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Das Bundesinnenministerium hat die Reichsbürgerorganisation „Königreich Deutschland“ verboten. Der Generalbundesanwalt nahm vier mutmaßliche Rädelsführer fest. WELT konnte tiefe Einblicke in den Fantasiestaat gewinnen und sprach mit Führungsfiguren und Aussteigern.
Der selbst ernannte König begrüßt WELT im Oktober 2022 mit einem Lächeln auf den Lippen. Er hat den Reporter ins „Wolfsgrüner Schlösschen“, eine Jugendstilvilla im Erzgebirge, geladen, um einen Einblick in das zu geben, was er „Königreich Deutschland“ nennt.
Peter Fitzek, so heißt der „König“, ein Mann mit schmalem Gesicht und Pferdeschwanz, öffnet den schweren Torflügel und bittet hinein. Er lässt sich am liebsten wahlweise mit König Peter, der Erste, oder religiös verbrämt Peter, Menschensohn des Horst und der Erika, aus dem Hause Fitzek ansprechen.
Im Gespräch mit dem Reporter führt Fitzek an diesem Tag ein geradezu albernes Schauspiel auf. Er spricht von der „Schöpfungsordnung“ und von „Schutzgeistern“, zeigt einen „Reisepass“ seines „Königreichs“, spricht über die „Engelmark“ und die von ihm ins Leben gerufene Krankenversicherung, die „Deutsche Heilfürsorge“. Dann erläutert er in abenteuerlichen argumentativen Verrenkungen, warum es legitim und folgerichtig sei, dass sein „Königreich“ sich von der Bundesrepublik Deutschland abspalte.
Nun sollen die Erzählungen von Peter I. und seinen Anhängern endgültig dorthin verbannt werden, wo sie hingehören: ins Reich der Fantasie. Denn am Dienstagmorgen setzten rund 800 Einsatzkräfte dem Treiben des „Königs“ ein Ende. Sie durchsuchten Liegenschaften des Vereins in sieben Bundesländern und beschlagnahmten das Vermögen des „Königreich Deutschland“ (KRD). Der Verfassungsschutz bezeichnete die Gruppierung schon vor Jahren als „Staatssimulation“. Nun ist diese endgültig Geschichte. Denn Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt vollstreckt, was sein Haus bereits in der Amtszeit seiner Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) auf den Weg brachte: das Verbot des KRD.
Im Reich der Fantasie
Der Generalbundesanwalt ließ, ebenfalls am Dienstagmorgen, zudem vier mutmaßliche Rädelsführer des KRD festnehmen. Einer von ihnen: Peter Fitzek. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das KRD habe verbotene Bank- und Versicherungsgeschäfte betrieben, teilte die Karlsruher Behörde mit.
Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, Zweck und Tätigkeit des KRD liefen den deutschen Strafgesetzen zuwider und richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Innenminister Dobrindt sagte, es sei „ein bedeutender Schlag gegen die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter“.
Die Mitglieder des KRD hätten einen „Gegenstaat“ geschaffen und „wirtschaftskriminelle Strukturen“ aufgebaut. „So untergraben sie beharrlich die Rechtsordnung und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik.“ Ihren vermeintlichen Herrschaftsanspruch untermauerten die Mitglieder des KRD durch antisemitische Verschwörungserzählungen. „Das kann in unserem Rechtsstaat nicht geduldet werden“, sagte Dobrindt.
Gegründet wurde das „Königreich“ bereits vor knapp 13 Jahren. Damals, im Juni 2012, versammelten sich Peter Fitzek und acht seiner Mitstreiter in einer Turnhalle. Auf einem altarähnlichen Tisch erstrahlten die Insignien der Macht, Zepter und Reichsapfel. „Jetzt ist der Augenblick gekommen, um den neuen Staat zu gründen“, tat ein Mann kund, der an diesem Tag als Zeremonienmeister fungierte. Dann half er Peter I., dem „Obersten Souverän“, in sein rot-weißes Hermelingewand und ließ ihn die „Gründungsurkunde“ für den neuen Staat verkünden: das „Königreich Deutschland“.
In den kommenden Jahren arbeiteten Fitzek und die Seinen mit einer bemerkenswerten Beharrlichkeit daran, die Besitztümer und den Einflussbereich des KRD zu mehren. In seinem früheren Leben, damals in der Bundesrepublik Deutschland, hatte Fitzek sich mit mäßigem Erfolg als Koch, Jeansverkäufer und Betreiber einer Videothek versucht hatte. Nun gelang es ihm mit einer kruden Mischung aus Verschwörungserzählungen und esoterischen Heilsversprechen vom Leben in einer klassenlosen neuen Gemeinschaft immer mehr Anhänger um sich zu scharen.
