Fitz, komm raus, du bist umzingelt
Die Kabarettistin und die Extremisten
Fitz, komm raus, du bist umzingelt
Sie ließ sich als Kämpferin gegen Konventionen feiern – dann hat sie sich wegen Corona-Äußerungen mit dem SWR überworfen. Beifall bekommt Lisa Fitz dafür von den ganz Rechten, den ganz Linken und den ganz Verwirrten.
(Tina Angerer, DER SPIEGEL 9/2022)
Es muss ein gutes Gefühl sein, die einzige Leuchte zu sein in finsterer Zeit. »Wenn Satire wieder frei ist und darf, was Satire darf, nämlich alles, dann werden Sie die erste sein, die man wieder engagieren wollen wird«, schreibt jemand auf der Facebook-Seite von Lisa Fitz, und der gefällt diese Prognose. Sie versieht den Eintrag mit dem Daumensymbol, einem Like. Ihre Kolleginnen und Kollegen, die anderen Kabarettisten? »Bücklinge des Systems« oder »Prostituierte«, schreiben ihre Fans. Findet auch Fitz: Daumen hoch.
Nach ihrem Abgang beim SWR wegen irreführender Äußerungen zu Corona-Impftoten wird Fitz von ihrer Internetgemeinde gefeiert als mutige Verkünderin der Wahrheit. Bejubelt wird die 70-Jährige auch in den sogenannten alternativen Medien, im rechten Verschwörungsmagazin »Compact«, im Kremlsender RT DE oder vom professionellen Corona-Umdeuter Boris Reitschuster. Die »taz« hingegen titelte: »Schwurbelei in der ARD«, »Focus« bezichtigte sie der »Impf-Lügen«. Fitz selbst sieht sich als Opfer einer »Inquisition«, meint, dass die Presse sie »vernichten« wolle. Die Frau, die seit mehr als 40 Jahren auf Deutschlands Kabarettbühnen und im Satirefernsehen präsent ist, die einst beim »Scheibenwischer« auftrat und den Bayerischen Verdienstorden hat, ist zur Symbolfigur geworden für die derzeit so viel diskutierte Spaltung der Gesellschaft. Und sie spaltet selbst: Sie will differenzierte Kritikerin sein und bedient doch immer wieder ganz simpel die Radikalisierten.
Im Januar war es zwischen der Kabarettistin und dem SWR zum Eklat gekommen und zu einem singulären Ereignis im deutschen Satirefernsehen: Der Sender winkte einen Beitrag von Fitz für die Sendung »Spätschicht« vom 10. Dezember erst durch, bei der Aufzeichnung distanzierte sich Gastgeber Florian Schroeder dann aber von der Meinung der Satirikerin. Nach der Ausstrahlung verteidigte der Sender den Beitrag zunächst als Meinungsäußerung, rückte später aber doch ab, weil es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung gehandelt habe, und nahm den Beitrag schließlich aus der Mediathek. Daraufhin sprach Fitz von Vertrauensbruch und warf bei der »Spätschicht« hin, wo sie viele Jahre regelmäßig Stammgast gewesen war.
Streitpunkt war vor allem eine Zahl. Fitz hatte behauptet, das Europäische Parlament beantrage einen Entschädigungsfonds für Opfer von Corona-Impfungen: »Für 5000 Menschen leider zu spät. Da waren die Folgen durch die Covid-19-Impfstoffe tödlich.« Beides stimmt nicht, war schon Wochen vorher in einschlägigen Foren behauptet und von anderen Medien widerlegt worden.
Immer wieder relativierte Fitz – und legte gleichzeitig nach. »Ich bin keine Impfgegnerin und keine Coronaleugnerin«, bekräftigt sie, die nach eigenen Angaben selbst geimpft ist. Sie räumt einen »Fehler« ein, den sie im nächsten Statement zum »Formfehler« verkleinert. Zugleich argumentiert sie arg schräg, dass ihre Zahl nicht »nachweislich falsch« sei, weil ja niemand die genaue Zahl kenne. Und sie bekräftigt seitdem immer wieder auf Facebook, dass die Zahl der Impftoten »ziemlich sicher weit höher« sei.
