Ich hoffe, ich schreibe jetzt nicht am Thema vorbei; ist nämlich eine blöde Angewohnheit von mir.
Ein Schlaglicht auf Reichsbürger (nicht nur) für Neulinge;
Wie erkennt man einen Reichsbürger, wenn man ihn auf der Straße trifft?
Es ist sehr schwer. Meist sind es ganz normale Leute, tragen selten bis keine auffälligen Klamotten oder Accessoirs, schauen angepasst aus.
Je nachdem, wie tief der geneigte Reichsdepp drinsteckt, und wie mutig er ist, gibt es aber Details:
Man kann aufs Autokennzeichen achten. Ist am Euro-Balken schwarz-weiß-rot zu sehen, kann man schon sicher sein, dass der Junge recht tief in der Geschichte drin steckt. (Wenn man ihn ärgern will, steckt man den Sachverhalt der lokalen Ordnungsmacht. Hehe.)
Reichsadler oder ähnliche Abbilder sieht man vereinzelt als Kettenanhänger und öfter als Hintergrund auf Smartphones. Gemischt mit S-W-R, kann man schon recht sicher davon ausgehen, dass man entweder einem handelsüblichen Rechten oder einem Reichsbürger gegenübersteht. Vereinzelt kann es aber auch eine historisch interessierte Person sein, hier ist also Vorsicht im Urteil geboten.
Äußere Anzeichen sind jedenfalls, wenn, dann nur sehr subtil zu finden. Man muss sich mit den Leuten unterhalten.
Was sind die Ansichten und Geisteshaltungen eines Reichsbürgers?
Hier unterteile ich in vier Gruppen: jung, alt, Prekariat, (unterer) Mittelstand
Junge sind meist sehr idealistisch und versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Beruflich gelingt es ihnen meist, während sie auf sozialer Ebene eher nicht so hoch geschätzt werden. Ihr Spürsinn für die feinen Botschaften des sozialen Konstrukts, in dem wir alle und bewegen, ist oft schwach ausgeprägt, wodurch sie eine verzerrte Wahrnehmung haben.
Ernsthaft als dämlich zu bezeichnen sind nur wenige. Der Großteil liegt in Puncto Auffassungsgabe im normalen Bereich. Was den Bildungsstand angeht, ist auffällig, dass, je höher der Schulabschluss umso weniger Anhänger zu finden sind. Abiturienten und Hochschulabsolventen sind bei den Reichsbürgern die Ausnahme, die die Regel bestätigen.
Alte hingegen haben sich mit ihrem meist sehr niedrigen sozialen Status abgefunden. Sie sind deshalb verbittert. Ihr Zeitvertreib ist, neben Querulantentum im weitesten Sinne, das zusammenkommen mit Gleichgesinnten, die ihnen Halt geben, in einer Gesellschaft, die sie vermeintlich nicht braucht. Mit der Zeit rutschen sie - initiiert durch die Schwarmdummheit - immer tiefer in den Strudel, bis es für sie kein Zurück mehr gibt. Sie wollen etwas an der bestehenden Ordnung ändern, koste es, was es wolle.
Alle haben einiges gemeinsam, wobei sich einzelnes stärker oder schwächer ausprägt, was sie sich dann einer der Fraktionen zuordnen lässt.
- sie haben keine bis geringe Bildung, wobei insbesondere die politische Bildung hier durchschlägt
- sie haben kein Rechtsverständnis
- sie glauben fanatisch an das, was ihnen die Agitatoren vorgeben, und wollen es gar nicht hinterfragen oder hinterfragt haben.
- sie sind extrem obrigkeitshörig. Allerdings nur der Obrigkeit, die sie akzeptieren.
- im Grunde sehnen sie sich nach einem totalitärem Staatskonstrukt, das ihnen genaue Regeln vorgibt und ihren verschobenen Gerechtigkeitssinn bedient.
