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Piers Morgan selbst verschickt auf Twitter zwar immer wieder mal Links zu seinen Interviews und deren vermeintlicher Relevanz. In der echten Welt jenseits von Social Media aber interessieren wiederum Rupert Murdoch nur Zahlen, und die Zahlen von Talk TV sind miserabel. In der Woche, in der Premierminister Boris Johnson zurücktrat und also das News-Geschehen in Großbritannien einen Höhepunkt erreichte, schalteten im Schnitt gerade einmal 43 000 Menschen den News-Sender Talk TV ein, bei Mitbewerber und Branchenführer BBC News waren es mehr als 14-mal so viel. Immerhin sahen Morgans Zuschauer, wie dieser seine Sendung mit einem Schwein auf dem Arm anmoderierte und Boris Johnson zum Rücktritt aufforderte. Johnson wurde in den britischen Boulevard-Medien immer wieder mal als "greased piglet" bezeichnet, als fettiges Ferkel, das seinem Schlächter entgleitet.
Rupert Murdoch, der doch schon 91 Jahre alte Medienmogul, hatte Talk TV Ende April gestartet, weil er offenbar glaubte, das Land brauche noch eine Fox-News-Kopie: einen Sender für die eher rechtsgerichtete, konservative Zielgruppe der Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Leute. Er verpflichtete Piers Morgan als Gesicht des Senders, denn Morgan gehört zu den bekanntesten Fernsehfiguren des Landes, außerdem ist er Kolumnist bei den Murdoch-Blättern The Sun und New York Post. Sein Gehalt soll Berichten zufolge bei insgesamt 50 Millionen Pfund für drei Jahre liegen.
Boulevard-Reporter belauschten die Telefone von Prominenten? Piers Morgan streitet alles ab
Murdoch setzte offensichtlich auf Morgans polarisierende Wirkung, die beiden kennen sich von früher. In den 1990er-Jahren war Morgan, damals 29, Chefredakteur bei Murdochs Blatt News of the World, dessen mitunter kriminelle Methoden dazu führten, dass Murdoch das Blatt später schließen musste. Morgan war da schon weitergezogen zum Daily Mirror, wo er in einen Abhörskandal verwickelt war, der das Land in den 2000er-Jahren empörte. Damals hörten britische Boulevardreporter Dutzende Telefone von Prominenten ab, Morgan streitet bis heute jegliche Beteiligung ab.
Morgans Sendung "Uncensored" behauptet, nichts als die ungeschützte Wahrheit zu sagen, im Vorspann dreht sich ein Gehirn, in dem vermeintlich zensierte Regionen aufleuchten. Piers Morgan sagt, was die ach so linksgerichtete und woke Gesellschaft einem nicht mehr erlaubt, das ist die Botschaft. Das Konzept ist simpel, Morgan redet mit allen möglichen Gästen, wobei dem Sender seine guten Kontakte in die Welt des Showbiz zugute kommen. Die Auftakt-Show bestritt er mit Donald Trump, Morgan provozierte Trump dabei so gezielt, dass der das Studio für einen Moment verließ.
Ansonsten spricht Morgan fast ausschließlich über Videoschalten mit seinen Gästen, wie das auch im ganzen Sender üblich ist. Durchgehend wird geredet, das Programm besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von Talk-Shows, wobei die Ausstrahlung plattformübergreifend sein soll. Das heißt: Die Sendungen werden via App, Radio und TV übertragen, weshalb die Moderatoren in den meisten Shows in einem schlichten Studio mit Radiomikrofon sitzen und Kopfhörer tragen.
