Das Königreich Deutschland will ein eigener Staat sein. Seine Bürger gründen im ganzen Land Unternehmen – und lassen Parallelstrukturen zur Bundesrepublik gedeihen.
24. Februar 2023, 6:33 Uhr
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Ein Mittwochabend in einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg. Vor den Fenstern eines Wohnhauses hängen an diesem 1. Februar die Rollläden, nur durch Schlitze dringt Licht. Von den 650 Einwohnern im Ort Bubenorbis östlich von Heilbronn dürften nur wenige von dem exklusiven Vortrag wissen, der in dem Haus stattfindet. Eine Handvoll Menschen ist gekommen, in einer Raucherpause gehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Terrasse.
Das Thema des Vortrags ist keines für die breite Masse. Es geht um die "Gemeinwohl-Strukturen" des Königreiches Deutschland. Das Reich, von Eingeweihten gern als KRD abgekürzt, ist ein Fantasiestaat. Der vorbestrafte Esoteriker Peter Fitzek hat das KRD im Jahr 2012 gegründet und sich selbst zum König gekrönt. Beobachter ordnen seine Bewegung dem Spektrum der Reichsbürger zu. Das sogenannte Kernstaatsgebiet befindet sich auf dem Gelände einer ehemaligen Konservenfabrik am Stadtrand von Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Auf dem Gelände lebt die "Kerngemeinschaft", außerhalb noch weiteres treues Gefolge. Angeblich hat der Fantasiestaat eine vierstellige Anhängerschaft, verteilt über ganz Deutschland.
In der Einladung zum Vortragsabend in Bubenorbis wurden nicht nur in örtlicher Mundart "Knabbersach und Getränke" versprochen, sondern auch ein Referat von "Sebastian M.". Darin sollte thematisiert werden, "welche Gestaltungsmöglichkeiten und Lösungen zum Wohle der Menschen im KRD bereits umgesetzt werden".
Vertreter des Königreiches kandidiert als Bürgermeister
Hinter "Sebastian M." steckt Sebastian Müller aus der Gemeinde Mainhardt, zu der Bubenorbis gehört. Der gelernte Fliesenleger ist einer von aktuell 13 "lizenzierten Vortragsrednern" im KRD. Müller berichtet, ein schwerer Autounfall habe sein Leben verändert. "Viel Zeit, um über das Leben, mein Leben, die vorherrschenden Umstände und auch das wirklich Wichtige im Leben nachzudenken", schreibt Müller über seinen Weg ins KRD auf der Website des Königreiches.
Neben seiner Tätigkeit für das KRD kandidiert Müller derzeit für das Amt des Bürgermeisters in der nahe gelegenen Stadt Neudenau. Die Wahl findet Anfang März statt. Das KRD empfiehlt auf seinem Internetauftritt ausdrücklich, "sich selbst als parteiloser Bürgermeisterkandidat zur Verfügung zu stellen". Weiter: "Hierbei unterstützen wir dich nach Absprache gerne." In der Amtsübernahme sieht der Fantasiestaat den ersten Schritt zur "Selbstverwaltung" einer Gemeinde. Am Ende soll der "Wechsel in die Ordnung des Königreiches Deutschland" stehen.
Der Politikwissenschaftler Jan Rathje forscht im Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in Berlin zu Antisemitismus und Verschwörungsideologien. Seit Jahren beschäftigt er sich mit der Reichsbürgerszene. Der Lebensweg von Sebastian Müller, der vom Unfallopfer zum Königstreuen wurde, überrascht ihn nicht: Menschen, die sich in Krisensituation befinden, seien "anfälliger für Verschwörungserzählungen". Insofern sei es nicht verwunderlich, wenn Menschen nach einem einschneidenden Erlebnis zum KRD gefunden haben.
Die Parallelstrukturen werden größer
Müllers Vortrag in Bubenorbis ist nicht sein erster in der Region gewesen. Nur zwei Wochen zuvor, am 14. Januar, sprach er im Schöpfergarten. Das ist ein recht unscheinbarer Teeladen in der Innenstadt von Heilbronn. Im Schaufenster klebt ein Hinweis, laut dem jeder, der eintritt, vorübergehend "Staatszugehöriger des Gemeinwohlstaates Königreich Deutschland" wird. Den Vortrag besuchten knapp 20 Menschen. Nach einem Aufruf des Netzwerks gegen Rechts Heilbronn protestierten rund 50 Menschen gegen die Veranstaltung. Schon Mitte März soll ein weiterer Vortrag in der Stadt stattfinden.
Müllers Vortrag in Bubenorbis ist nicht sein erster in der Region gewesen. Nur zwei Wochen zuvor, am 14. Januar, sprach er im Schöpfergarten. Das ist ein recht unscheinbarer Teeladen in der Innenstadt von Heilbronn. Im Schaufenster klebt ein Hinweis, laut dem jeder, der eintritt, vorübergehend "Staatszugehöriger des Gemeinwohlstaates Königreich Deutschland" wird. Den Vortrag besuchten knapp 20 Menschen. Nach einem Aufruf des Netzwerks gegen Rechts Heilbronn protestierten rund 50 Menschen gegen die Veranstaltung. Schon Mitte März soll ein weiterer Vortrag in der Stadt stattfinden. Der Schöpfergarten ist indes bloß einer von Dutzenden KRD-Betrieben. Sämtliche Unternehmen seien, so verkündet das Königreich, steuerfrei, denn für sie würden "keine Umsatzsteuern, keine Gewerbesteuern und keine Einkommensteuern erhoben" – was für deutsche Finanzämter selbstredend ohne Belang ist. Das KRD bietet zudem eigene Personalausweise, sogenannte Identitätskarten, an, gibt eine eigene Währung namens E-Mark heraus und betreibt die sogenannte Gemeinwohlkasse. Sie biete die Möglichkeit, Betriebe zu gründen und Projekte zu finanzieren. Laut KRD verfügt die Kasse über 23 "Ein- und Auszahlungsstellen" in der Bundesrepublik. Eine solche Stelle ist in Bubenorbis – vermutlich in jenem Privathaus, in dem der Vortragsabend stattfand. Sowohl das KRD als auch Sebastian Müller ließen Anfragen zum exakten Standort unbeantwortet.
Die Parallelstrukturen wachsen: Das KRD verfügt inzwischen über zwei Schlösser in Sachsen, erworben für mehrere Millionen Euro. Aktuell versucht die Bewegung, 44 Hektar Land in der Stadt Lychen in Brandenburg zu kaufen. Sich selbst preist das KRD dabei als "Zusammenschluss von weltoffenen, zukunftsgewandten, friedliebenden und eigenverantwortlichen Menschen" und biete lediglich eine "friedliche Alternative" zur Bundesrepublik.
Arbeit in der Fläche leisten aber vor allem die Betriebe des Königreiches. Unternehmen wie die Herzgeistheilung und die Praxis für Lösungswege helfen nach eigenen Angaben, ein erfolgreiches, glückliches Leben zu führen. Laut Rathje ist das KRD ein "gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Verschwörungsideologie und Esoterik". Neben der politischen Vision, einen eigenen Staat zu gründen, werde eine "spirituelle Lebenshilfe" geboten.
Andere Betriebe begleiten Menschen im Zweifel von der Wiege bis zur Bahre. In Brandenburg bietet eine "Visionshebamme" ihre Dienste an. Und im baden-württembergischen Lörrach kümmert sich sogar ein Bestattungshaus des KRD um den letzten Weg. Bezahlt wird dort allerdings nicht in der Fantasiewährung, sondern – ganz klassisch – in Euro.