Lisa Fitz ist eine freundliche Frau. Sie spricht ruhig, lässt andere ausreden. In einem ausführlichen Telefonat mit dem SPIEGEL nimmt sie Stellung zu Kritik. Sie wolle Mahnende sein, unabhängiger Freigeist, ohne Lagerdenken, bereit zum Diskurs, sagt sie. Doch dann will sie nur zitiert werden, wenn sie den gesamten Text vorher absegnen darf. Schließlich zieht Fitz alle Zitate zurück. Sie habe Hinweise darauf, jemand aus der Chefetage des SWR habe in der Chefetage des SPIEGEL einen kritischen Text über sie bestellt. Lisa Fitz wähnt sich als Opfer einer Verschwörung.
Für den Münchner Kabarettisten Michael Altinger, der ebenfalls bei der umstrittenen »Spätschicht«-Sendung aufgetreten war, war das mediale Echo nach der Ausstrahlung keine Überraschung: »Mich wundert, dass sie sich wundert. Es ist klar, auf welche Mühlen Lisa Fitz da Wasser gegossen hat. Ihr Beitrag hätte wohl auf einer ›Querdenker‹-Demo großen Beifall gefunden.« Altinger sieht in dem Beitrag eine »politische Wutrede« mit eindeutiger Botschaft: »Die Grundaussage war für mich: Die Politiker sind korrupt, der Wissenschaft kann man nicht glauben, und ob Impfen gut ist, steht doch sehr in den Wolken. Das ist ihre Meinung, die darf man bei uns haben, auch im SWR. Aber man sollte nicht überrascht oder gar beleidigt sein, wenn die Reaktion entsprechend groß ist.«
Kritik ist Lisa Fitz seit Jahrzehnten gewohnt. Sie hat immer provoziert und den Gegenwind ausgehalten – und auch genossen. Sie entstammt einer bayerischen Künstlerfamilie, aus der Kabarettisten, Musiker und Schauspieler hervorgegangen sind. Ihr Vater Walter Fitz war Strauß-Double am Nockherberg, jener Veranstaltung, bei der sich Bayerns Politiker in starkbierseliger Atmosphäre vorführen lassen und dann gemeinsam mit ihren Karikaturisten noch eine Maß Bier auf die Gemütlichkeit heben. Walter Fitz förderte die erste Karriere seiner Tochter, die im Dirndl stattfand, als Sängerin und Moderatorin der »Bayerischen Hitparade«. Der Ausbruch aus dem Image der zünftigen Lisa kam in den Achtzigern. Als sie den Rockmusiker Ali Khan, Sohn eines Iraners, heiratete, kam sie erstmals mit rassistischen Ressentiments in Berührung. Sie produzierte mit ihm 1982 den Song: »Mein Mann ist Perser, ein ganz perverser«. Sie dichtete: »Kümmeltürke, Knoblauchfresser, in der Tasche ein offenes Messer, dauernd geil auf deutsche Weiber, wie alle die Kameletreiber, dreckert san’s und faul, kein Hirn und großes Maul«.
