Bei der "Frankfurter Rundschau" versucht man Leserbriefe der "Covidi.oten" und "Nichtdenker" zu beanworten.
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Meinungen
Corona-Debatte: Was Leserinnen an der FR-Berichterstattung kritisieren
Stephan HebelvonStephan Hebel
Unsere Berichterstattung über die Corona-Pandemie und andere Themen gefällt nicht allen. Wir wollen darüber reden: FR-Autor Stephan Hebel antwortet auf Kritik von Leserinnen und Lesern.
Zwei Leserinnen sprechen über die Teilnahme an Corona-Demonstrationen.
Robert Maxeiner kritisiert die Weiter-So-Haltung der Politik.
Udo Schleucher behauptet, es werde in der Frankfurter Rundschau immer mehr Russland-Bashing betrieben.
Gabriele Ermen, Bensheim: „Schnittmengen mit AfD-Wählern“
Ich habe inzwischen durch die Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen sehr viele interessante Menschen mit diversen politischen Anschauungen kennen gelernt.
AfD-Wähler bei Corona-Demonstrationen
Ja, es waren auch AfD-Wähler darunter und sogar welche, die von den Medien als „Reichsbürger“ bezeichnet würden, obwohl sie sich selbst nicht so sehen. Ich wusste zunächst nicht, wie ich damit umgehen sollte, weil ich eine überzeugte Bürgerin unseres Rechtsstaats bin. (…) Und doch habe ich gesehen, dass es Schnittmengen in unserer Auffassung gibt, nämlich bezüglich der Corona-Maßnahmen. (…)
Solange sie mich so respektieren, wie ich bin (mit all meinen Freundschaften zu muslimischen, jüdischen und lesbischschwulen Menschen), respektiere ich sie auch so, wie sie sind, solange sie mich nicht meiner Werte berauben wollen. (…)
Warum ist es ein Unterschied, ob man für Black Lives Matter auf die Straße geht oder für die Wiederherstellung der Grundrechte? Warum wird ersteres wohlwollend kommentiert und letzteres als Gesundheitsgefahr abgestempelt?
Viele Demonstrierende sorgen sich um grundlegende Rechte, wie hier bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Hannover.
Die FR antwortet:
Danke, sehr geehrte Frau Ermen, für den ruhigen und abwägenden Ton Ihrer Mail! Erlauben Sie mir dennoch Widerspruch: Ich respektiere Ihre Toleranz gegenüber Menschen mit anderer Meinung. Aber für mich endet sie bei denjenigen, die, kämen sie je an die Macht, manchen Ihrer und meiner muslimischen, jüdischen oder lesbischschwulen Freundinnen und Freunde das Leben erheblich schwerer machen würden.
Black Lives Matter: Gleiche Rechte für alle Menschen
Das beantwortet auch Ihre Schlussfrage: Natürlich ist es genauso ehrenwert, im Zusammenhang mit Corona für Grundrechte zu demonstrieren, wie im Zusammenhang mit Black Lives Matter. Aber für mich liegt der Unterschied darin, dass es bei Black Lives Matter einen allgemeinen Grundkonsens über gleiche Rechte für alle Menschen gibt, unabhängig vom jeweiligen Anlass. Genau dieser Konsens ist es ja, der bei den Corona-Demonstrationen fehlt.
Petra Bauer, Seligenstadt: „Millionen aus der Mitte“
Seit April habe ich an Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona teilgenommen, darunter auch an den Großdemonstrationen in Berlin. Keines der sogenannten Leitmedien berichtete wahrheitsgemäß über diesen Protest.
In Berlin fanden sich am 1.8. ca. eine Million und am 29.8. ca. 1,5 Millionen Menschen auf der Straße. Diese Menschen können dem offiziellen Narrativ nicht mehr folgen und kritisieren die drastischen Einschränkungen des Grundgesetzes. Zahlreiche Gespräche und Reden bezeugen: die Menschen haben große Angst, dass der Staat komplett in ein totalitäres System abgleitet. Die Teilnehmer der Demonstrationen sind Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte unterschiedlichen Alters, nichts ist absurder, als sie als Rechte oder Nazis zu bezeichnen.
Sollen Hunderttausende auf ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit verzichten, weil einige wenige Rechte da sind? (…) Die Demokratiebewegung im eigenen Land wird diffamiert, gar in die rechte Ecke gestellt, während sie im Ausland, zum Beispiel in Weißrussland, gelobt wird.
Auch wenn das Wort „Gleichschaltung“ Ihnen missfällt – es ist zu offensichtlich, um es nicht so zu nennen.
