Aber es ist doch auch nicht deine Leistung, dass du aus deiner Mutter "geschlüpft" bist. Würdest du die etwa genauso fallen lassen wie eine heiße Kartoffel?
Meine Mutter ist eine reale Person. Eine Nation ist ein künstliches und willkürlich erstelltes Gebilde. Insofern ist es da leicht erklärbar, wie warum welche Emotionen auf beides verteilt werden würden.
Darüberhinaus bin ich auf meine Eltern auch nicht stolz. Ich bin stolz, wenn ich denen beibringe, wie sie ihr Smartphone als W-Lan-Hotspot benutzen um mit ihrem Tablet ins Internet zu gehen, weil ich ihnen das beigebracht habe. Aber alles was meine Eltern in ihrem Leben zustande gebracht haben, haben sie auch ohne mich zustande gebracht. Sie können stolz auf mich sein, weil ich ihr Produkt bin, aber stolz auf sie kann ich nicht sein. Sie lieben, sie ehren - ja. Aber nicht stolz auf sie sein.
Ich finde das, was unser Staat leistet, gut. So im Großen und Ganzen. Es gibt viele Dinge die mich stören, z.B. die halbherzig durchgeführte Trennung von Kirche und Staat, das Bildungssystem, der Wahn lauter Dinge zu privatisieren und die Drogenpolitik. Nichtsdestotrotz sind das alles Ausfallerscheinungen auf hohem Niveau, denn gleichzeitig geht es den meisten Menschen hier, verglichen mit den restlichen 7 Milliarden, ziemlich gut.
Der Staat ist real. Der existiert und er handelt. Eine Nation ist nichts als eine fiktive Gruppe zu der man sich zugehörig fühlen soll. Wenn ich also schon, um die Mutter-Metapher zu bemühen, zu irgendwas meine "Liebe" bekunden soll, dann wohl zum Staat als zu der Nation. Den Staat habe ich kennen gelernt, bei der Nation, der Gruppe also, die meine Identität bereitstellen soll, habe ich 99% der Angehörigen nie kennen gelernt und werde es auch nie.
Den Migranten von der Straße gegenüber habe ich aber kennen gelernt. Und dank meiner nationaler Identität fühle ich mich lieber Fremden näher als fremdaussehenden Nahestehenden.
Aber genau gegen diesen Staat richten sich diese ganzen "Patrioten". Weil sie eben keine Ahnung haben, warum sie auf die Straße gehen, welche Emotionen und Automatismen sie da leiten. Nur eins ist ihnen wichtig: Nicht in die rechte Ecke gesteckt zu werden. Dass man da aber gar nicht reingesteckt werden muss, sondern dass es die eigenen Taten, Gedanken und Worte sind, die einen rechts werden lassen, ist bei diesen Leuten ebenfalls nicht angekommen.