Unser Protagonist kommt zwar nur zwei Mal vor, dennoch zum Verständnis ganz interessant:
Spoiler
Im deutschen Grundgesetz steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit das kein schöner Schein bleibt, heißt es dann gleich im Nachsatz: „Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
In der amerikanischen Verfassung – einem Dokument, das von Männern mit weißen Puderperücken im 18. Jahrhundert aufgesetzt wurde – steht nichts dergleichen. Aber es gab einmal eine Bestrebung, der Verfassung eine Gleichberechtigungsklausel anzufügen: den „Equal Rights Act“.
Anno 1970 war er vom Repräsentantenhaus und vom Senat beschlossen worden. Weder Demokraten noch eine nennenswerte Zahl von Republikanern hatten etwas gegen dieses Bekenntnis zur weiblichen Gleichberechtigung einzuwenden. Der Equal Rights Act musste jetzt nur noch von den amerikanischen Bundesstaaten ratifiziert werden, eigentlich eine Formalität.
Dass es nie dazu kam – dass der Equal Rights Act bis auf den heutigen Tag nicht rechtsgültig wurde – war vor allem das Werk einer einzigen Frau: Phyllis Schlafly.
„Mrs. America“ ist ausgezeichnet
Schlafly war eine fanatische Antikommunistin. Bevor sie die politische Bühne betrat, hatte die Republikanische Partei noch einen liberalen Flügel, der sich etwa für die schwarzen Bürgerrechte einsetzte; nach Schlafly hatten die liberalen Republikaner ihren Einfluss völlig verloren. Kurz vor ihrem Tod (sie starb 2016) verfasste sie ein Buch, in dem sie Donald Trump feierte.
Kurzum, in der Figur von Phyllis Schlafly bündelt sich vieles, das verstehen muss, wer das heutige Amerika verstehen will. Auf Hulu kann man zurzeit eine Serie sehen, die auch vom Fernsehkanal FX ausgestrahlt wird: „Mrs. America“. Und sie ist ausgezeichnet.
Feministische Kostümparty
Das liegt vor allem an Cate Blanchett, die die Hauptrolle spielt. Die gebürtige Australierin ist in ihrem Leben schon so vieles gewesen: Sie hat Queen Elizabeth (die Erste, versteht sich) als Heldin hoch zu Ross verkörpert; sie war die geheimnisvolle Galadriel in „Der Herr der Ringe“ und Lady Marian in „Robin Hood“.
Phyllis Schlafly gibt Blanchett nun als blonde Eiskönigin. Machtbewusst, engstirnig und hochintelligent.
Jeder historische Roman – und jede Fernsehserie, die sich einem historischen Thema widmet – handelt in Wahrheit gar nicht von der Vergangenheit, sondern von der Gegenwart. Das gilt auch für „Mrs. America“. Die Serie (die von der Kanadierin Dahvi Waller konzipiert wurde) macht deutlich, dass es in Amerika nicht eine Frauenbewegung gab – sondern deren zwei.
Die eine war bunt, urban, feministisch und ziemlich jüdisch. Die andere Frauenbewegung war weiß, christlich, antifeministisch und kam aus dem ländlichen Amerika.
Wie die Linken verloren gingen
Sinnfällig wird das in einer Einstellung, die zwei Scharen von Demonstrantinnen zeigt, wie sie die Treppe des Kapitols in Illinois hinaufsteigen. Auf der einen Seite des Geländers die feministischen Kosmopolitinnen, die so aussehen, wie sich der kleine Moritz die Siebzigerjahre vorstellt: mit Schlaghosen und schrillen Jacken und Afrofrisuren. Auf der anderen Seite ihre Gegnerinnen – in feinen Mittelstandskostümen und Dauerwellen.
Eine Schwäche der Linken und Progressiven, die in „Mrs. America“ deutlich vorgeführt wird, besteht darin, dass sie ihre Gegnerinnen immer wieder gründlich unterschätzt haben. Sie dachten, sie hätten das Gesetz der Geschichte beziehungsweise Hegels Weltgeist auf ihrer Seite – und verloren trotzdem.
Denn ihre Gegnerinnen wussten, wie man an der Macht bleibt. Und dass es im Ernstfall nicht auf Argumente, sondern auf Gefühle ankommt.
Die Freiheit der Frauen hat sich in einen Zwang verwandelt
Cate Blanchett spielt mit Gusto den zentralen Widerspruch aus, der Phyllis Schlafly ausmachte: Diese Vorreiterin des Antifeminismus war privat alles andere als ein Heimchen am Herd. Sie war eine selbstbewusste Frau, die sich nie die Butter vom Brot nehmen ließ.