Innerhalb der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter stieg das KRD somit zur mitgliederstärksten Gruppierung auf. Zuletzt umfasste das Reich etliche Immobilien, etwa alte Höfe und Landgüter, die „Königliche Reichsbank“ (mit der Mitglieder des KRD um ihre Ersparnisse gebracht wurden), einen Online-Handel, sowie Dutzende Internetseiten und Kanäle in den sozialen Medien. Irgendwie funktionierte das offenbar. Bei dem Besuch des Reporters von WELT im Oktober 2022 sagte Fitzek, dem KRD gehörten rund 6000 Mitglieder an. Minister Dobrindt sagte, es seien wohl eher um die tausend Anhänger.
Verirrte Gestalten auf Sinnsuche
Seine Einnahmen erzielte das KRD unter anderem durch Spenden. Verirrte Gestalten auf Sinnsuche und mutmaßlich fehlerhaft geeichtem Kompass überschrieben dem KRD ihr Vermögen, vertrauten Fitzek und den Seinen sogar ihre Immobilien an. Dreh- und Angelpunkt war die „Königliche Reichsbank“, bei der die Getreuen des Königs Euro in „Engelmark“ tauschten – und gemäß den vom KRD diktierten Bedingungen des Pseudogeschäftes ihren Anspruch verwirkten, ihr Geld zurückzuerhalten.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bewertete die Aktivitäten – auf Grundlage der Gesetze der Bundesrepublik – als unerlaubte Bankgeschäfte. Fitzek musste sich wegen Untreue verantworten, eine Verurteilung des Landgerichts Halle hob der Bundesgerichtshof allerdings aus rechtlichen Gründen auf. Fitzek verstand dies jedoch nicht als Warnschuss. Er machte weiter.
Im Oktober 2018 musste er nach einer Verurteilung wegen unzulässiger Versicherungsgeschäfte dann doch ins Gefängnis. In Konflikt mit dem Gesetz jenes Landes, das er nicht anerkannte, geriet Fitzek immer wieder, mal wegen Fahrens ohne Führerschein, mal wegen Körperverletzung – und immer wieder wegen seiner unerlaubten Finanzgeschäfte, mit deren Hilfe er sein „Königreich“ vergrößerte.
Wer wissen wollte, wie das KRD neue Anhänger gewinnt, konnte sich einen Eindruck bei einem der Rekrutierungstreffen der Vereinigung verschaffen – etwa an einem Freitag im September 2023 in einer Veranstaltungsstätte im Hochsauerland, bei dem eine Handvoll Interessierte mehr über den „Ausstieg“ aus der Bundesrepublik Deutschland erfahren wollte.
Von der Bundesrepublik zeichneten Holger und Britta, wie sich die Leiter des Seminars vorstellten, an diesem Tag ein düsteres Bild. Das Geld fließe „von fleißig nach reich“, der Euro mache bald „die Grätsche“, das Gesundheitssystem halte die Menschen krank. Die „Eliten“ – manche seien überzeugt, es seien Außerirdische – würden die Menschen daran hindern, in ihre „Schöpferkraft“ zu gelangen. „Wir werden von einer Herde von Voll♥♥♥en regiert“, sagte Britta. „Dass wir die angeblich gewählt haben, das glaubt ja sowieso keiner mehr.“
Das KRD lud regelmäßig zu esoterischen Seminaren
Schulden zurückzuzahlen, das sei in diesem System von „Zins und Zinseszins“ faktisch unmöglich. Der Projektor warf ein Bild des jüdischen Bankiers Anselm Rothschild an die Wand. Wie beiläufig sagte Britta, die Rothschilds hätten das Bankensystem ja erfunden – und nährte somit altbekannte antisemitische Verschwörungserzählungen. Die Teilnehmer schienen zu verstehen. Ein Mittvierziger mit Fusselbart schrieb eifrig mit. Eine Frau im besten Rentenalter und Wolldecke über den Schultern quittierte die wirren Ausführungen über die „Eliten“ mit einem wissenden Lächeln.
Ideologie der Reichsbürger
„Dann legen wir einen nach dem anderen um“
Einer, der das „Königreich“ von innen erlebt hat, ist Sebastian Weiler. Weiler heißt eigentlich anders, er hat um Vertraulichkeit gebeten, will mit seinem Leben als Untertan Fitzeks für immer abschließen. Mittlerweile engagiert er sich beruflich für ein Demokratieprojekt. Als junger Student vor rund zehn Jahren war er in den Sog der Reichsbürger geraten.
