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Die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin und rechtsextreme Aktivistin Ursula Haverbeck wurde im April 2022 von einem Berliner Gericht zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Online kursiert die Behauptung, das Urteil gegen Haverbeck sei vom Berliner Landgericht aufgehoben worden. Tatsächlich hat das Gericht lediglich entschieden, dass eine Eingabe Haverbecks erneut geprüft werden muss. Haverbecks Verurteilung ist rechtskräftig, die einjährige Haftstrafe muss sie demnächst antreten.
Dutzende User haben seit Mitte Januar einen Beitrag auf Facebook geteilt, demzufolge ein Gerichtsurteil gegen die 94 Jahre alte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck aufgehoben worden sei. Der Beitrag verbreitete sich auch auf Telegram, wo ihn Zehntausende sahen.
Die Behauptung: "Ursula Haverbeck muss nicht in Haft!", heißt es in dem aktuell geteilten Posting. Demnach habe Haverbeck das Urteil des Berliner Landgerichts aus dem April 2022 "erfolgreich anfechten" können, woraufhin es angeblich aufgehoben worden sei. "Ursula hat damit bis auf Weiteres keine Inhaftierung zu befürchten."
Die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck wurde am 1. April 2022 in einem Berufungsprozess vor dem Berliner Landgericht wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt. Haverbeck habe den Holocaust in Abrede gestellt und bestritten, begründete das Gericht sein Urteil. In dem Prozess ging es um die Berufungen Haverbecks gegen zwei frühere Hafturteile wegen Volksverhetzung aus den Jahren 2017 und 2020.
Haverbeck war im Jahr 2017 vom Amtsgericht Tiergarten zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, weil sie im Jahr zuvor auf einer öffentlichen Veranstaltung mehrfach den Holocaust geleugnet haben soll. 2020 verurteilte das Gericht sie zu einem Jahr Haft, weil sie 2018 in einem auf Youtube veröffentlichten Interview den Holocaust geleugnet haben soll.
Haverbeck wehrt sich gegen ihren Haftantritt
Weder das Urteil gegen Haverbeck noch die verhängte Haftstrafe seien aufgehoben worden, erklärte eine Sprecherin der Berliner Strafgerichte am 19. Januar 2023 im Gespräch mit AFP. Das Berliner Landgericht müsse lediglich eine sogenannte Eingabe Haverbecks erneut prüfen, da es bei einer früheren Entscheidung zu formalen Fehlern gekommen sei. Bei einer Eingabe handelt es sich um einen Antrag oder Unterlagen, die an das Gericht gehen.
Haverbeck erklärte in einer Eingabe vom 11. Oktober 2022, ihre Haftstrafe aufgrund gesundheitlicher Gründe nicht antreten zu können. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte allerdings gegenüber AFP, dass ein Arzt Haverbeck für haftfähig erklärt habe. Haverbecks Eingabe habe jedoch keine Auswirkungen auf das Urteil vom 1. April 2022 oder ihre Haftstrafe, sagte die Sprecherin.
Das Urteil vom 1. April 2022 gegen Haverbeck ist nach Auskunft der Sprecherin seit dem 29. Juli 2022 rechtskräftig, nachdem ein Antrag Haverbecks auf Revision verworfen wurde. Rechtskräftig bedeutet, dass ein Urteil nicht mehr anfechtbar ist. Eine Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft erklärte am 23. Januar 2023 gegenüber AFP, Haverbeck sei am 4. Oktober 2022 zum Haftantritt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Senne geladen worden.
Im Zuge der Prüfung von Haverbecks Eingabe kam es nach Angaben der Gerichtssprecherin zu einem Verfahrensfehler, infolge dessen nun erneut darüber entschieden werden müsse. Eine Strafkammer des Berliner Landgerichts habe Haverbecks Schreiben irrtümlicherweise als Wiederaufnahmeantrag gewertet. Eine Wiederaufnahme bedeutet, dass ein Verfahren, das mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen wurde, neu aufgerollt wird, etwa weil Zeuginnen oder Zeugen nachweislich falsch ausgesagt haben oder neue Beweise aufgetaucht sind.
