Um 18:30 Uhr wollte sich der ehemalige Leerkörper mit seinen Getreuen am U-Bahnhof Turmstraße treffen. 15 Minuten vor dem Termin war von dem Kandidaten noch nichts zu sehen, dafür drehte die Polizei ihre Runden. Ihr besonderes Augenmerkt fiel auf drei kurz geschorene Herren und einen vierten mit Kampfhund an der Leine sowie einen Gelbwestenträger ohne Fahrrad. Nach Personalienkontrolle durften sich die "Herrenmeschen" aber trollen. Etwa 5 Minuten nach Termin hasteten die Wortmarkenbediensteten zu ihren Fahrzeugen und fuhren in Richtung Kirche, wo die Wahl zur Stadtteilversammlung demnächst erfolgen sollte.
Für die sich immer zahlreicher im Park sammelnden Antifaschist*innen interessierte sich die Polizei dagegen nicht. Ich entnahm diesem Manöver, dass mit dem Auftauchen des YouTube-Stars an der U-Bahn nicht mehr zu rechnen sei und begab mich daher auch zur Kirche.
Dort fand ich folgendes Bild vor:
Die Tür war halb geschlossen, auf der obersten Stufe standen etwa 5 Menschen. Eine Stufe tiefer stand Nikki, umringt von den drei kurzgeschorenen und weiteren völkisch aussehenden Burschen. Etwa 10 an der Zahl. Dann folgte ein Ring Polizei, dicht bedrängt von verschiedenen mit Selfie-Sticks und Kameras befaffneten (anzunehmen) Personen, die das ganze Szenario für die Nachwelt festhalten wollte. Offensichtlich blockierten die Menschen auf der obersten Stufe den EIngang und wollten verhindern, dass der Möchtegern-Arier das Gebäude betritt. Von drinnen versuchte der Pfarrer mit den Blockierern eine Lösung auszuhandeln. Nikki diskutierte derweil lautstark gestikulierend mit der Rädelsführerin der Blockierer und fuchtelte dabei auch mit seinem Stickeralbum rum.
Die Blockierer aber blieben dabei, dass sie den Nazi nicht in der Kirche haben wollen. Nikki und seine ENtourage fordern von der Polizei die Räumung, aber die fühlen sich nicht zuständig, das sei Sache des Pfarrers. Der handelt schließlich den Kompromiss aus, dass Nikki rein darf und sogar reden, die anderen könnten ja so viel Lärm machen, dass er eh nicht zu Wort kommmt.
Derweil beharken sich die Selfie-Stick Armeen beiden Seiten und bezichtigen sich gegenseitig der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Jede Seite will zwar selber filmen (auch gerne die Gegner), aber selbst nicht gefilmt werden. Beide Seiten krähen nach der Polizei, die das nur mit einem genervten gesichtsausdruck kommentiert und schließlich alle Filmschaffenden ohne Presseausweis zum Gehen auffordert. Per Aushang ist eh kund getan, dass in der Kirche Bild- und Tonaufnahmen nicht gestattet sind.
Volxnikki dreht sich derweil in Siegerpose seinem Publikum zu, reckt beide Arme hoch und verkündet, dass er jetzt die Kirche betreten darf. Das anschließende Blitzlichgewitter genießt er, das ihm aus 200 Kehlen entgegenschallende "Nazi verpiss Dich" dagegen goutiert er weniger. Als ihm gar von genauso viel Händen gestreckte Mittelfinger entgegen gestreckt werden, fühlt er sich gleich beleidigt und will alle anzeigen. Als die Polizei nicht reagiert, betritt er diie Kirche.
Als nächstes möchte ein bulliger Kerl aus Nikkis Gefolge rein. Der Pfarrer verkündet aber, dass wegen des großen Andrangs nur Wahlberechtigte Zugang hätten. Er möchte daher den Ausweis des Bulligen sehen, damit er sich überzeugen könne, dass der in Moabit wohne. Bully will aber seinen Ausweis nicht zeigen, der Pfarrer läßt ihn dann nicht rein, die Polizei fühlt sich wieder nicht zuständig und so muss Nikkis Gefolgschaft die Treppenstuufen räumen und unser Volxheld ist fortahn ohne Bodyguards und Steigbügelhalter unter den bösen Linken.
Gemächlich kontrolliert der Pastor nun einen nach dem anderen. Eine Dame von "Moabit hilft" bietet jedem der rein will an zu bestätigen, dass die Person bei Moabit hilft tätig ist. Wahlberechtigt sind nämlich nicht nur Einwohner von Moabit sondern auch Menschen, die in Moabit arbeiten oder sich ehrenamtlich engagieren. Den Nazis gefällt das gar nicht.
Eine andere Unterstützergruppe von Nikolai steht etwas weiter weg. Die Gelbweste von vorhin steht mit einer weiteren Gelbweste und einem Teilnehmer von Bärgida da und hält ein Schild hoch:
Moabiter!
Eure Stimme für unseren Volkslehrer. Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG)
Wohlan!
Gekontert wird mit einem Schild:
Nikolai Nerling - Neo-Nazi - Volksverhetzer
Die Kahlgeschorenen echauvieren sich derweil darüber, dass die Polizei dem Pfarrer geraten hast, sie nicht reinzulassen, weil sie polizeibekannte und gewaltbereite Rechtsextremisten wären. Die Polizei schließt derweil die Türen der Kirche, weil diese jetzt voll ist. Vor der Tür noch etwa 200 Menschen, die auch rein wollen. Es beginnen Sprechchöre "Wir wollen wählen."
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Menschen die vor einer Kirche ihr Wahlrecht einfordern, habe ich zuletzt 89 in der DDR gesehen. Hier und heute in Moabit kann man sehen, was eine wehrhafte Demokratie ist.
Nach etwa 30 Minuten wird dann in der Kirche beschlossen, die ganze Nummer abzubrechen und die Wahl zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort durchzuführen. Nach und nach verlassen Menschen die Kirche. Aber wo ist Nikki?
Die Polizei hat jetzt ein Problem. Irgendwie muss sie den gescheiterten Volkshelden heil durch seine "Fans" bringen. Versuche, ihn unauffällig aus dem Hinterausgang zu bugsieren scheitern an der aufmerksamen Antifa. Schließlich pfercht die Polizei Nikki in ein Taxi und weg ist er. Ein wenig rümlicher Abgang.
Die versprengte Schar seiner Anhänger vor der Kirche hat davon nix mitbekommen. Auch unsere nett gemeinten Hinweise, dass ihr Idol bereits weg sei, verhallen ungehört. Mal gucken, ob die da morgen noch immer stehen.
Soweit also mein Bericht vom Erdrutsch-Wahlsieg des Volxtribun (ach nee, das ist ja ein anderer).
Edith merkt noch an: Von einem Menschen, der es in die Kirche geschafft hat, war zu erfahren, dass Nikki drinnen keinen Mucks von sich gegeben hat. Ohne Claqueure ist er wohl schüchtern.