Spätestens seitdem gehört die Empörung zu den Standardreaktionen auf Lisa Fitz. Ihre Bühnenprogramme hießen »Die heilige Hur«, »Ladyboss«, »Heil« oder »Kruzifix. Über die »Die heilige Hur« von 1983 empörten sich Christinnen, allein schon wegen des Titels. Lisa Fitz kämpfte gegen stereotype Geschlechterrollen, für sexuelle Selbstbestimmung. Sie wollte beides verkörpern, Heilige und Hur, Hirn und Sex. Sie rief auf der Bühne zur Vielmännerei auf, gab die Domina im Lederkorsett. Gegen Prüderie und Obrigkeit, für Freiheit und Gleichheit. 1996 war sie in der üppigen Rockrevue »Kruzifix« die wütende Mutter Gottes im goldenen Kleid, die zum Streit um Kruzifixe an bayerischen Schulen sagte: »Wenn ich abgetrieben hätte, hätten die gar nichts zum Abhängen.« Auch hier: Empörung von Katholiken, Anzeigen wegen Blasphemie. Gegenwind, den sie als Aufwind nahm. Fitz genoss die Rolle der Tabubrecherin. Dieter Hildebrandt förderte sie. Gleichzeitig wollte sie immer anders sein als das kopfgesteuerte Männerkabarett. »Das traditionelle Zeigefinger-Kabarett gefällt mir nicht«, sagte sie 1994 im Gespräch mit dem SPIEGEL. »Das ist doch meistens nur selbstverliebte Verbal-Akrobatik.«
Fitz lebte, was sie auf der Bühne verkörperte, war der Liebling des Boulevards. In den Achtzigern erzählte sie in einer Frauenzeitschrift, dass sie neben ihrem Ehemann zeitweise zwei weitere Liebhaber gehabt habe. Mit Mitte vierzig ließ sie sich mit ihrem 24-jährigen kubanischen Freund im Pool ablichten, nur die Hände des Lovers bedeckten ihre Brüste. Mit dieser Homestory landete sie auf der Titelseite der »Bild«. 2004 ging sie ins erste deutsche RTL-Dschungelcamp. Abqualifiziert von den Feuilletons saß Fitz noch ahnungslos mit Küblböck und Kakerlaken in Australien, als der Saarländische Rundfunk sie aus ihrer eigenen Sendung »fitz and friends« warf.
Fitz prangerte den Rauswurf öffentlich an, beauftragte auf eigene Kosten eine Umfrage zu ihrer Beliebtheit bei der jungen Zielgruppe und bekam die Hauptrolle in der RTL-Serie »Die Gerichtsmedizinerin.« Die Versöhnung mit dem Saarländischen Rundfunk erfolgte ein paar Jahre später. In ihrer Autobiografie, die zu ihrem 60. Geburtstag erschien, erzählt sie süffisant, wie sie als junge Sängerin Franz Josef Strauß zum Essen traf und er sie danach in einer offenbar eigens für solche Zwecke angemieteten Münchner Wohnung unzweideutig angemacht habe, dabei »dampfte wie ein Stier bei der Brunft«. Doch sie war enttäuscht, dass die Medien heiß waren auf den geilen Strauß und sich zu wenig mit den tieferen Erkenntnissen in ihrem 400-Seiten-Werk befassten.
Seit 2007 wandte sich Fitz mehr und mehr vom feministisch gesellschaftspolitischen Kabarett ab. Frauenthemen und die Provokationen als sexy Kraftweib hatten sich für sie totgelaufen. Schon immer an der Friedensbewegung interessiert, ging es ihr jetzt um die ganze Welt. Sie beschäftigte sich mit Krieg und Öl, mit Rüstung und Korruption, mit der Macht des Geldes. Und immer öfter auch mit den Dingen, die im Hintergrund und ganz weit oben ablaufen oder abzulaufen scheinen. Mit den angeblichen Geheimnissen, von denen wir nichts wissen sollen oder wollen oder beides. Dazu gehört der Topos vom Normalo, der zu faul und zu dumm ist, um die Wahrheit zu erkennen. Und das Selbstverständnis, selbst mehr recherchiert, mehr gelesen und mehr verstanden zu haben.
Ein Wendepunkt war das Jahr 2016. Ein Auftritt in der SWR-»Spätschicht« brachte Fitz über YouTube ganz neue Zielgruppen. Sie schmeißt ihre bunte Hippiehose in die Ecke, nennt die Nato »Kartenhaus des Satans«. Die Deutschen seien in »Sippenhaft der Nato-Mafia«. Das war der Weckruf für den esoterischen Verschwörungstheoretiker Heiko Schrang, der sie begeistert zum Interview in seinen Kanal bat. Im selben Jahr gab sie auch zum ersten Mal dem russischen Sender RT ein Interview. Schon damals, Jahre vor Corona, präsentierte Fitz all das, was sie auch heute sagt: Die Politik sei »kriminell und verlogen«, die Kabarettkollegen »systemimmanente Hofnarren«, die sich nur aus der »Weglassungspresse« informierten.
