»Vieles von dem, was wir Weltraumschrott nennen, ist nicht von uns«
Eine schwedische Astrophysikerin hat untersucht, wie der erdnahe Weltraum vor Beginn der Satelliten-Ära aussah. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest: Da war etwas. Und von Menschen, ist sie überzeugt, stammt es nicht.
Die Menschheit ist chronisch neugierig, darum schießt sie seit Jahrzehnten Spitzel ins All. Die Nasa-Sonde Voyager 1, gestartet 1977, rast derzeit weit über 25 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt durch den interstellaren Raum jenseits unseres Sonnensystems. Kein menschengemachtes Objekt hat sich je weiter von seinen Schöpfern entfernt.
Weltraummissionen mit Sonden sind offensichtlich viel billiger und praktikabler als solche mit Astronauten. Weil diese Einsicht für außerirdische Raumfahrer gleichermaßen gelten dürfte, sollten Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf Alien-Sonden stoßen als auf Aliens höchstselbst. Bislang jedoch fehlt von solchen fernweltlichen Erkundungsfliegern jede Spur – oder etwa nicht?
Beatriz Villarroel, 41, ist Astrophysikerin an der Universität von Stockholm. Die Schwedin hat Entdeckungen gemacht, die ihr Weltbild ins Wanken brachten. Womöglich, so glaubt sie nun, sind Sonden außerirdischen Ursprungs längst hier. Womöglich, das will die Forscherin jedenfalls keineswegs ausschließen, schwirren sie in diesem Moment in hoher Zahl unbemerkt um den Planeten herum; und wenn das so sein sollte, dann könnten sogar Milliarden von ihnen gerade alle Winkel der Milchstraße auskundschaften.
Menschen im Jahr 2025 könnten solche Exo-Flitzer trotz all ihrer Radar-Anlagen wohl nur schwerlich entdecken, denn rund um die Erde wimmelt es nur so vor Blingbling. Mehr als 12.000 Satelliten und über 140 Millionen Stückchen Weltraumschrott fliegen da mit enormen Tempo umher – die meisten winzig, manche groß wie Busse.
Ihre teils flachen, reflektierenden Oberflächen drehen und bewegen sich in der Schwerelosigkeit und fangen immer wieder Sonnenlicht ein. Dieses spiegeln sie für einen Moment zur Erde, was Forschenden und Interessierten am Fernrohr als kurzer Blitz erscheint. Niemand hier unten würde angesichts des regen Himmelsverkehrs in solchen Blitzen etwas Ungewöhnliches vermuten.
Vielleicht ist das ein Fehler. »Vieles von dem, was wir Weltraumschrott nennen, ist nicht von uns«. Das sagt Villarroel zumindest im Interview mit dem SPIEGEL, auch wenn sie diese Spekulation wissenschaftlich längst nicht belegen kann. Aber die vielfach ausgezeichnete Juniorprofessorin für Physik hat mit Kollegen das Firmament untersucht, wie es unmittelbar vor Beginn der Raumfahrt-Ära aussah – vor dem 4. Oktober 1957, als die Sowjetunion Sputnik ins All verfrachtete, den ersten Satelliten überhaupt.
Vor diesem Schlüsseldatum stammte schier gar nichts im erdnahen Raum von Menschenhand. Er war nahezu im Naturzustand. Nur: Geblitzt und geblinkt hat es da wohl trotzdem schon.
Diese Erkenntnis verdankt Villarroel einer historischen Sammlung, dem Palomar Observatory Sky Survey. US-Forscher hatten den Nachthimmel zwischen 1949 und 1958 von einer kalifornischen Sternwarte aus systematisch abfotografiert, jede Belichtung dauerte bis zu 50 Minuten. Die entstandenen rund 2000 Fotoplatten wurden inzwischen aufwendig digitalisiert, am Rechner lassen sie sich auswerten. Doch was sie offenbaren, ist rätselhaft.
In Aufnahmen der Nacht des 12. April 1950 zum Beispiel ist etwas Seltsames zu sehen: eine Ansammlung von neun scheinbar normalen Sternen zwischen anderen Gestirnen. Aber diese neun fehlen allesamt auf einem Bild, das 30 Minuten zuvor gemacht worden war. Sie fehlen auch auf einem Foto, das sechs Tage später entstand. Und auf allen Folgebeobachtungen der gleichen Himmelsstelle seither.
Die vermeintlichen Sterne, vermutet Villarroel, waren wohl keine. »Wenn Sie anfangen, in den Daten merkwürdige Dinge zu sehen«, sagt sie, »müssen Sie dorthin gehen, wohin die Daten Sie führen«.
