Nostalgischer Rückblick der Berliner Zeitung auf Wolfgang Ebel.
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Als Beweis seiner Legitimität legte er jetzt die Kopie eines vom Generalbundesanwalt am 8. Dezember 2004 ausgestellten Führungszeugnisses vor – versandt an folgende Adresse: „Deutsches Reich, komm. Regierung, Der Reichskanzler, provisorischer Amtssitz, 14163 Berlin-Zehlendorf“. Das Schreiben ging tatsächlich ab; ein peinliches Versehen, wie die Behörde einräumte.
Der Reichskanzler klagte den Spiegel-Reportern ausführlich seinen Ärger über die Uneinsichtigkeit und Renitenz der Ämter, die „immer noch in dem krankhaften Wahn leben, die Bundesrepublik sei ein souveräner Staat“. Zu jener Zeit gingen die Staatsorgane der BRD schon gegen eine ganze Reihe von Reichsbürgern vor, zum Beispiel in Gera, im thüringischen Sondershausen, Nürnberg und München. Man hielt die Leute teils für Polit-Spinner, teils für Rechtsextremisten. Meist aber nervten Ebels Leute mit Kleinkram: Fahren ohne Führerschein, verweigerte Gebührenzahlungen.
Ebels Konflikt mit dem Staat begann 1980. Als in West-Berlin lebender Bediensteter der Deutschen Reichsbahn (DR), zu der auch die Berliner S-Bahn insgesamt gehörte, geriet er in die Ost-West-Auseinandersetzungen. Nach dem Krieg hatten die Alliierten verfügt, dass das Berliner Eisenbahnnetz und dessen Betriebsführung in einer Hand bleiben sollten – und zwar bei der in der sowjetischen Besatzungszone ansässigen Deutschen Reichsbahn. Die wurde zwar als Staatsbahn der DDR betrieben, musste aber weiter Deutsche Reichsbahn heißen, weil die Westalliierten nur dieser die Erlaubnis erteilt hatten, den Eisenbahnbetrieb in West-Berlin durchzuführen.
So kam es zu der wunderlichen Situation, dass die DDR die West-Berliner S-Bahn betrieb, bei der Ebel als de facto Ost-Angestellter (mit geringerem Gehalt) im Stellwerk Halensee und als Fahrdienstleiter tätig war. Das war mit ständigem Ärger verbunden. Nach dem Mauerbau 1961 hatten Senat, DGB und Springer-Zeitungen gemeinsam zu einem Boykott der S-Bahn aufgerufen. Wer S-Bahn fahre, finanziere Ulbrichts Stacheldraht. Die Fahrgastzahlen brachen tatsächlich um 70 Prozent ein, der Betrieb wurde unwirtschaftlich.
Deshalb legte im September 1980 die DDR einige Reichsbahnstrecken still, woraufhin mehrere Hundert der insgesamt 3700 Reichsbahnbediensteten in West-Berlin in den Streik traten. Wolfgang Ebel zählte zu den Rädelsführern. Als dann der Schienentransport zusammenbrach, schwankten West-Berliner Medien zwischen dem Ärger über die Störungen und der Freude über die Aktion der Westarbeiter gegen ihre Chefs im östlichen Arbeiter- und Bauernstaat.
Auf dem Schirm der DDR-Staatssicherheit
Wie 80 andere Rädelsführer wurde Ebel fristlos entlassen. Vergeblich versuchte er, seinen Beamtenstatus (den es in der DDR nicht gab) und damit verbundene Ansprüche bei West-Berliner Gerichten einzuklagen. Die als demütigend erlebten Niederlagen standen offenbar am Anfang seiner Karriere im selbst erdachten Reich.
Seit seinem Auftreten als einer der Streik-Wortführer hatte auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Wolfgang Ebel auf dem Schirm, wie 2018 Andreas Förster für die Berliner Zeitung recherchierte. Relevant wurde Ebel demnach, als er im Dezember 1985 die Betriebsrechte der Deutschen Reichsbahn in West-Berlin übernehmen wollte und zu diesem Zweck mit drei Gleichgesinnten den „Bund der Staats-, Reichs- und Bahnbeamten Deutschlands“ gründete.
Die vier sahen sich als „Rechtsnachfolger des nicht untergegangenen Deutschen Reiches“ und erhoben Anspruch auf das Sondervermögen der Reichsbahn in West und Ost. Förster zitiert den Stasi-Vermerk: „Damit ist eine politische Untergrundtätigkeit unter den Beschäftigten der DR in WB vorgesehen.“ Grund genug zu genauerer Überwachung: Acht Spitzel setzte man auf Ebel und seine Mitstreiter an.
1986 ernannte sich Ebel praktischerweise noch zum Reichsverkehrsminister. Auch bei der Stasi wuchsen die Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit. 1987 endet die Akte Ebel, im Schlussbericht heißt es, er zeige „immer mehr den Charakter von Handlungen eines Psychopathen“.
Eine Staatsbürgerschaftsurkunde von Ebel für umgerechnet 20 Euro
Ebel baute seine amtlichen Handlungen derweil geschäftlich aus. Förster schreibt: „Eine Staatsbürgerschaftsurkunde bekam man schon für umgerechnet 20 Euro, für Ausweis und Kfz-Kennzeichen verlangte er zuletzt 100 Euro. Außerdem betrieb er einen ,Reichsgerichtshof‘, der Haftstrafen und Todesurteile an Beamte und politische Gegner per Post zustellen ließ.“ Er bot Reichsbürgerlehrgänge an und gab Briefmarken heraus.
Darüber hinaus prellte er Zahnärzte, demontierte S-Bahn-Schilder und entwendete sie – nachzulesen in der 2015 im Satireportal Sonnenstaatlandforum (bis 2016 Anti-Reichsdeppenforum) online gestellten „Akte Ebel“ mit 313 Dokumenten und Schriften, die Auskunft geben über Ansichten und Aktivitäten des KRR-Urvaters Ebel. Hier ist auch von Unstimmigkeiten in der „Regierungsführung“ zu lesen, was zu Abspaltungen ehemaliger Ebel-Getreuer geführt habe. Eine Vervielfachung von Reichskanzlern und Reichspräsidenten war die Folge.
Im Jahr 2008 rückte der reale Staat an Ebels Zehlendorfer Amtssitz zur Zwangsräumung an. Jahrelang hatte der Bewohner die Mietzahlungen verweigert, weil ihm das Haus ja als Dienstsitz unentgeltlich zustehe.
Am 29. Dezember 2014 starb der Reichsbürger Wolfgang Gerhard Günter Ebel.