Wenn ich einige Beiträge lese, wird mir übel. Man muss sicher nicht alles überr Luther wissen, Aber wer nichts weiß, sollte sich mit Urteilen doch zurückhalten. Aber es ist so, dass Martin Luther ein so gewaltiger und vielschichtiger Mann war, dass er auch heute eine gute Projektionsfläche darstellt - wie hier in einigen Beiträgen gut zu lesen.
Es führt zu nichts, wenn man die Facette von Luther heraussucht, die einem in den Kram passt. Sicher sind die späten Hetzreden gegen Juden jüdischen Glaubens übel. Aber man sollte schon wissen, dass er noch übler beispielsweise gegen den Papst hetzte. Er hetzte übrigens nicht gegen die Juden, sondern den jüdischen Glauben. Das war in seinen letzten Lebensjahren, als er erkennen musste, dass er Juden im wesentlichen nicht zum reformierten Glauben ziehen konnte.
Auch wenn er letztlich sicherlich nicht Antisemit, sondern Antijudaist war, ist das in meinen Augen zu schön gefärbt. Der Mann war nicht zwangsläufig darauf versessen Juden physisch zu vernichten, er sah in Gewaltanwendung in diese Richtung aber auch kein entscheidendes Problem.
Sicher ätzte er am übelsten und am heftigsten "ärger als der Türk' " gegen Rom. Andererseits, nach anlage heutiger Maßstäbe hetzte er gegen das Judentum aus völlig nichtigem Anlass, das Papstum hingehen hatte mit seinem Politikstil ja immerhin so etwas wie eine gewisse Berechtigung für Angriffe geschaffen.
Das ohne Luther es keinen Nationalsozialismus gegeben hätte, ist nun der größte Schwachsinn überhaupt. Zwar haben die Luther als eine Begründung herangezogen - aber hätten das auch ohne Luther getan. In Grunde verharmlost diese Behauptung den Nationalsozialismus.
Ohne Luther hätte es keinen Hitler gegeben. Jedenfalls nicht in der Form, wie er dann historisch auftrat, denn ohne die Reformation genau zu diesem Zeitpunkt und an diesem Platz hätte sich Europa politisch vollkommen anders entwickelt, einen Dreißigjährigen Krieg hätte es möglicherweise nicht gegeben (wurde zwar nicht direkt durch die Glaubensspaltung ausgelöst aber sie hat doch auch im Zug der damit verbundenen Säkularisierungen von Kirchenbesitz und der sich verschärfenden Konflikte in den Niederlanden ganz massiv zu dieser Entwicklung beigetragen), welche Konsequenzen das für Europa gehabt hätte, wäre nicht abzusehen gewesen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, das jedes Individuum Produkt der historischen Umstände seiner Region ist, kann man denke ich guten Gewissens sagen, dass es ohne Luther keinen Hitler in persona gegeben hätte.
VVon Luther eine ideologische Linie zu Hitler ziehen zu wollen ist hingegen großer Schwachsinn, die beiden Herren dachten sehr deutlich in höchst unterschiedlichen Kategorien.
Luther besondere Frauenfeindlichkeit zu unterstellen geht genau so fehl. Das Gegenteil ist (in seiner Zeit, man kann ihn nur in seiner Zeit verstehen) der Fall. Die Reformatoren setzten sich besonders für Schulbildung bei Knaben UND Mädchen ein. Und Luther setzte seine Frau als Erbin ein, was unüblich war. Und prompt nicht vollzogen wurde.
Die Frage ist da inner, was wir bewerten? Bewerten wir eine historische Figur nach den Maßstäben ihrer zeit oder bewerten wir eine historische Figur als Vorbild für die heutige Zeit, in gewissen Dingen?
Aus meiner Sicht, sind beide Möglichkeiten in diesem Fall berechtigt, zwar stellt er eine historische Figur da, andererseits beruft sich die lutherische Kirche ja heute noch auf sein Wort (wenn auch nur noch da, wo es gerade in den Kram passt) so dass auch diese Sicht, zumindest mir angemessen erscheint.
Wenn man ihn ausschließlich nach den Maßstäben seiner Zeit beurteilt, hat er sich da keiner besonderen Feindlichkeit schuldig gemacht. Wenn man ihn, als Geleonsfigur der lutherischen Kirche betrachtet, die noch heute auf das Wort des Reformators verweist, kann man das nur als finsterste Reaktion bezeichnen, wobei man dann beachten sollte, dass der Herr selbst den geringeren Teil zu dieser Bewertung beiträgt, den größeren tragen diejenigen dazu bei, die dieses Wort heute führen.
Die Vielschichtigkeit wird auch deutlich, wenn man sich "An den christlichen Adel deutscher Nation" durchliest, kostenfrei zum Beispiel beim Gutenberg-Archiv.
Sein neues Verständnis des Verhältnisses eines Christen zu Gott (man lese; "Von der Freiheit eines Christenmenschen") führt zur Erkenntnis, dass der Mensch auch schon im Diesseits glücklich sein darf, ein damals völlig neuer Gedanke. Er führt zur Trennung von Staat und Kirche, zur Entwicklung des christlichen Arbeitsethos, zum Humanismus und auf diesem Wege zur Demokratie.
