Hier noch ein wirklich netter und ausführlicher Bericht zum Gerichtsprozess in Crailsheim. Wie es aussieht war auch einer von Sürmelis Meute anwesend.
Spoiler
CRAILSHEIM
"Die verarschen den Staat"
Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an. Auch im Landkreis Schwäbisch Hall gibt es sie, und sie treten negativ in Erscheinung.
Prozesse am Arbeitsgericht sind selten so außergewöhnlich wie dieser. Vor einer Woche wurde in Crailsheim, einer Außenstelle des Arbeitsgerichtes Heilbronn, eine Kündigungsschutzklage verhandelt. Kammertermin. Ein 37-jähriger Abteilungsleiter klagt gegen seinen Arbeitgeber auf Wiedereinstellung. Die Kündigung sei unwirksam, Fristen seien nicht eingehalten worden. Mit Unterbrechung war der Mann zehn Jahre bei einer Firma in Wolpertshausen beschäftigt, davon zuletzt fünf Jahre am Stück. Bei der Güteverhandlung in Schwäbisch Hall ein paar Wochen zuvor ging es tumultartig zu, die Polizei musste einschreiten. In Crailsheim gab es nun eine Einlasskontrolle, die beim Beklagten – die Firma wurde vom 64-jährigen Geschäftsführer vertreten – auf wenig Verständnis stieß. „Da geht es gleich los“, sagt er, und: „Jetzt schlägt es 13.“
"Das, was hier passiert, ist illegal"
Um diese Aussagen zu verstehen, muss man wissen, dass es sich bei dem Geschäftsführer um einen sogenannten Reichsbürger handelt. Reichsbürger sind davon überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland kein echter Staat ist, sondern lediglich eine GmbH, die das Land verwaltet. Deutschland habe nie vor den Alliierten kapituliert und sei bis heute von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges besetzt, so ihre krude Theorie weiter. Für die Reichsbürger existiert noch das Deutsche Reich, sie sehen sich als Bürger dessen, drucken sich eigene Pässe und Ausweise.
Dass die BRD für sie kein legitimer Rechtsnachfolger ist, spiegelt sich auch vor Gericht. Der Geschäftsführer, der schon mal mit der Fahne des Deutschen Reiches im Autokennzeichen durch die Gegend fährt, vertritt die Firma ohne Anwalt. Bei ihm herrsche „eine gewisse Rechtsunsicherheit“ vor, er sehe sich „in einem Irrglauben“, gibt er zu Protokoll. „Mit wem habe ich es zu tun?“, fragt er sich. Und er fährt dem Richter Dr. Carsten Witt ständig über den Mund, sagt Sätze wie: „Ich lehne Sie als Richter ab. Sie ziehen das Ding durch, als ob Sie staatlich wären.“ Und: „Sie sind nicht für mich zuständig. Das, was hier passiert, ist illegal.“ Die Zuhörer im Saal sind verwirrt, und das ist natürlich beabsichtigt.
Verbale Unterstützung erfährt der Geschäftsführer von einem anderen Reichsbürger, der sich als „Menschen-Beauftragter“ outet und die Verhandlung als „Kasperlestheater“ bezeichnet. Kurz darauf muss er den Saal verlassen. An einer Stelle meldet sich Jürgen Hägele, der Anwalt des Klägers, zu Wort. „Sie zittern ja“, wirft er dem Geschäftsführer entgegen. Dessen Antwort: „Ich bin aufgeregt, bis oben hin.“ Richter Witt dagegen bleibt cool und sachlich. Selbst auf mehrfache Nachfrage hin kann er den Beklagten nicht davon überzeugen, dass es vielleicht besser wäre, einen Auflösungsantrag zu stellen.
Nach 20 Minuten ist die Verhandlung vorbei. „Das macht Angst“, findet ein Beobachter im Rausgehen. „Einer, der ein Unternehmen führt, bewegt sich in einem völlig rechtsfreien Raum.“ Für einen anderen ist das, was er da erlebt hat, „eigentlich eine Lachnummer. Die verarschen das Gericht und den deutschen Staat.“ Schließlich ergeht wenig später folgendes Versäumnisurteil: Die Kündigung ist unwirksam. Das Arbeitsverhältnis wird aufgelöst, weil es dem Arbeitnehmer nicht mehr zuzumuten ist, weiter in diesem Unternehmen zu arbeiten. Die Abfindung liegt bei rund 48.000 Euro. Dazu muss der Arbeitgeber noch einen Monatslohn komplett bezahlen und die Prozesskosten tragen.
„Solche Fälle (Unzumutbarkeit für den Arbeitnehmer) sind in der Rechtsprechung so gut wie nicht zu finden“, schreibt Anwalt Jürgen Hägele. Schon daran erkenne man die Brisanz dieses Urteils. „Und nicht nur ich bin überzeugt“, betont er, „dass das Verhalten des Arbeitgebers einzig ausschlaggebend dafür war.“ Der Geschäftsführer könnte jetzt in Berufung gehen, fragt sich nur bei welchem Gericht.
Crailsheim kein weißer Fleck
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Reichsbürger aus dem Landkreis negativ auffallen. „Auch der Bereich Crailsheim ist kein weißer Fleck auf der Landkarte. Allerdings ist die Anzahl derer, die nach dieser Ideologie im dortigen Bereich leben, sehr begrenzt“, so formuliert das Eberhard Schurr, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Aalen. Nachfrage bei der Stadt Crailsheim: Ordnungsamtsleiter Christoph Jung geht von zehn bis 20 Reichsbürgern aus. Im Landkreis soll es zwei Gemeinden geben, die besonders betroffen sind: Wolpertshausen und Fichtenau. In Fichtenau sitzt sogar ein Verschwörungstheoretiker, der Bücher herausgibt. Anruf im Rathaus. „Gibt es bei Ihnen Reichsbürger?“ „Ja, leider“, antwortet Bürgermeisterin Anja Wagemann. Und die würden die Verwaltung nicht nur von der Arbeit abhalten, sondern teilweise auch durch aggressives Verhalten auffallen. Einer, der in der Praxis schon mit „beratungsresistenten“ Reichsbürgern und deren Beschwerden zu tun hatte, aber seinen Namen nicht so gerne in der Zeitung lesen möchte, rät: „Auf keinerlei Diskussionen einlassen.“
Und bloß nicht auf E-Mails antworten. „Sehr geehrte Damen und Herren Bediensteten der BRD“, so fangen die an, mit denen es ein Crailsheimer gerade in seinem neuen Job zu tun hat. Aber das ist vergleichsweise harmlos. Die Szene scheint in Bewegung. Vielleicht ist es ja so, wie einer vermutet: Es gibt „irgendwo eine Jenseitsplattform, wo die Reichsbürger ihre Argumentationslinien herhaben“.