Das Konzept unterscheidet sich kaum vom Konkurrenten GB News, der vor etwas mehr als einem Jahr auf Sendung ging. Dass beide Sender die gleiche und eher kleine Zielgruppe ansprechen, macht die Sache für Talk TV nicht einfacher. Es gab sogar Tage in den vergangenen Monaten, an denen stundenlang laut offizieller Messung niemand einschaltete, tatsächlich: null Zuschauer. Dass der von GB News geholte ehemalige Rechtspolitiker Nigel Farage Morgan regelmäßig in den Quotentabellen schlägt, soll Morgan zudem nahhaltig verärgern.
Bei den großen britischen Zeitungen verschwimmen mitunter die Grenzen zwischen Journalismus und Parteiorgan
Die britische Medienlandschaft ist ein dichter Markt, es gibt mehrere 24-Stunden-Nachrichtensender mit Vollprogramm, hinzu kommen Zeitungen und Magazine für jedes politische Spektrum. Gerade die größeren Blätter positionieren sich politisch oft derart deutlich, dass die Grenzen zwischen Journalismus und Parteiorgan mitunter verschwimmen. Insbesondere das für Talk TV relevante, eher rechtskonservativ orientierte und anti-woke Publikum bekommt etwa in der auflagenstarken Daily Mail täglich neuen Input, wenn auch ohne Rücksicht auf dessen Wahrheitsgehalt.
Murdoch, der einst mit Sky den britischen Fernsehmarkt aufmischte, ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der bisher nicht gerade durch rücksichtsvolles Verhalten auffiel. Ende Juni flog er nach London, um sich ein Bild von der Situation zu machen, was für etwas Aufregung im Sender gesorgt haben soll. Er verpflichtete den früheren Chefredakteur des Daily Mirror, Robert Wallace, als neuen Sender-Chef, und holte Mitarbeiter seines US-Senders Fox News hinzu, die Hilfestellung leisten sollten.
Der Guardian berichtete kürzlich, beide Sender schrieben rote Zahlen, weshalb ihre Zukunft unsicher erscheine. Einer der Hauptinvestoren von GB News, der US-Konzern Discovery, soll über einen Ausstieg nachdenken. Und das wiederum führt zum Geraune, Murdoch könne erwägen, GB News einfach aufzukaufen.
Morgan selbst versucht derweil zu retten, was zu retten ist. Auf Twitter setzte er vor Kurzem gleich mehrere Beiträge hintereinander ab, gerichtet an mehrere prominente Politiker, darunter Noch-Premierminister Boris Johnson, Ex-Finanzminister Rishi Sunak oder auch Noch-Staatssekretär Jacob Rees-Mogg. Jedem warf er vor, trotz persönlicher Versprechungen noch immer nicht in seine Show gekommen zu sein, er biete hiermit an, das nachzuholen. Tatsächlich wird Sunak nun an diesem Dienstag auf Talk TV zu sehen sein: Zusammen mit Liz Truss tritt er dort zur Fernsehdebatte an, es ist bereits die zweite von dreien im englischen Fernsehen, bei der es um die Nachfolge von Boris Johnson geht.
An Rees-Mogg schrieb Morgan, er habe ihm neulich bei einer Party "vor deiner Mutter" versprochen, in die Show zu kommen, und da er ja wisse, dass er, Rees-Mogg, ehrlich sei, freue er sich auf sein Kommen. An Johnson schrieb Morgan, er habe ihm seit nun sieben Jahren ein Gespräch versprochen, aber wie so viele andere Versprechen halte er auch dieses nicht. Dabei habe er doch nichts zu tun, als "in No. 10 rumzuhocken".
"Desperate", verzweifelt, schrieben viele von Morgans Follower unter die Beiträge. Das dürfte nicht ganz falsch sein, wobei Morgans Verzweiflung verständlich wäre. Erst vor ein paar Wochen, kurz bevor Murdoch in London ankam, hatte Morgans Show weniger Zuschauer als eine Wiederholung einer Sitcom aus den 1970er-Jahren.
Das „Warum“ sehe ich jetzt nicht unbedingt erklärt.
Kac.kbraune Scheis.se will halt niemand wirklich sehen.