Ok, stammt wie üblich vom Honigmann:
http://derhonigmannsagt.wordpress.com/2010/05/25/juristischer-hintergrund-der-wieder-einfuhrung-der-todesstrafe-durch-den-lissaboner-vertrag/Hallo Herr Schumacher, wieder Stoff für das Buch, da muss wohl langsam ein Kapitel zur EU rein.
Die Logik ist etwa folgende:
Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union (kurz EUV) bezieht in Absatz 1 die Europäische Grundrechte-Charta ein und in Absatz 3 werden die Grundrechte aus der Europäischen Menschrechtskovention (EMRK) zu allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts erklärt. Allerdings verbunden mit dem Zusatz
... und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben ...
Jetzt wird es kompliziert. Die Europäische Grundrechts-Charta verweist in ihrer Präambel wieder auf die EMRK:
Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden.
In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.
Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei. Sie ist bestrebt, eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu fördern und stellt den freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit sicher.
Zu diesem Zweck ist es notwendig, angesichts der Weiterentwicklung der Gesellschaft, des sozialen Fortschritts und der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen den Schutz der Grundrechte zu stärken, indem sie in einer Charta sichtbarer gemacht werden.
Diese Charta bekräftigt unter Achtung der Zuständigkeiten und Aufgaben der Union und des Subsidiaritätsprinzips die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Union und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben. In diesem Zusammenhang erfolgt die Auslegung der Charta durch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden.
Die Ausübung dieser Rechte ist mit Verantwortung und mit Pflichten sowohl gegenüber den Mitmenschen als auch gegenüber der menschlichen Gemeinschaft und den künftigen Generationen verbunden.
Daher erkennt die Union die nachstehend aufgeführten Rechte, Freiheiten und Grundsätze an.
In Artikel 2 besagt sie:
Recht auf Leben
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.
(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.
Somit schließt die Europäische Grundrechte-Charta die Todesstrafe aus.
Die EMRK ist in Artikel 2 nicht so weitreichend:
Artikel 2
Recht auf Leben
(1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.
(2) Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.
Aus Artikel 2 Abs. 2 Nr. 3 der EMRK folgern unsere Deppen nun, dass die EU im Falle eines Aufstandes Menschen töten lassen darf. Warum so umständlich? Laut Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 ist die Todesstrafe nach EMRK erlaubt. Der Umweg über einen künstlich geschaffenen Aufruhr ist also gar nicht notwendig. Schon hier sieht man, dass die ganze Verschwörungstheorie mit Euro-Krise zur Provokation eines Aufstandes, um anschließend die Menschen töten zu dürfen, Unfug ist. Wenn die Mitgliedsstaaten das wollten, so könnten sie einfach entsprechende Gesetze erlassen.
Könnten sie das wirklich?
Wir erinnern uns, Artikel 2 der Europäischen Grundreche-Charta hat die Todesstrafe untersagt. Was gilt jetzt?
Schauen wir in Artikel 52 Absatz 3 der Europäischen Grundrechte-Charta:
Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
Satz 1 regelt den Fall, dass EMRK und Europäische Grundrechte-Charta gleichlautende Vorschriften enthalten. In diesem Fall sind die Regelungen der EMRK direkt anzuwenden. Satz 2 regelt den Fall, dass die Europäische Grundrechte-Charta weitergehende Einschränkungen trifft als die EMRK.
Das ist hier der Fall. Die EMRK gewährt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit der Todesstrafe, die Europäische Grundrechte-Charta schließt dies aber aus. Somit schränkt die Gundrechte-Charta hier die Freiheiten
des Staates weiter ein als die EMRK und führt im Umkehrschluß zu einem
weiter gehenden Schutz der Bürger im Vergleich zur EMRK. Eine Todesstrafe ist in der EU daher nicht statthaft.
Wer ist jetzt gebunden durch die Europäische Grundrechte-Charta? Dies regelt Artikel 52 Absatz 5
Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.
Anwendung finden die Regelungen der Grundrechte-Charta also nur für die Rechtsetzung der Union und für die Ausführung des
Unionsrechtes durch die Staaten. Gehört die Bekämpfung von Aufständen zum Kompetenzbereich der Union? Antwort hierauf findet sich in den Artikel 67 bis 89 des verrages über die Arbeitsweisen der EU (AEUV). Diese Artikel bilden den Titel V, der mit "Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" überschrieben ist.
Fündig werden wir in Artikel 72 AEUV
Artikel 72
(ex-Artikel 64 Absatz 1 EGV und ex-Artikel 33 EUV)
Dieser Titel berührt nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.
Die übrigen Artikel des Titel V regeln das Asylverfahren, die kontrollfreien Binnengrenzen, die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen, die
Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Strafverfolgeungsbehörden und der Justitz der Mitgliedsländer sowie die Kompetenz der EU für Mindesanforderungen an Strafverfahren und Vorgaben für Mindeststandards bei der Verfolgung von Schwerstkriminalität und Terrorismus.
Eine Kompetenz für die EU ergibt sich hier nicht.
Bleibt noch die EMRK, aus der die Mitgliedsstaaten der EU als gleichzeitige Vertragspartner der EMRK direkt verpflichtet sind. Es ergibt sich aber aus der EMRK allenfalls ein Recht der Unterzeichnerstaaten zu Todesstrafe oder Tötung zur Niederschlagung von Aufständen, aber keine Verpflichtung.
Fazit: Solange kein Mitgliedsstaat in der naionalen Gesetzgebung entsprechende Regelungen getroffen hat ergibt sich auch aus dem Vertrag von Lissabon keine Möglichkeit der EU im Falle eines Aufstandes Bürger in den Mitgliedsländern durch das Militär töten zu lassen.