Die FR antwortet:
Ihren Brief, sehr geehrte Frau Bauer, habe ich auch deshalb ausgewählt, weil er verdeutlicht, wo aus meiner Sicht die Grenzen des Erträglichen liegen, Ich meine den Vorwurf der „Gleichschaltung“ und bitte Sie, auf diesen Begriff künftig zu verzichten. Die heutigen Medien mit der von den Nazis gleichgeschalteten Presse zu vergleichen, ist historisch hanebüchen, verharmlost im Ergebnis die Verbrechen der Nazis, spricht meinen Kolleginnen und Kollegen (auch mir) jedes ehrenwerte Motiv ab und stellt insofern eine unerträgliche Beleidigung dar. Dass ein sachlicher Austausch dadurch fast unmöglich wird, liegt für mich auf der Hand.
Frankfurter Rundschau: Keine unkritische Übernahme von Zahlen der Polizei
Auf eine Ihrer Behauptungen möchte ich dennoch eingehen: Ich kann nicht endgültig sagen, wie viele Menschen im August bei den Demonstrationen waren. Die FR hat nie Zahlen der Polizei unkritisch übernommen, aber auch unabhängige Schätzungen – etwa auf dem Portal „Volksverpetzer“ – kommen zumindest auf wesentlich geringere Werte als Sie. Woher also wissen Sie so genau, dass ausgerechnet die von Ihnen genannten Zahlen „wahrheitsgemäß“ sind? Quellen nennen Sie jedenfalls nicht.
Noch etwas: Es gibt viel zu kritisieren bei uns, das tue ich auch in zahlreichen Kommentaren. Aber der Vergleich mit einem Regime, das Prügeltrupps aussendet und Wahlen fälscht, erscheint mir doch übermäßig gewagt.
Robert Maxeiner, Frankfurt: „Kritischer auf die Folgen schauen“
Die ökonomischen Weichen sind längst wieder gestellt in Richtung auf ein Weiter-So. Klimapolitik ist nach wie vor auf Seiten der Regierung klein geschrieben. Jagoda Marinic fragt in einem Interview (FR 9.9.): „Warum haben wir so lange geschwiegen?“ Nicht nur wir Bürgerinnen und Bürger haben in Zeiten des Lockdown zu oft geschwiegen, auch in der FR hätte ich mir eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Lockdown bezüglich seiner abzusehenden politischen, vor allem wirtschaftlichen und sozialen Folgen gewünscht, damit dieses Weiter-So in Frage gestellt ist und zwar, bevor diese Weichen wieder neu gestellt wurden.
Frankfurter Rundschau: In Corona-Serie vor dem „Weiter so“ gewarnt
Die FR antwortet:
Ich kann Ihnen, sehr geehrter Herr Maxeiner, in einer Hinsicht nur zustimmen: Es sieht in vielen Bereichen von Politik und Wirtschaft ganz nach „Weiter so“ aus. Aber die Kritik an unserer Berichterstattung kann ich in diesem Punkt wirklich nicht teilen. Wir haben seit Anfang April, zunächst in der Serie „Die Welt nach Corona“, immer wieder vor dem „Weiter so“ gewarnt und mögliche Alternativen benannt. Noch früher ging das wirklich nicht.
Petra Hillbrand: „Mehr Druck beim Thema Flucht“
Hin und wieder war ich drauf und dran, der FR die Treue endgültig zu kündigen ... zum Beispiel Thema „Flüchtlinge“ und wie das Problem langfristig gelöst werden soll – Frau Merkel sprach damals von der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ – tut aber nichts dagegen. Auch die EU und von der Leyen sprechen nur über Schleuser und Grenzsicherung ... Warum macht die FR hier keinen Druck und stellt das an den Pranger??
Flüchtlingspolitik ist zentrales Thema in der Frankfurter Rundschau
Die FR antwortet:
Über diese Anmerkungen, sehr geehrte Frau Hillbrand, bin ich ehrlich gesagt erstaunt. Die Flüchtlingspolitik Deutschlands und der Europäischen Union, also vor allem Merkels und von der Leyens, ist nach meiner Wahrnehmung ein zentrales Thema in der Berichterstattung der FR.
Und immer wieder kritisieren wir (zum Beispiel die Kollegin Ursula Rüssmann und auch ich) genau die Punkte, die Sie angesprochen haben. Ich persönlich, wenn ich das ergänzen darf, verzweifle sogar manchmal angesichts der Konsequenz, mit der Angela Merkel als „Flüchtlingskanzlerin“ dargestellt wird. Sollten wir das immer noch nicht deutlich genug gemacht haben?
Matthias Wooge, Neu-Isenburg: „Hauptsache, gegen das ,Establishment“‘
Was die „Rechten“ angeht, die Stephan Hebel in seinem Aufruf richtig und zu Recht ausführlich erwähnt, sind sie natürlich kein Konstrukt von Corona, sondern ein zu beklagendes (und auch zu bekämpfendes) Ergebnis der (Sozial-)Politik der verschiedenen Regierungen und der gesellschaftlichen Entwicklung im Neoliberalismus. So muss es auch nicht verwundern, dass sie sich leider auf alles stürzen, was gegen das „Establishment“ aufbegehrt. (…) Wenn die tausenden friedlichen Demonstranten praktisch in allen öffentlichen Medien als „Cov♥♥♥en, Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme, Antisemiten, Aluhutträger usw.“ verschrien werden, muss man sich über „Querdenken, wir sind weder rechts noch links“ nicht wundern.