Er habe damals Bücher studiert, die sich mit dem Bankensystem befasst hätten. Verschwörungstheoretische Lektüre, das weiß Weiler heute. „Ich habe diese Bücher gelesen und hatte das Gefühl: Das kann doch gar nicht sein. Werden wir verarscht?“, erinnert er sich. In einem der Bücher sei auch vom KRD die Rede gewesen. Zufällig habe gleich am nächsten Wochenende ein Tag der offenen Tür in Wittenberg stattgefunden, dem Kerngebiet von Fitzeks Fantasiestaat.
Weiler war sofort angetan. „Das Grundstück war riesengroß. Das war schon faszinierend: ein riesiges altes Krankenhaus mit unzähligen Zimmern. Draußen gab es Vorstellungen von irgendwelchen Projekten, im Garten konnte man sitzen, es gab Musik und Lachyoga und Essen und Trinken.“ Er habe das „schon irgendwie cool“ gefunden.
Mit solchen Ausweispapieren wollte Fitzek dem KRD Legitimität verschaffen
Der ausschlaggebende Punkt für seinen Einstieg in die Welt des Pseudo-Königreichs sei aber ein anderer gewesen: „Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt nie wirklich mit unserem System und der Demokratie beschäftigt. Aber ich hatte irgendwie Lust, etwas zu verändern, und das am besten mit dem geringstmöglichen eigenen Aufwand.“ Fitzeks Idee sei ihm da gerade recht gekommen.
„Da war eine Gruppe und die hat gesagt: Wir machen das jetzt so. Wir machen unser eigenes Gesundheitssystem und haben unser eigenes Staatsgebiet“, sagt Weiler. Das habe ihn überzeugt. Er habe Zeit und auch Geld in das Königreich investiert.
Weiler habe etwa selbst ein Unternehmen innerhalb des Königreichs angemeldet. Dafür habe ihm Fitzek 777 Euro abgeknöpft. Viel Geld für einen Studenten. Er habe aber nie einen Cent verdient. Die Wirtschaft, die es innerhalb des Königreichs Deutschland vorgeblich gab, sei „sehr schwerfällig“ gewesen.
Tatsächlich verwiesen Fitzek und seine Anhänger immer wieder auf den angeblich „autarken Wirtschaftskreislauf“. Die Realität sah jedoch ernüchternder aus. Auf einem Online-Marktplatz namens „KaDiRi“ („Kauf das Richtige“) boten Anhänger des Königreiches selbst gemachte Waren und – vor allem esoterische – Dienstleistungen an. Von einer umfassenden Versorgung war man jedoch weit entfernt.
Und so war es vor allem an Fitzek, seine Anhänger über die Unzulänglichkeiten seines Fantasiestaates hinwegzutäuschen. Weiler erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem selbst ernannten König. Fitzek habe es verstanden, die Menschen zu fesseln und mitzureißen. Er habe begeisternd über allerlei Themen gesprochen. „Die Leute sind aus den Veranstaltungen rausgegangen und haben gedacht: Das ist etwas Gutes. Dabei hatte das alles etwas sehr Guruhaftes“, sagt der Aussteiger. Er vermutet hinter Fitzeks Handeln „Egowahn“.
Fitzek leugnete die Existenzberechtigung der BRD, hier in einem Telegram-Beitrag des KRD
Weiler hat viel über seine Zeit in der Parallelgesellschaft nachgedacht. Er habe als junger Mann einfach „eine sehr große Schublade für mich aufgemacht“, sagt er, Dinge verändern wollen, von denen er eigentlich nichts verstanden hat. „Fitzek hat gesagt: ‚Hier ist eine goldene Tür und du kannst da durchgehen.’ Ich wollte immer das Gefühl haben, etwas selbst zu gestalten. Aber ich brauchte jemanden, der mir zeigt, welchen Weg es gibt.“ Er glaubt: Wie ihm ging es vielen im KRD.
„Reichsbürger waren und sind davon aber bis heute besonders fasziniert“
Wie es für die bis zuletzt engagierten Anhänger des Pseudostaats weitergeht, ist offen. Ihrem Guru, Peter Fitzek, zwei Mitgründern und einem weiteren Kernmitglied droht eine Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die vier Männer wurden am frühen Dienstagmorgen in Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen verhaftet.
Die teils prunkvollen Immobilien werden beschlagnahmt, Vermögenswerte eingezogen. Aus Sicherheitskreisen hieß es zuletzt immer wieder, es könnte sich um hohe Millionenbeträge handeln. Allein das „Wolfsgrüner Schlösschen“ soll einen Wert von rund 2,3 Millionen Euro haben. Im Gespräch mit dem Reporter von WELT sagte Fitzek, es gebe Anhänger, die ihr Erbe verkauft hätten, um es dem „Königreich“ zu vermachen. Er habe das gerne angenommen.
Er sei ein Geschäftsmann, ein Egotyp, fahre gerne mit einem 7er-BMW vor. Auf absehbare Zeit wird Fitzek auf solche Spritztouren verzichten müssen.