Wetten: Diejenigen, die jetzt auch vor ner Zwangsversteigerung stehen, werden reihenweise ein Nießbrauchrecht in Grundbuch eintragen lasen und sich dann wundern...
Ähnliches hatten wir auch bei der JOH hier (https://forum.sonnenstaatland.com/index.php?topic=111.195) thematisiert. Kann mir ein Jurist das (verständlich ) erklären, warum das Blödsinn ist?
Aber gern doch. Mit dem "verständlich" ist es nicht so einfach, das ist selbst für viele Juristen keine ganz leichte juristische Kost.
Wenn infolge einer drohenden Zwangsvollstreckung das Wasser bis zum Hals steht, kommen Grundstückseigentümer mit Hilfe der "Reichsregierung für das Volk", der JOH oder anderer Ratgeber zuweilen auf die grandiose Idee, sich selbst ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück im Grundbuch eintragen zu lassen, bevor dort die Zwangsvollstreckung vermerkt wird. Nießbrauch ist das Recht, die Nutzungen der Sache zu ziehen, also die Sache selbst zu benutzen und von den "Früchten" des Grundstücks zu profitieren. Früchte können ganz banal die Äpfel aus dem Garten sein, aber auch Einnahmen aus der Vermietung des Grundstücks sind damit gemeint.
Theoretische Folge: Das Grundstück kann dann zwar zwangsversteigert werden, aber der Eigentümer (= Schuldner) behält durch den vor der Zwangsvollstreckung eingetragenen Nießbrauch die Nutzungen des Grundstücks, also den eigenen Gebrauch und/oder die Mieteinnahmen. Das Leben geht für den Schuldner also praktisch weiter wie bisher.
Nun gibt es dagegen aber das sogenannte Anfechtungsgesetz (AnfG).
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/anfg_1999/gesamt.pdfDieses Gesetz hat mit der wahrscheinlich bekannteren Anfechtung einer z.B. bei einem Vertrag abgegebenen Willenserklärung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) nichts zu tun. Es betrifft vielmehr Fälle, in denen die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel durch Handlungen des Schuldners verhindert oder erschwert wird, nämlich im Wesentlichen folgende Fälle:
1) Der Schuldner hat innerhalb von zehn Jahren vor der Anfechtung Rechtshandlungen mit dem Vorsatz vorgenommen, den Gläubiger zu benachteiligen, wenn die dritte Person (insbesondere der Vertragspartner des Schuldners) den Vorsatz kannte (§ 3 Abs.1 AnfG).
2) Der Schuldner hat innerhalb von zwei Jahren vor der Anfechtung (bei der Frist gibt es noch einen hier außen vor gelassenen Sonderfall) einen entgeltlichen Vertrag mit einer nahestehenden Person (Ehegatte, eingetragener Lebenspartner, Verwandter, in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebende Person) abgeschlossen (§ 3 Abs. 2 AnfG).
3) Der Schuldner hat innerhalb von vier Jahren vor der Anfechtung unentgeltliche Leistungen des Schuldners an eine dritte Person, insbesondere Schenkungen, erbracht, § 4 Abs.1 AnfG.
Die Anfechtung erfolgt immer durch Erhebung einer gerichtlichen Klage, man kann und muss also nichts vorher irgendwem gegenüber erklären. Die Klage wird in der Regel gegen den Empfänger der Leistung erhoben. Wenn der Schuldner eine durch die Handlung erlangte Gegenleistung herausgeben soll, richtet sich die Klage immer gegen ihn.
Das Gericht prüft bei einer solchen Klage, ob ein vollstreckbarer Titel und einer der Fälle 1) bis 3) vorliegt. Ist das der Fall, wird die beklagte Partei verurteilt, den durch die Leistung erlangten Gegenstand (Gegenstand kann eine Sache oder ein Recht sein) an den Kläger (= Gläubiger) herauszugeben. Der kann den Gegenstand dann verwerten.
Ähnliche Anfechtungstatbestände gibt es auch in der Insolvenzordnung für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Praxis ist die Insolvenzanfechtung der bei weitem häufigere Fall, beschert sie doch dem Insolvenzverwalter, der meist selbst Rechtsanwalt ist und sich bei der Klage selbst vertreten kann, zuweilen nicht geringe zusätzliche Einnahmen aus den Prozessen gegen Anfechtungsgegner.
