Wenn jemand eine Bank ausraubt, gefasst und verurteilt wird, dann sitzt der länger als jemand, der 20 Banken ausgeraubt hat, seit dem ersten Bankraub bekannt war und nur nicht gefasst werden konnte?
Insgesamt sitzt jemand mit 20 Überfällen länger als mit 1, aber die Haftdauer pro Banküberfall sinkt mit der steigenden Zahl der Taten. Ganz extrem ist es bei Mord. Ob Du einen Menschen ermordest oder 100 spielt keine Rolle, das Urteil ist immer lebenslänglich. Hier gibt es nur die Stellschraube der "besonderen Schwere der Schuld".
Dieses seltsame Verhalten liegt am Asperationsprinzip bei der Gesamtstrafenbildung. In den USA zum Beispiel werden die Straf strikt addiert, wobei es auch dort die Möglichkeit gibt, dass das Gericht feststellen kann, dass die einzelnen Strafen parallel vollstreckt werden (das wäre bei uns vergleichbar mit der Gesamtstrafenbildung bei Tateinheit, da zählt auch nur die höchste Einzelstrafe und der Rest fällt unter den Tisch).
Das Modell in den USA führt dann aber zu so grotesken Urteilen wie dreimal Lebenslänglich plus 70 Jahre. Da ist in Deutschland schon der Art. 1 GG davor. Das BVerfG hat festgelegt, dass ein jeder Straftäter die Aussicht haben muss, wieder aus der Haft entlassen zu werden, sonst wäre das menschenunwürdig.
Das mit dem Strafzweck muss ich vielleicht doch länger ausführen. Die Moderation kann das gerne in den Stammtisch oder ähnliches verschieben.
Die Frage ist immer, was soll die Strafe bezwecken. Der erste Ansatz war hier "Rache". der Täter soll das erleden, was auch sein Opfer erleiden musste. Interessanterweise ist dies nicht die älteste Form der Bestrafung. Bei den Germanen war es üblich, dass Straftaten durch Vermögensbusse geahndet wurden. Das Wergeld wurde zwischen der Familie des Opfers und der Gemeinschaft aufgeteil, weil diese durch den Bruch des Friedens auch betroffen war. Nur für wenige schwere Verbrechen gab es die Todesstrafe.
Als höchtse Strafe galt der Bann, der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Mit diesem Ausschluss war der Strafzweck "Schutz vor dem Täter" erfüllt. Wer nicht mehr da war konnte auch keine weiteren Straftaten gegen die Gemeinde verüben. Hierher stammt übrigens auch der "Werwolf" als aus der Gemeinde ausgeschlossener Mann, der im Wald lebt und sprichwörtlich zum Wolf wird. Immer wenn sich Attila als "Wolf" bezeichnet, muss ich daher lachen.
Das mit der Rache als Strafgrund hat uns erst die Verbreitung des Christentums mit dem "Auge um Auge" aus der Bibel eingebracht.
Mit der Aufklärung kam dann die absolute Straftheorie, Vertreter verschiedener Ausprägungen waren Kant und Hegel. Ich habe unten eine Zusammenstellung von Texten angefügt, wer sich da genauer mit beschäftigen möchte. Kant erkannte, dass "Gleiches mit Gleichem" zu vergelten einem Staat nicht gut zu Gesicht sünde. Die Strafe müsse aber "proportional zum Grad des Unrechts" sein (Tailonprinzip).
Ein Abschied vom Gerechtigkeitsgedanken kam dann durch das Aufkommen des Utilitarismus. Vertreter der Generalprävention war Anselm von Feuerbach. Er erkannte, dass ein "psychologischer Zwang" auf potentielle Straftäter ausgeübt werden müsse, damit sich diese normtreu verhalten.
Schließlich kam Liszt noch auf die Spezialprävention. Danach ist die Strafe so zu wählen, dass der jeweils schon straffällig gewordene Mensch nicht weitere Taten begehen wird. Ein einsichtiger Täter braucht daher gar keine Strafe, kein unbelehrbarer Täter dagegen müsse zum Schutz der Gesellschaft dauerhaft weggesperrt werden.
Die Schwierigkeit war nun, die verschiedenen Straftheorien zu vereinigen. Eine mögliche Sichtweise unserer heutigen Strafrechtsanwendung ist, dass sich der Strafrahmen aus dem generalpräventiven Gedanken (welche Strafe ist mindestens nötig) und der absoluten Straftheorie (welche Strafe ist maximal angemessen) ergibt. Innerhalb des Strafrahmens wird dann nach spezialpräventiven Gesichtspunkten entschieden, welche Strafe für den jeweiligen Täter angemessen ist.
Das Asperationsprinzip ist im Licht der Spezialprävention dadurch zu erklären, dass es bei der strikten Aufaddition irgendwann keine Rolle mehr spielt, wie viele Taten begangen wurden, weil die sinnvolle Höchstdauer einer Freiheitsstrafe eh schon überschritten ist (mehr als lebenslänglich geht nicht), beim Asperationsprinzip kommt für jede Tat noch etwas dazu, auch wenn das Delta mit jeder Tat kleiner wird.