Die FR antwortet:
Ich bin, sehr geehrter Herr Wooge, der Letzte, der den Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und dem Erstarken der Rechten bestreiten würde. Auch wenn ich immer davor warne, daraus Kurzschlüsse abzuleiten nach dem Motto „Alle Rechten sind eigentlich arme Opfer“ (was Sie ja auch nicht getan haben). Aber die (angebliche oder wirkliche) Verunglimpfung friedlich Demonstrierender kann doch ein gemeinsames Marschieren mit Rechtsextremen noch lange nicht rechtfertigen!
Peter Leiß, Berlin: „Sich der eigenen Werte bewusst sein“
Stephan Hebels Ausführungen erinnern mich sehr an den Soziologen Max Weber. Dieser hatte in dem sogenannten Werturteilsstreit in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in einem Aufsatz die Auffassung vertreten, die Sozialwissenschaften könnten nicht wertfrei an ihre Untersuchungsgegenstände herangehen. Sie müssten sich jedoch dessen bewusst sein und mit dieser Bewusstheit an das zu Untersuchende herantreten, was Verantwortung und Respekt erfordert.
Debatte über Objektivität in der Frankfurter Rundschau
Die FR antwortet:
Ein herzliches Dankeschön, sehr geehrter Herr Leiß! Max Weber und Sie bringen damit auf den Punkt, was ich seinerzeit mit meinen Ausführungen zu irrigen Vorstellungen von „Objektivität“ meinte. Auch jetzt haben einige Leserinnen und Leser gefordert, wir sollten jenseits der Kommentare „neutral“ Tatsachen wiedergeben. Vielleicht sollten wir in Zukunft noch deutlicher machen, dass diese „Wertneutralität“ die von Max Weber benannten Grenzen hat und aus welcher Perspektive wir jeweils berichten. Dann würde vielleicht auch noch deutlicher, dass dies mit subjektiver Beliebigkeit beim Recherchieren und Berichten nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Udo Schleucher, München: „Immer mehr Russland-Bashing“
Die FR ist in meinen Augen die letzte verbliebene Zeitung, die sich noch als journalistisches Werk bezeichnen darf. Nur hier finde ich noch eine einigermaßen ausgewogene Berichterstattung, die noch auf ein gewisses Maß an Recherche schließen lässt.
Immer mehr Russland-Bashing in der Frankfurter Rundschau
Einziger Kritikpunkt von meiner Seite: Zu Themen internationaler Politik würde ich mir gerne auch noch mehr Sachlichkeit wünschen. Beispielsweise wird auch in der FR leider immer mehr Russland-Bashing betrieben und bezüglich der „bösen“ Staaten von Regime statt Regierung geschrieben und ähnliches Wording betrieben.
Ich will damit nicht ausdrücken, dass hier nicht teils zu Recht Anschuldigungen erhoben werden, allerdings fehlen diese Anschuldigungen durchaus auch den Stellen der „Guten“ – es darf gerne in diesen Zusammenhängen auch immer wieder darauf verwiesen werden, dass beispielsweise zu Katar, Saudi-Arabien etc. nicht in derartigen Worten geschrieben wird, die jedoch keinen Deut besser sind.
Mehrere Leserinnen und Leser stören sich an Russland-Berichterstattung
Die FR antwortet:
Sie sind, sehr geehrter Herr Schleucher, nicht der einzige, der sich an unserer Russland-Berichterstattung stößt. Ich kann darauf nur mit einer Beobachtung antworten. Mir scheint es immer schwieriger zu werden, zweierlei gleichermaßen zu tun: die autoritären, antidemokratischen Aspekte russischer Politik schonungslos zu benennen – und zugleich den Gedanken der Entspannung nicht aufzugeben.
Wladimir Putin befindet sich bereits in seiner vierten Amtszeit als Präsident von Russland.
Mich schmerzt es, immer wieder zu sehen, dass die einen (nicht Sie, Herr Schleucher!) Putin verteidigen, weil sie für Entspannungspolitik sind, und die anderen die Entspannung verwerfen, weil Putin ein Autokrat ist. Für die FR (zum Beispiel die Kollegen Viktor Funk und Andreas Schwarzkopf) kann ich nun wirklich in Anspruch nehmen, dass wir versuchen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.
Und dass wir mit Saudi-Arabien oder Katar milder umspringen würden, das ist – sorry! – schlicht nicht der Fall.