In dem vorliegenden Fall müsste die Gläubigerin, die in das Grundstück vollstrecken will, also Anfechtungsklage gegen den Eigentümer erheben. Anfechtungsgrund wäre hier § 3 Nr.1 AnfG, also eine Handlung zur Benachteiligung des Gläubigers. Da der Schuldner hier sozusagen mit sich selbst ein Geschäft getätigt hat, gibt es keinen Dritten, der die böse Absicht des Schuldners gekannt haben muss (wie das sonst in den Fällen des § 3 Nr.1 AnfG erforderlich ist). Bei erfolgreicher Klage müsste der Schuldner das Nießbrauchsrecht an die Gläubigerin herausrücken, diese könnte das Recht im Grundbuch löschen und fröhlich weiter in das Grundstück vollstrecken
.
Besonders dämlich ist diese juristische "Patentlösung" für klamme Grundstückseigentümer aber auch aus einem anderen Grund
. Der Eigentümer/Schuldner hat den Nießbrauch für sich selbst eintragen lassen. In der Praxis hat der Gläubiger in vielen Fällen aber nicht nur - aus einer Grundschuld oder Hypothek - das Recht zur Zwangsvollstreckung in das Grundstück, sondern einen Vollstreckungstitel für das gesamte Vermögen des Schuldners. In den meisten Grundschuldbestellungen für einen Immobilienkredit unterwirft sich der Schuldner z.B. wegen der Rückzahlung des Darlehens in notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen. Mit dieser Erklärung kann der Gläubiger gleich ohne weiteren gerichtlichen Titel los vollstrecken, wenn es mit der Rückzahlung des Kredits hapert. Zum gesamten Vermögen des Schuldners gehört natürlich auch der Nießbrauch, den der Schuldner sich selbst genehmigt hat.
Das Anfechtungsgesetz greift auch z.B. in folgendem Fall ein: Ein Grundstückseigentümer wird zu einer Leistung an jemanden verurteilt, der noch keine Grundschuld oder Hypothek an dem Grundstück des Schuldners hat. Der Schuldner lässt nun, bevor der Gläubiger im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil eine Zwangsvollstreckungshypothek im Grundbuch eintragen kann, für sich selbst oder für eine nahestehende Person eine Grundschuld eintragen, die den gesamten Wert des Grundstücks erreicht oder übersteigt und die der später eingetragenen Hypothek des Gläubigers vorgeht. Der Gläubiger würde bei der Zwangsversteigerung also leer ausgehen
und deshalb gar nicht erst die Vollstreckung betreiben. Hier hilft ihm das Anfechtungsgesetz aber weiter.
Erfreulich ist an diesem Modell nur der Umstand, dass durch die Eintragung des Nießbrauches Gebühren in die Kassen der Notare und Grundbuchämter fließen. Allerdings ist dieses Spielchen des Schuldners für den Gläubiger durchaus lästig, denn die Anfechtung kostet Zeit (in der sich der Schuldner neue Tricks ausdenken kann) und - zumindest erst einmal - Geld, da der Gläubiger für die Klage - wegen des oft hohen Streitwerts erhebliche - Kostenvorschüsse an den Rechtsanwalt und das Gericht leisten muss und das Risiko trägt, dieses Geld von einem klammen Anfechtungsgegner nicht zurück zu bekommen. Gerade für Gläubiger, die nicht - wie z.B. ein Kreditinstitut - dank Bankenrettung oder von Berufs wegen über reichlich finanzielle Mittel verfügen, ist das keine ganz einfache Situation.
Es gibt für solche Schuldner übrigens andere Strategien, bei denen man zur Verhinderung oder Erschwerung der Zwangsvollstreckung eine anfechtbare Handlung begeht, die aber in der Praxis vor Gericht relativ schwer nachweisbar ist und mit der man eventuell sogar "durchkommt". Aber ich werde hier doch nicht aus dem Nähkästchen plaudern und ich möchte auf gar keinen Fall unentgeltliche Rechtsberatung für unsere - hier sicher mitlesende - Kundschaft betreiben oder gar öffentlich zum Betrug auffordern.
Ich hoffe, das war verständlich genug.