In der ersten Folge sehen wir auch, dass sie sich anfangs gar nicht so sehr für den Equal Rights Act interessierte. Eigentlich hätte sie gern über Männersachen mitgeredet – über nukleare Abrüstung (sie war dagegen, versteht sich) und die sowjetische Bedrohung.
In einem anderen Leben wäre sie vielleicht Verteidigungsministerin der Vereinigten Staaten unter einem Präsidenten Barry Goldwater geworden (einem strammen Antikommunisten, der in der Realhistorie 1964 die Wahl gegen Lyndon B. Johnson verlor).
Dass Schlafly stattdessen ihre Gegnerschaft zum Feminismus zu einer Karriere ausbaute, hatte einen simplen Grund: Eine Frau, die sagte, Frauen sollten besser zu Hause bleiben, war natürlich unbezahlbar. So wie Schwarze, die weißen Rassismus schönreden. Oder Juden, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen.
„Mrs. America“ nimmt sich viel Zeit, das Gefühlsleben nicht nur von Phyllis Schlafly, sondern auch ihrer Kontrahentinnen auszuleuchten. Margo Martindale spielt Bella Abzug, eine Profi-Politikerin aus New York, die in den Siebzigerjahren nicht nur für ihre gigantischen Hüte, sondern auch für ihren Mutterwitz berühmt war.
Rose Byrne ist Gloria Steinem, deren Magazin „Ms“ so etwas wie die amerikanische Version von „Emma“ war – nur natürlich viel bunter und witziger. Tracy Ullman spielt Betty Friedan, die Mutter der amerikanischen Frauenbewegung. Uzo Aduba gibt Shirley Chisholm, die als erste schwarze Frau ins Weiße Haus einziehen wollte.
Zwischen diesen Protagonistinnen menschelt es gewaltig: Neid, Missgunst, Streitereien um die richtige Taktik. Betty Friedan, deren Buch „The Feminine Mystique“ (1957) für eine ganze Generation von amerikanischen Feministinnen zu einem wichtigen Leseerlebnis wurde, sah nicht gern, dass die Herren Journalisten sich um die jüngere und hübschere Gloria Steinem scharten. Shirley Chisholm sah in Bella Abzug eine Powerfrau, die ihre Prinzipien verriet.
Alle diese klugen Frauen aber einte folgender Fehler: Sie nahmen Phyllis Schlafly nicht ernst. Das konnte die doch nicht ernst meinen? Die konnte doch nicht wirklich ablehnen, dass Frauen gleiche Rechte zugesprochen wurden, und dabei mit der ultrarechten John Birch Society gemeinsame Sache machen?
Die konnte sich doch nicht von vulgären Rassistinnen in den Südstaaten unterstützen lassen und glauben, dass sie damit durchkam? Aber sie kam damit durch.
Wer ist eigentlich Mrs. America?
Die Siebzigerjahre waren eben nicht nur farbenfroh und progressiv: Gleichzeitig bildete sich eine kräftige Gegenbewegung heraus, die alles verabscheute, wofür diese frechen New Yorker Jüdinnen und ihre schwarzen Verbündeten eintraten. Am Ende überrollte jene Bewegung die Linken so, wie Trump die Obama-Demokraten überrollte. Und die Frage, wen der Titel der Sendung meint, wer also eigentlich Mrs. America ist – Phyllis Schlafly oder ihre Gegnerinnen – kann kaum beantwortet werden.
Eine verrückte historische Pointe hat die Sache aber doch. Phyllis Schlafly hatte im Grunde nur ein Argument gegen den Equal Rights Act: Wenn Amerikas Frauen von der Verfassung gleiche Rechte zugestanden würden, so sagte sie, würden ihnen im selben Akt ihre Privilegien weggenommen.
Wollt ihr etwa, dass eure Töchter zur Armee eingezogen werden? Später kam ein weiteres Scheinargument hinzu: Wenn Frauen gleiche Rechte genießen wie die Männer, warum dann nicht auch die Schwulen? Um Gottes willen!
Damals, in den Siebzigerjahren, war das reine Polemik, die keiner juristischen Analyse länger als nur fünf Sekunden standhielt. Das Pentagon hätte wegen des Equal Rights Act keineswegs angefangen, Frauen an die Front zu schicken (die Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten wurde noch unter Nixon abgeschafft). Die Schwulenbewegung steckte noch in ihren Anfängen.
Das Lustige und Verrückte ist aber dies: Heute dienen Frauen in den amerikanischen Streitkräften. In allen amerikanischen Bundesstaaten gibt es die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare. Und niemand nimmt öffentlich Anstoß daran – nicht einmal Donald Trump wagt es, etwas dagegen zu sagen.