- sie sind vom
Dunning-Kruger-Effekt förmlich zerfressen
- sie vertreten eine konservative Geisteshaltung, die sie, je nach Ausprägung und Opportunismus entweder offen zur Schau tragen oder mit einer dünnen, meist liberalen Tünche überschminken. Die Bandbreite geht vom typischen CDU-Wähler bis hin zum knallharten, antisemitischen Rechtsradikalen mit alles und scharf (
).
- sie sind durch rationale Argumente, Quellenagaben und Erklärungen zum (historischen) Kontext nicht zu beeindrucken.
- Stichwort Quellen: sie akzeptieren nur Bestimmte, die ihnen die Weltsicht bestätigen. Vertreten diese einmal eine abweichende Meinung, fallen sie (wahrscheinlich zum Schutz des eigenen fragilen Weltbildes) sofort in Ungnade
- sie sind anderen Verschwörungstheorien, und seien sie auch noch so hahnebüchen, nicht abgeneigt
- sie schaffen es, wirklich überall ihr Weltbild bestätigt zu sehen - mithin die größte Leistung dieser Leute. Weiß man auf etwas keine Antwort, fühlen sie sich bestätigt, hat man sie in die Enge getrieben, ist man ein Systemschaf und muss dadurch wirklich stichhaltige Beweise nicht akzeptieren.Ein weiterer Sport dieser Leute ist es, Zitate aus dem Kontext zu reißen, damit sie die eigene Weltsicht bestätigen. (siehe Schäuble, BVerfG usw.)
- sie sind sehr opportunistisch - negieren den Staat, aber staatliche Leistungen werden gerne genommen. Wie ein junger Spatz verlangen sie aber immer mehr als sie gerade haben.
- sie akzeptieren keinen Pragmatismus und sind Prinzipienreiter. Alles muss für sie durchreguliert sein.
- sie sehen die herrschende Rechtslehre als ein quasi-materielles und nicht als ein gedankliches Konstrukt. Veränderungen und das stillschweigende Voraussetzen bestimmter, sich aus dem Kontext ergebener Sachverhalte unter Experten sind nicht vorgesehen ("Da steht Grundgesetz, also ist es keine Verfassung!" - dass das GG genau die Aufgabe einer Verfassung übernimmt, spielt keine Rolle)
- sie halten sich sich allesamt für Frei- oder wenigstens kritische Denker, die ihren Artgenossen etwas voraus haben. Deshalb dürfen sie aus ihrer Sicht Andere als Lemminge beschimpfen, während sie ironischerweise ihrer Indoktrination vorbehaltloser folgen als die, die sie dessen bezichtigen.
- sie haben ein starkes Sendungsbewusst sein. Ihre Indoktrination, die sie wirklich jedem aufs Auge drücken, nimmt oft missionarische Züge an.
nach diesem kurzem und unvollständigen Abriss kann man sich an den Corpus Delicti (Latein!
) machen:
Man redet mit ihm. Meist reicht ein Kommentar zum aktuellen politischen Geschehen und man kann sehen, wie der Reichsbürger bereitwillig die Hosen 'runterlässt, alles ihm zur Verfügung stehende aufzeigt, und wie weit er schon im Sumpf steckt. Man sollte nicht den Fehler machen, ihm zu unterstellen, dass es ihm um eine Diskussion geht - alles was er will, ist seinen Gedankenmüll in der Gegend zu verteilen. Es kann sehr schnell passieren, dass sich sein Geschwurbel im Kreis dreht. Wenn man es weiter verfolgen möchte, fragt man ihn zu Ambivalenzen des vorher Gesagtem. Keine Sorge - die tauchen auf.
Man sollte sich allerdings vorher drauf gefasst machen, dass diese Diskussion anstrengend sein wird. Geht man zu unbedarft drauf zu, fühlt man sich recht schnell wie Goethes Zauberlehrling (Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nicht los!)
Viel Spaß damit.