Der vermeintliche Wiederaufnahmeantrag sei von der zuständigen Strafkammer am 16. November 2022 verworfen worden, wogegen Haverbeck Beschwerde eingelegt habe. Am 11. Januar 2023 gab das Berliner Landgericht dieser Beschwerde statt und entschied, dass der Beschluss vom 11. November 2022, Haverbecks Eingabe zu verwerfen, ungültig sei. Die Eingabe hätte nicht als Wiederaufnahmeantrag behandelt werden dürfen, zudem hätte das Gericht Haverbeck zur Prüfung der Eingabe anhören müssen, erklärte die Sprecherin die Gründe für die Entscheidung. Die Eingabe muss nun erneut vom Amtsgericht geprüft werden.
Urteil ist rechtskräftig – Haverbeck muss in Haft
Anders als in den aktuell geteilten Postings behauptet, berührt die jüngste Entscheidung des Gerichts das ursprüngliche Urteil gegen Haverbeck vom 1. April 2022 jedoch nicht. "Das heißt nicht, dass das Urteil aufgehoben wurde, das ist rechtskräftig und steht", sagte die Gerichtssprecherin. Haverbeck versuche mit allen Mitteln, die Vollstreckung ihrer Haftstrafe zu verhindern. Nachdem die Revision Ende Juli 2022 verworfen wurde, gebe es jedoch keine juristischen Mittel mehr, die Vollstreckung zu verhindern.
Das bestätigte die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft am 19. Januar 2022 per E-Mail gegenüber AFP. Das Urteil sei seit dem 29. Juli 2022 rechtskräftig und nicht aufgehoben worden. Haverbeck habe ihre Haftstrafe jedoch bislang noch nicht angetreten, "da der Rechtsweg hinsichtlich des Strafantritts weiterhin ausgeschöpft wird". Die Staatsanwaltschaft könne daher zur Zeit keinen konkreten Termin für einen Haftantritt nennen. Haverbecks Rechtsanwalt Wolfram Nahrath wollte sich gegenüber AFP nicht zu dem Fall äußern.
Solidarität aus der rechten Szene
Für Haverbeck ist es nicht die erste Verurteilung wegen Volksverhetzung. In den vergangenen Jahren hatte sie wiederholt den Holocaust geleugnet und behauptet, das Konzentrationslager Auschwitz sei kein Vernichtungslager gewesen und dort habe kein Massenmord stattgefunden. Nach Schätzungen von Historikerinnen und Historiker ermordeten die Nazis im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau rund 1,1 Millionen Menschen.
Das Amtsgericht Bad Oeynhausen verurteilte sie 2004 wegen Volksverhetzung erstmals zu einer Geldstrafe. Es folgten weitere Geld- und Bewährungsstrafen. Von Mai 2018 bis November 2020 war sie in der JVA Bielefeld-Senne inhaftiert. Haverbeck avancierte durch ihre öffentlichen Auftritte zur Galionsfigur der rechten Szene in Deutschland. Rechte Gruppen, darunter die Partei Die Rechte und die Jungen Nationalisten, die Jugendorganisation der NPD, haben eine Solidaritätskampagne für die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin ins Leben gerufen.
Die aktuell geteilten Beiträge enthalten einen Link zu einem Beitrag auf der Website "Artikel5.info". Dabei handelt es sich um einen Blog, der sich für die Freilassung angeblicher politischer Gefangener einsetzt. Bei den auf dem Blog dargestellten Personen handelt es sich um rechtsextreme Aktivisten wie den Reichsbürger Dennis Ingo Schulz oder die Holocaust-Leugnerin Marianne Wilfert. Schulz, der in der Vergangenheit regelmäßig mit rechtsextremen Aussagen auf Youtube in Erscheinung trat, begleite nach Angaben des Infoportals "Endstation Rechts" Ursula Haverbeck im Frühjahr 2022 bei ihrem Prozess vor dem Berliner Landgericht. Eine AFP-Anfrage zu den Quellen für die angebliche Aufhebung des Urteils gegen Haverbeck ließ "Artikel5.info" unbeantwortet.
Fazit: Das Urteil des Berliner Landgerichts gegen Ursula Haverbeck vom 1. April 2022 wurde nicht aufgehoben. Die Verurteilung zu einer Haftstrafe von einem Jahr ist seit Ende Juli 2022 rechtskräftig und soll vollstreckt werden. Das Berliner Landgericht muss lediglich über eine Eingabe Haverbecks erneut entscheiden. Diese Entscheidung hat jedoch keine Auswirkung auf das ursprüngliche Urteil.