Also wenn wir bei Verdrehungen sind, Luther als den Ursprung der laizistischen Ordnung und des Humanismus zu betrachten, halte ich für vollkommen daneben. Die Reformation hat Grundlagen geschaffen, aus denen sich das entwickeln konnte, ja, aber beides im modernen Verständnis entsprach sicherlich nicht der Intention Luthers. An der Stelle machst du das, was du oben anderen Ankreidest, die Luther mit Hitler vergleichen.
Dieser wortgewaltige Mann, der schwer verletzten konnte, ist der wichtigste Deutsche der Geschichte. Es mag sein, dass er aus heutiger Sicht Fehler machte. Aber die heutige Sicht ist nicht anzulegen.
Im Übrigen wurde 500 Jahre Reformation gefeiert, nicht 500 Jahre Luther.
Die Frage ist, ist es sinnvoll jemanden als "den wichtigsten wasuachimer" auf einen Sockel zu stellen? Ich denke, da blendet man doch zu viel aus, z.b. das in diesem Falle sämtliche Gestalten, die sein Wirken erst ermöglichten nicht minder bedeutsam wären. Was z.b. wäre Luther ohne die vorherige Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern gewesen?
Das ist herrlich eindimensional.
@SandmännchenIch glaube du vekennst da etwas meine Intention, ich sehe das durchaus nicht schwarz/weiß.
Was die Zeitgemäßen Probleme angeht, es ist richtig, Institutionen die Halt bieten und Anworten sind heute im Allgemeinen rar gesäht.
Die Anforderung an die Moderne Zeit, die ich sehe ist auch nicht diese Institution durch eine andere zu ersetzen, sondern darin zu lernen ohne auszukommen und sich seinen eigenen Weg zu suchen, weil mMn kein Dogma, an das man sich klammern könnte die beschleunigten Umwälzungen dauerhaft zu überstehen im Stande ist ohne inhaltlich hohl zu werden.
Natürlich hat das Christentum Europa und seine Entwicklung maßgeblich beeinflusst, dass kann man ja selbst an den völlig unterschiedlichen Entwicklungen an den innerchristlichen Konfessionsgrenzen sehen, aber genau das ist eben auch am Ende das Relikt der Religion, nicht die Religion selbst, sondern man hat das aus der Religion, was sich für modernere Zeiten noch als Praktikabel erwies aus ihr herausgetrennt und mit menschlicher Vernunft statt göttlichem Mandat untermauert.
Genau das ist aber der Schritt, den eine Religion nicht gehen kann ohne ihren göttlichen/transzendentalen Aspekt zu verlieren und damit aufzuhören Religion zu sein. Auch kann sie nicht dass, was sie einmal als sakrosankt in die Welt gesetzt hat mit einem Mal umkippen, wenn sich die Verhältnisse ändern. Aus genau diesem Grund bin ich der Meinung, dass das System nicht in dem Maße und vor allem dem Tempo reformierbar ist, wie es das eigentlich bräuchte.
Hinzu kommt die Raumproblematik, wo besonders die katholische Kirche mit ihrem Verbreitungsgebiet sehr im Nachteil ist, weil sich im Vergleich zu der sonstigen Entwicklung Europas einen gewaltigen inneren Reformstau aufgebaut hat, der aber den Verhältnissen anderswo, etwa in den katholisch geprägten Teilen der westlichen Hemisphäre oder Ostasiens in der sozialen Entwicklung eher noch vorraus ist.
Selbst wenn deren Universallehre in größerem Maße reformierbar ist, als ich das annehme, wie sollte man diese Problematik bewältigen? Das Problem haben die Protestanten zugegeben in geringerem Maße.
Ich selber kann mit der Christlichen Lehre ebenfalls nichts anfangen, aber das heißt nicht, dass ich sie auschlich verdammen würde, wenngleich ich sie für ziemlich reaktionär halte. Ich weiß auch, dass sie Menschen, warum auch immer Halt geben kann, ich erlebe das regelmäßig bei einer bekannten von mir, die das tatsächlich Praktiziert und darauf achtet mit den Grundpfeilern dieser Auffassung im Einklang zu leben.
Ich für meinen Teil bewundere das zutiefst, insbesondere deshalb, weil besagte Dame es schafft sich daran festzuhalten ohne sich drin in engstirniger Weise zu verrenen, beides obwohl sie im Leben wirklich scheußliches erlebt hat, was den Meisten wohl nichtmal in ihren Alpträumen blüht.
Dieser Fall zeigt mir aber auch, wie weit die Masse der Gesellschaft insgesamt, auch die Masse der erklärten Anhänger dieser Religion de facto von dem entfernt sind, was in dieser Hinsicht möglich ist.
Das führt mich zu der Erkenntnist, was ihr Potential betrifft und das, was sie einmal gehabt haben mag, ist die Religion bei der Masse der Menschen schlicht tot, was übrig ist, sind ein paar säkularisierte Relikte, die deren Geist noch in Teilen wiederspiegeln, aber nicht mehr die Religion selbst.