Es gibt einen Erfahrungsbericht mit deutlich mehr Infos, auch wenn ich die entsprechende Quelle durchaus als semi-professionell bezeichnen würde, sprich passt nicht so richtig in die "Presse"-Schnipsel.
Spoiler
Reichsbürgerabend am 03.11.2016 in Lutter /Eichsfeld (Edit: 13.11.2016 19:23)
Verfasst von: Naziwatch Eichsfeld. Verfasst am: 13.11.2016 - 19:21. Geschehen am: Donnerstag, 03. November 2016.
Unter Reichsbürgern im Eichsfeld - Am 03.11.2016 lud ein Herr Roland Lott (Lutter) in den Versammlungsraum der Gemeindeverwaltung in Lutter (Eichsfeld) zu einem „Informationsabend“ ein. Die Veranstaltung fand unter dem Motto „Wenn das die Deutschen wüssten…“ statt. Der Titel der Veranstaltung, welche unter anderem durch Aushänge und Flyer in mehreren Eichsfelddörfern beworbenen wurde, nahm offen Bezug auf die gleichnamige verschwörungstheoretische Schrift von Daniel Prinz, welche die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt.
Wir, AktivistInnen, die die rechte Szene im Eichsfeld seit längerer Zeit beobachten, entschieden uns, als vermeintlich interessierte BürgerInnen, an dieser Veranstaltung teilzunehmen.
Beim Eintreffen im Ort fielen sofort die zahlreichen geparkten PKW auf, welche rund um das Haus der Gemeindeverwaltung geparkt waren. Ein Polizeiwagen war wohl zur Beobachtung abgestellt worden. Bereits Tage zuvor hatten BeamtInnen versucht Informationen über Lott, durch die Dorfbevölkerung zu erhalten. Direkt am Eingang des Gebäudes stachen Thor Steinar Jacken und Gesichter von einschlägig bekannten Neonazis, wie René Schneemann (Heiligenstadt), aus der hiesigen Kameradschaftsszene ins Auge. Auch Sympathisanten der Eichsfelder Neonaziszene, wie Alois Koller und Dieter Löffelholz (Dingelstädt), waren zugegen.
Drinnen waren wir überrascht ob der vielen interessierten Menschen. So war der Saal bereits gut gefüllt und platzte, nach Eintreffen aller Gäste, förmlich aus allen Nähten. Vor Beginn wurde mitgeteilt, dass es sich um eine private Veranstaltung handele und somit die „Lügenpresse“ an diesem Abend nicht zugelassen sei. Der Referent, der seinen Namen bis zum Ende der Veranstaltung schuldig blieb, wohl aber aus Wüstheuterode (Eichsfeld) stammt, stiegt mit einer kurzen Geschichte ins Thema ein. Da Menschen als Kinder auch die Geschichte vom Geschenkebringenden Christkind für plausibel gehalten hätten, würden sie heute die Lüge „Deutschland sei nicht mehr besetzt“ glauben. Anschließend präsentierte er vermeintliche „Beweise“ für die Theorie der Lügenpresse anhand völlig aus dem Zusammenhang gerissener TV-Beiträge und erzeugte damit scheinbar schon das ein oder andere Aha-Erlebnis in der ZuhörerInnenschaft. Weiter ging es mit Ausschnitten politischer Reden aus der gesamten Breite des demokratischen Parteienspektrums. Diese sollten belegen, dass die Bundesrepublik Deutschland definitiv kein souveräner Staat sein kann und alle „PersonalausweisträgerInnen“ keine natürlichen Personen seien, sondern „Personal“ der BRD.