In den Olymp der Verschwörungstheoretiker gelangte Fitz dann 2018 mit ihrem Song »Ich sehe was«, publiziert im Kanal von Heiko Schrang, hochgejazzt mit dem Zusatz »Lisa Fitz’ brisanter Song zensurgefährdet?«. Sie wolle, betonte sie seitdem immer wieder, Kapitalismuskritik üben, die Macht der Superreichen anprangern. Sie textete: »Rothschild, Rockefeller, Soros und Konsorten … die auf dem ♥♥♥berg des Teufels Dollars horten.« Und: »Die Puppenspieler sitzen ganz woanders / Ein illustrer Kreis, oh ja, der kann das«.
Den Vorwurf des Antisemitismus wies sie immer zurück. Worauf sie mit den Zeilen anspielte, will sie nicht gewusst haben. Man könne ihr allenfalls Unbedachtheit vorwerfen. Wirklich distanziert hat sich Fitz von dem Song aber nie. Er brachte Fitz Beifall von den ganz Rechten, den ganz Linken und den ganz Verwirrten.
Im Netz ist sie spätestens seitdem auch im Umkreis derer unterwegs, die Stalin für einen großen Staatsmann halten, die die angeblich geplante »Umvolkung« fürchten oder den Klimawandel leugnen. Sich selbst spricht Fitz mit dem Satz »Ich bin nicht rechts, ich bin nicht links, ich bin sauer« von der Verantwortung für die Wirkung ihres Werks frei. Über eine Million Klicks hatte das Video »Ich sehe was« auf YouTube, und Fitz verweist in ihrer E-Mail-Signatur auf ihren »Kultsong«.
Begleitet wird Fitz’ Schaffen von der Erzählung, dass man das, was sie sage, ja nicht mehr sagen dürfe. Mit dem Titel »Flüsterwitz« zog sie in ihrem Bühnenprogramm 2018 schon die Parallele zu totalitären Staaten, bei ihren Followern ist die Behauptung, man wolle sie mundtot machen, Standard. Stattdessen aber hat Fitz 2019 den Bayerischen Verdienstorden von Markus Söder überreicht bekommen. »Der Prophet gilt doch was im eigenen Land«, postete Fitz damals.
Zu ihrem 70. Geburtstag im vergangenen Jahr brachte der Bayerische Rundfunk eine Sondersendung. Parallel beklagte Fitz im Internet, der Umgang mit kritischen Menschen erinnere sie »schon sehr stark an die DDR«.
Corona verstärkte da nur ihren allgemeinen Verdacht. In einem SWR-»Spätschicht«-Beitrag vom Dezember 2020 beschreibt sie eine vielfach in den Medien besprochene Konferenz. Im Oktober 2019 – also kurz vor Ausbruch der Pandemie – hatten die Bill & Melinda Gates Stiftung, das Weltwirtschaftsforum und das Johns Hopkins Center for Health Security zu Übungszwecken ein Pandemieszenario simuliert. Lisa Fitz kommentiert: »Ich weiß jetzt auch, warum Bill Gates so reich ist: weil er Hellseher ist.« Damit holt sie all jene ab, die von der »Plandemie« sprechen, die glauben, Bill Gates wolle mit der von ihm selbst am Reißbrett erschaffenen Pandemie die Weltherrschaft übernehmen.
Bereits vor Beginn der Pandemie waren Verschwörungstheorien ihr Kernthema. »Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin«, sagt sie. Mit diesem »Kampfbegriff« mache man »kritische Leute sofort mundtot«. Auf Facebook hört sich das freilich anders an. »Das meiste stellt sich später als richtig heraus«, schreibt sie schon 2019.
In der Kabarettszene ist die Abdrift der Lisa Fitz derzeit großes Thema. Viele haben Respekt vor der Lebensleistung dieser Frau, zugleich herrscht großes Kopfschütteln über ihre Radikalisierung. »Selbstüberschätzung« hört man da, »irgendwann falsch abgebogen« oder: »Sie will Klicks, egal von wem«.
Der Widerspruch, dass Lisa Fitz all die umstrittenen Beiträge über Jahre im öffentlich-rechtlichen SWR bringen durfte, obwohl man sie ja angeblich mundtot machen wollte, hat Fitz’ Internetgemeinde zwar nicht gestört. Aber jetzt ist das Weltbild komplett: Mit ihrem Weggang vom SWR hat die Prophetin die finstere Ahnung ihres Publikums selbst erfüllt.