. Da hat sich der Angeklagte wohl schon etwas stärker erregt. Und bekam ein Ordnungsgeld deshalb. Kommt bei Strafrichtern nicht so ganz vor. Wahrscheinlich deshalb hat das AG Bocholt auch vergessen, dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren. Schadete aber auch nichts:
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht – Strafrichter – Bocholt gegen den Verurteilten ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft festgesetzt, weil sich dieser „in der Hauptverhandlung trotz mehrfacher Abmahnung einer Ungebühr dadurch schuldig gemacht“ habe, dass er seine „Stimme lautstark“ erhob. Der am selben Tag eingelegten Beschwerde des Verurteilten hat das Amtsgericht nicht abgeholfen. Die Sache wurde zunächst – versehentlich - dem Landgericht Münster vorgelegt und sodann dem Oberlandesgericht Hamm.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das statthafte und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel (§ 181 GVG) ist unbegründet. Der Senat ist zur Entscheidung berufen (vgl. § 181 Abs. 3 GVG).
Das Amtsgericht hat gegen den Verurteilten zu Recht das Ordnungsmittel verhängt. Das ungebührliche Verhalten des Verurteilten ist Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2016 hinreichend dokumentiert. Nachdem der Verurteilte zu Beginn der Hauptverhandlung zunächst das Hinsetzen verweigerte und später dann verlangte, zunächst Unterlagen einzusehen, aus denen sich ergebe, dass der erkennende Richter wirklich ein staatlicher Richter sei und sich deswegen nicht zur Sache einlassen wollte, erhob er im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung im Beisein des gerade vernommenen Zeugen seine Stimme und zeigte „mit dem nackten Finger“ auf ihn, die Wachtmeister und den Vorsitzenden. Es wurden ihm jeweils sitzungspolizeiliche Maßnahmen bzw. die Verhängung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, angedroht. Nach einer Minute begann der Verurteilte erneut „sich lautstark zu erregen“. Daraufhin erging der angefochtene Beschluss.
Das Verhalten des Verurteilten, sich zweifach im Beisein des gerade vernommenen Zeugen lautstark zu erregen bzw. seine Stimme zu erheben, stellt eine Ungebühr i.S.d. § 178 GVG dar. Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den "Gerichtsfrieden" und damit auf die Würde des Gerichts (OLG Hamm, Beschl. v. 03. 06.2008 – 1 Ws 338/08 – juris m.w.N.). Zu einem geordneten Ablauf der Sitzung gehört auch die Beachtung eines Mindestmaßes an äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsatmosphäre. Die Ordnungsmittel des § 178 GVG können dabei insbesondere als Antwort auf grobe Achtungsverletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden. Es muss jedoch nicht jede Störung der Sitzung zugleich einen erheblichen Angriff auf die Würde und das Ansehen des Gerichts enthalten. So kann daher eine Ahndung mit einem Ordnungsmittel nach § 178 GVG entbehrlich sein, wenn eine augenblickliche, aus einer gereizten Verhandlungssituation geborene Entgleisung vorliegt. Das wird häufig insbesondere bei Angeklagten oder Betroffenen wegen der durch die Prozesssituation gegebenen emotionalen Belastung der Fall sein (OLG Hamm, Beschl. v. 28.11.2000 – 2 Ws 296/00 –juris m.w.N.).
Das lautstarke Erheben der Stimme bzw. das lautstarke „Sich-erregen“ im Beisein des gerade zu vernehmenden Zeugen ist ein solcher erheblicher Angriff auf den justizgemäßen Ablauf der Sitzung. Das im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierte Verhalten, welches zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, ist geeignet gewesen, den Ablauf der Zeugenvernehmung zu stören, insbesondere ist ein solches Verhalten geeignet, den zu vernehmenden Zeugen einzuschüchtern und damit sein Aussageverhalten zu beeinflussen, zumal es in dem Strafverfahren gerade um eine Widerstandshandlung im Zusammenhang mit einer Vollstreckungshandlung des als Gerichtsvollzieher tätigen Zeugen ging.
Das geahndete Verhalten des Verurteilten war mehr als nur eine bloße „temperamentvolle Reaktion“, wie der Verteidiger in der Hauptverhandlung meinte, zumal nicht erkennbar ist, welches Geschehen eine solche „temperamentvolle Reaktion“ oder überhaupt eine derartige Erregung gerechtfertigt haben könnte. Die Verhandlungssituation als solche war – abgesehen von dem Verhalten des Verurteilten – nicht gereizt und der Verurteilte war bereits mehrfach – auch in anderem Zusammenhang zur Mäßigung ermahnt worden.
Gründe, die ein Verschulden des Verurteilten ausschlössen, sind nicht ersichtlich.
Der Umstand, dass dem Verurteilten nicht ausdrücklich rechtliches Gehör vor der Festsetzung des Ordnungsgeldes gewährt worden ist, rechtfertigt keine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Zwar ist grundsätzlich die Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Verhängung von Ordnungsmitteln notwendig (OLG Hamm a.a.O. m.w.N.). In der Rechtsprechung betreffend §§ 178 ff. GVG wird auch nahezu einhellig vertreten, dass eine Nachholung rechtlichen Gehörs in der Beschwerdeinstanz nicht möglich ist (OLG Hamm, Beschl. v. 05.12.1989 – 3 Ws 686/89 – juris; OLG Köln NStZ 2008, 587; OLG Rostock, Beschl. v. 06.01.2003 – I Ws 472/02 – juris; vgl. auch: Diemer in: KK-StPO, 7. Aufl., § 178 Rdn.
. Für diese Auffassung wird indes eine Begründung nicht gegeben. Der Senat sieht indes keinen Unterschied zwischen einer (der Sache nach, vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 181 GVG Rdn. 1) sofortigen Beschwerde nach § 181 GVG oder einer sonstigen sofortigen Beschwerde nach § 311 StPO. Für letztere ist aber anerkannt, dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs in der Ausgangsinstanz durch die Möglichkeit der Stellungnahme im Beschwerdeverfahren geheilt wird (KG Beschl. v. 07.09.2000 – 5 Ws 625/00 – juris; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 462 Rdn. 5). Das ist – angesichts der Regelung des § 309 StPO – auch konsequent.
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, so wäre der Senat nicht gezwungen, die angefochtene Entscheidung wegen einer fehlenden ausdrücklichen vorherigen Anhörung aufzuheben. Denn in der Rechtsprechung ist als Ausnahme von der Pflicht zu einer ausdrücklichen vorherigen Anhörung der Fall anerkannt, dass der Betroffene zuvor ermahnt, bzw. ihm die Festsetzung eines Ordnungsgeldes angedroht worden ist (OLG Brandenburg NJW 2004, 451). Das ist hier der Fall. Nur etwa eine Minute vor dem zweiten Vorfall waren dem Verurteilten (zuletzt) sitzungspolizeiliche Maßnahmen wegen des Lautwerdens angedroht worden.
Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 6.10.2016 - 4 Ws 308/16