Was folgte waren die die üblichen Theorien über den Personalausweis, die Anzahl der Schwingen des Reichsadlers, die Legitimation des Grundgesetzes oder die nach wie vor bestehende Besatzung durch die Alliierten, trotz Zwei-plus-Vier-Vertrag. Theorien, welche das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellten und der indirekte Aufruf, die Souveränität des Kaiserreichs zurück zu erkämpfen. Die ZuhörerInnen zeigten sich erfreut, als sie erfuhren, dass dank „Weltpostgesetz“, Briefe nur mit vier Cent zu frankieren seien. Nachdem versucht wurde, die Schreibweise der Namen im Ausweis mittels Großbuchstaben, mit der Schreibweise der Sklavennamen im Römischen Reich gleichzusetzen, um so den Eindruck von „Sklavenhaltung“ in der BRD zu erzeugen, gab es sogar kritische Einwände einer Person. Auf den Hinweis, dass es im Römischen Reich eben nur große Buchstaben gegeben habe, reagierte der Referent an dieser Stelle merkbar verunsichert und ging schnell zum nächsten Themenpunkt über. Das restliche gebannte Publikum nahm derweil nicht weiter Anstoß an dieser offenen Diskrepanz. Auch eine uns bisher unbekannte Verschwörungstheorie wurde an diesem Abend offensiv vertreten. Die Erfurter Mormonen, eine ursprünglich aus den USA stammende Glaubensgemeinschaft, besäßen, nach Aussage des Referenten, umfassende Informationen, inklusive aller Geburtsurkunden, über alle BürgerInnen in Deutschland und deren VorfahrInnen.
Inhaltlich konnte man dem rechten Treiben immer schwerer folgen, da sich schnell „Experten“ im Publikum einschalteten, welche immer neue postfaktische Thesen einwarfen. Hier taten sich besonders die VertreterInnen des sogenannten „Königreich Sondershausen“(welches sie nach eigenen Angaben vor 1 Woche ausgerufen hatten) hervor, welche in gleichen, uniformartigen Jacken auftraten. Auch Neonazi René Schneemann scheint sich mit den Thesen der Reichsbürger bereits auseinandergesetzt zu haben. So warf er ein, dass das Wort „wohnhaft“ darauf hinweisen würde, dass die Menschen in Deutschland inhaftiert und somit nicht frei seien.
Überraschend war zu erfahren, dass es wohl bereits seit einiger Zeit einen Stammtisch von Eichsfelder Reichsbürgern in Kirchworbis (Eichsfeld) gibt, an dem 25 Personen regelmäßig teilnehmen.
Insgesamt kann man den ZuhörerInnenkreis als Mischung aus VerschwöhrungstheoretikerInnen, interessierten unkritischen BürgerInnen und organisierten Neonazis beschreiben. Erschreckend war wie Lott und sein namensloser Referent mit ihren wirren rassistischen, nationalistischen und latent antisemitischen Thesen, auch bei den meisten ErsthörerInnen nickende Köpfe erzeugten. Mit einem Bus solle nun auf die zuständigen Behörden gefahren werden, um den Staatsangehörigkeitsausweis, ein Dokument, welches das Deutschsein zweifelsfrei belegen soll, zu beantragen. Der Veranstalter schickte die Teilnehmenden sogar mit dem „Auftrag“ nach Hause, bis zur nächsten Veranstaltung den Staatsangehörigkeitsausweis beantragt zu haben und bat seine Unterstützung hierfür an.
Eine Folgeveranstaltung ist für den 01. Dezember 2016 angekündigt, dann aber in einem größeren Raum. Als Möglichkeit wurde der Saal in Lutter genannt. Die BesucherInnen wurden ermuntert Menschen mitzubringen und so eine „Bewegung“ entstehen zu lassen.
Am Ende bleibt die Frage, wie die zuständigen Behörden solchen VerschwörungstheoretikerInnen und bekannten Neonazis überhaupt eine Plattform in den Gebäuden einer Verwaltung des eigentlich abzulehnenden Systems bieten können? Das es sich bei Reichsbürgern nicht bloß um reaktionäre Spinner handelt, sondern um eine sich rasch ausbreitende und gefährliche Form der extremen Rechten, sollte spätestens seit dem Mord in Georgensgmünd deutlich sein.
Naziwatch Eichsfeld