Ihr Forschungsteam hatte auf Anhieb etwa 100 solcher »Transienten« gefunden, wie schnell vorübergehende Ereignisse in der Astronomie heißen. Darüber berichteten sie etwa 2021 in der renommierten Fachzeitschrift »Scientific Reports« aus dem »Nature«-Fachverlag. Inzwischen sind in dem historischen Material Hinweise auf Zehntausende Pseudo-Sterne aufgetaucht, die allesamt nur auf einer einzigen Aufnahme zu sehen sind, dann aber nicht mehr.
Was steckt hinter dem Phänomen? Zeigen die Transienten etwa astronomische Ereignisse wie explodierende Sterne in den Tiefen des Alls? Nein. Supernovae sind sehr rar, vor allem aber treten sie wohl kaum gruppenweise gebündelt und gleichzeitig auf. Sind die Phänomene vielleicht gar keine und deuten stattdessen auf Materialfehler oder Verunreinigungen auf den alten Filmplatten hin? Manche vielleicht, räumt Villarroel ein, aber diese sähen doch völlig anders aus. Es sei unwahrscheinlich, dass sie in hoher Zahl dem Aussehen regulärer Sterne glichen.
Villarroel hat die naheliegenden Möglichkeiten allesamt erwogen. Und in Summe hält sie persönlich nur eine potenzielle Erklärung für überzeugend: Ihr zufolge stellen zumindest einige der Transienten kurze Reflexionen von Sonnenlicht dar, das im Weltraum »nicht auf Stein« traf, sondern auf sich schnell bewegende und rotierende Objekte mit glatter, metall- oder spiegelartiger Struktur. Da Menschen solche Gebilde erst seit 1957 ins All beförderten, so schließt die Forscherin, können diese früheren, ihrer Meinung nach künstlichen Objekte nahe der Erde nur nichtmenschlicher Herkunft sein.
Noch stehen sie und ihre Mitstreiter mit dieser kühnen These in der Scientific Community eher allein.
Als die Erscheinungen fotografiert wurden, waren sie nach Villarroels Meinung Hunderte Kilometer hoch über der Erde oder gar noch viel höher in einem geosynchronem Orbit. Woher sie kamen, was sie taten, wie groß sie waren, woraus sie bestanden, all das weiß sie auch nicht; es lässt sich nach über 75 Jahren auch nicht mehr klären.
In diesen Tagen aber hat sie, unterstützt von weiteren Forschenden, gleich zwei Fachveröffentlichungen zum Thema nachgelegt, wieder in »Scientific Reports« und der ebenfalls angesehenen Fachzeitschrift »Publications of the Astronomical Society of the Pacific «.
Beide Publikationen unterziehen alle Beiträge dem »Peer-Review«-Verfahren. Fachkollegen haben die Arbeiten also wissenschaftlich begutachtet und angesichts höchst staunenswerter und reichlich kontroverser Resultate offenbar nicht genug Gegenargumente gefunden, sie als falsch, voreilig oder gar unseriös abzulehnen.
Villarroel berichtet darin unter anderem von einem Ereignis am 19. Juli 1952. Da werden wieder drei sehr helle Sterne nahe beieinander fotografiert – auf einer zweiten Aufnahme wenig später ist das Trio weg. Diesmal geht die Forscherin tiefer ins Detail, was ihre Ergebnisse noch verstörender macht.
Denn der Juli 1952 markiert einen besonderen Moment in der Forschung nach Vorkommnissen mit vermeintlichen Außerirdischen. An genau jenem 19. Juli – Zufall oder nicht – entdeckte ein Fluglotse am Stadtflughafen der US-Hauptstadt Washington gegen 23:30 Uhr auf seinem Radarschirm sieben ungewöhnliche Objekte, die abstruse Flugmanöver ausführten, zu denen herkömmliche Flugzeuge nicht in der Lage waren. Das Radar des Militärs verzeichnete das Phänomen ebenfalls.
Nachdem die Objekte sich dem Kapitol und dem Weißen Haus genähert hatten, stiegen Abfangjäger auf. Kaum hatten diese den Ort der Sichtung erreicht, verschwanden die vermeintlichen Eindringlinge spurlos. Die Kampfflugzeuge drehten ab, doch wenig später tauchten die Objekte über der Stadt wieder auf und blieben dort bis zum Morgengrauen.
Zeitungen berichteten damals atemlos über das Ereignis, heute ist es bekannt unter dem Schlagwort »Invasion of Washington«. Viele Zeugen hatten die Flugobjekte gesehen, niemand konnte sie schlüssig erklären. Eine Woche später, am Samstag, 26. Juli, wiederholte sich das Spektakel. Ein damals hochmodernes strahlgetriebenes Kampfflugzeug von Typ Starfire versuchte, die Objekte zu jagen – doch die waren schneller.
Was genau im Juli 1952 über Washington geschehen ist, gilt bis heute als ungeklärt. Ufologen gehen fest von einer Begegnung mit Außerirdischen aus. Psychologen sehen darin eher den Gipfelpunkt einer Massenhysterie inmitten der Spannungen des Kalten Krieges. Meteorologen machten damals eine spezielle Wetterlage für die Erscheinungen verantwortlich, die nicht real gewesen seien. Die beteiligten Fluglotsen widersprachen dem energisch.
Villarroel spekuliert nun über einen Zusammenhang zwischen dem Ereignis von Washington und dem seltsamen Sternen-Geblinke am gleichen Tag. Nach heutigen Standards würde dies wohl als eine mögliche historische UAP-Sichtung gelten.
UAP steht für »Unidentified Anomalous Phenomena«, unindentifizierte anomale Phänomene in der Luft. Bis vor einigen Jahren lautete der gängige Begriff für diese Art von Beobachtung noch anders, nämlich »Ufo« – unidentifizierte Flugobjekte. Von diesem Wort, das lange ins Lächerliche gezogen wurde und damit diskreditiert worden war, haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inzwischen verabschiedet.
Seit einiger Zeit ist die Beschäftigung mit UAP zu einem legitimen Forschungsfeld geworden, weshalb es mitunter in seriösen Fachzeitschriften abgehandelt wird. Universitäten und Institutionen sind daran beteiligt, selbst die Nasa. Vor dem US-Kongress finden regelmäßig Anhörungen zu diversen UAP-Beobachtungen statt. Viele Amerikaner glauben trotzdem, dass die Regierung mehr über UAP weiß, als sie zugibt.
Das Pentagon hat eine spezielle Behörde eingerichtet, um UAP-Sichtungen zu dokumentieren und zu analysieren. Intern berichten US-Kampfpiloten seit Jahrzehnten über unerklärliche Zwischenfälle mit Flugkörpern ohne sichtbaren Antrieb oder Abgasstrahl, die sich auf eine Art und Weise bewegen, die nach menschlichem Ermessen unmöglich ist. Eine Reihe von eindrücklichen Infrarotvideos (»Tic Tac «, »Gimbal «, »Go Fast «) ist an Bord von US-Kampffliegern entstanden, die im Internet viral gegangen sind. Ihre Authentizität wurde vom US-Verteidigungsministerium ausdrücklich bestätigt.
Unter Fachleuten gilt als unstrittig, dass es am Himmel bisweilen Vorgänge gibt, für die sich keine befriedigenden Erklärungen finden lassen. Rund zwei Prozent aller UAP-Meldungen bleiben trotz intensiver Nachforschungen ungeklärt. Weniger groß ist die Einigkeit darüber, ob diese unerklärten Phänomene einfach auf Datenmangel zurückgehen oder ob sie auf die Aktivitäten Außerirdischer weisen. Manche, wie Beatriz Villarroel, sperren sich nicht gegen diese Möglichkeit. Andere halten das für Kokolores.
Für ihre jüngsten Veröffentlichungen hat Villarroel geprüft, wie oft ein plötzlich verschwundener Stern im alten Fotomaterial zeitlich einher geht mit Berichten über Ufo-Sichtungen am Boden. Ergebnis: Es gibt unbestreitbar einen statistischen Zusammenhang, doch er ist klein.
In einer anderen Frage ist ihr Resultat viel klarer, auch wenn es seinerseits wieder als durch und durch rätselhaft gelten muss. In der Atmosphäre der Erde ging es Anfang der Fünfzigerjahre nicht eben friedlich zu. Zwischen 1951 und dem Sputnik-Start haben die USA, die Sowjetunion und Großbritannien mindestens 124 oberirdische Kernwaffentests unternommen. Villarroel hat untersucht, ob diese Tests Einfluss auf die Zahl der Transienten im alten Fotobestand hatten.
Die Analyse ergab: Jeweils am Tag vor oder nach der Zündung einer Atombombe stieg die Wahrscheinlichkeit der Transienten-Sichtung um 45 Prozent. Blinkende angebliche Sterne fanden sich oft im Material, aber besonders oft ging diesem Ereignis ein Atompilz in der Atmosphäre voraus.
Was das bedeuten soll? Unklar. Hat die Strahlung die Himmelsphänomene verursacht oder ihre Entstehung begünstigt? Haben Außerirdische diese Tests mit ihren Sonden beobachtet? Schwirrten diese sicherheitshalber ab ins All, als der große Knall kam? Fragen über Fragen, auch Villarroel hat dazu keine Antworten. Ufologen allerdings behaupten seit Jahrzehnten, dass es einen Zusammenhang zwischen Atombomben und UAP gebe. Insofern passen ihre Resultate immerhin ins Bild.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/beatriz-villarroel-schwedische-forscherin-glaubt-hinweise-auf-alien-sonden-zu-haben-a-85f277ec-cccc-4cf1-89cd-f71c213758a1